Eine wütende Priesterin

"Nun..."

"Genau wie alle anderen fragt sie sich, ob du derjenige bist, der meine Frau entführt hat!" unterbrach Broody sie mit lauter Stimme. Sie blickten auf den Mann, der in den Raum trat.

Warum war er schon wieder hier?

"Und ich möchte eine Antwort, Woods! Warum warst du in der Nacht, als meine Frau verschwand, in der Hütte?" Zorn loderte in Broodys ozeanblauen Augen.

"Hast du meiner Frau etwas angetan?" fragte er.

"Was lässt Sie denken, dass ich Ihrer Frau Schaden zufügen würde, Mr. Jones?"

"Sie - antworten Sie einfach!" forderte er.

Sie schnaubte. Langsam bildete sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht. "Und wenn ich das nicht tue?"

"Dann werde ich..."

"Broody, hör auf!"

"Warum, Mama?"

"Mama?" Ava wusste, dass Broody ein Einzelkind war. Sie hatte seine Familie kennengelernt, als sie noch zusammen waren, und war sich hundert Prozent sicher, dass Patricia nicht seine leibliche Mutter war.

"Amelia ist... meine Tochter."

Avas Kinnlade klappte herunter. Hatte Broody also die Tochter einer Priesterin geheiratet, ohne zu wissen, dass sie eine Hexe war? Sie konnte die Zögerung, die Sorge und die Angst der Priesterin fühlen.

"Broody... bitte lass uns allein."

"Warum? Ich möchte wissen, warum sie dort war! Ich verdiene es, die Wahrheit zu erfahren!"

Ava beobachtete Broody. Im Laufe der Jahre war er... massiger geworden. Heute nannten die Leute seinen Körper 'Papa-Körper'. Der Gedanke daran brachte sie zum Lachen. Aber mitten in einer angespannten Situation zu lachen, kam herzlos rüber.

"Was?"

"Ich werde dir nichts erzählen, Broody", sagte sie.

"Hast du ihr wehgetan?"

"Wehgetan?" Wie bitte? Sie sah ihn ungläubig an. Diese Dreistigkeit.

"Ja, Ava! Hast du meiner Frau wehgetan oder nicht!?"

Ava sah Patricia an und war überrascht, dass sie auch die Zweifel der Frau spürte. Sie dachten, sie hätte der Frau etwas angetan?

"Also habe ich sie entführt und dann vor ihrem Haus das Bewusstsein verloren?" Ava schnaubte. "Du bist dumm, Broody. Das weiß ich. Das weiß jeder. Aber hör bitte auf zu unterstellen, dass jeder so wie du ist!"

"Kannst du mir wirklich übel nehmen, dass ich denke, du hättest meine Frau verletzt? Wir wissen beide, dass du früher in der Highschool so warst."

Die Wut in ihr brach aus. Fast augenblicklich machte das Feuer im Kamin ein lautes Rascheln, gefolgt von einem knackenden Geräusch.

Die Priesterin riss die Augen auf.

Wut war das Einzige, was ihre Magie beflügelte.

Und je wütender sie wurde, desto stärker war ihre Magie.

"Broody, bitte lass uns in Ruhe." sagte die Priesterin mit panischer Stimme. "Bitte!" flehte sie. Als Broody das blasse Gesicht der Frau sah, starrte er Ava an.

"Wir sind hier noch nicht fertig." Dann ging er aus dem Raum.

Patricia hob die Hand, um Ava eine Ohrfeige zu geben.

"Versuche das und du wirst sterben", zischte Ava.

Das Feuer im Kamin brach erneut aus. Diesmal war es größer und mutiger geworden. Die ältere Frau setzte eine entsetzte Miene auf.

"Magie zeigen... vor einem Menschen!?" stieß Patricia entsetzt hervor, als sie ihre Hand senkte. "Wie konntest du das nur tun!"

"Ich glaube nicht, dass ich Ihnen eine Erklärung schuldig bin, Priesterin."

"Du-" Patricias Augen weiteten sich. Sie sah Ava an, als ob Ava ihr wehgetan hätte. "Broody ist ein Mensch! Du kannst deine Magie nicht zeigen - du kennst die Regeln!"

"Die Regeln sind gegen mich nutzlos!" sagte Ava ruhig. "Ich suche nach einer vermissten Hexe und trotzdem denken alle in diesem Haus, dass ich irgendwie in ihrer Entführung verwickelt bin. Hast du erwartet, dass ich glücklich bin?"

"Du kannst mir keine Vorwürfe machen. Trillium... ist zu allem Unmenschlichen fähig."

"Unmenschlich." spottete Ava. Sie hatte es verstanden. Trillium tötete Menschen, um sowohl die Hexen als auch die Shifter zu schützen. Aber sie als unmenschlich zu bezeichnen. Sie näherte sich Patricia, ihre Augen auf die ältere Frau gerichtet. "Was verheimlichst du... Patricia?""Also..." Patricia drehte sich beiseite. "Ich habe keine Ahnung, wovon du redest."

"Schuldgefühle... ich kann sie bei dir spüren. Warum fühlst du dich schuldig?"

"Du bist eine…" Patricia hielt sich den Mund mit der Hand zu. Beim Anblick davon, funkelte ein Gefühl der Befriedigung in Avas Augen. Genau, die Fähigkeit eines einfühlsamen Menschen ist ein seltenes Geschenk.

"Einfühlsame?" Ava hob ihre Augenbraue. "Hat dich das überrascht?"

"Du bist...."

"Sag mir... wovor hast du so eine Angst, Patricia?" Ava schielte. Sie hatte eigentlich nicht vor, dieses Thema anzusprechen. Sie wollte keinen Konflikt mit dem lokalen Hexenzirkel. Es war aber ein Tiefschlag, ihre Art als unmenschlich zu bezeichnen, obwohl sie doch nur ihre Art schützen.

"Bitte gehen Sie."

"Gehen? " Sie lachte spöttisch. "Du denkst... ich würde gehen, nachdem du mir diese Gefühle gezeigt hast?"

"Ich brauche deine Hilfe nicht, um meine Tochter zu finden!"

"Interessant, aber dumm. Eine verängstigte Hexe ist zu vielem fähig. Glaubtest du, ich würde sie einfach so den Menschen offenbaren lassen? Hättest du gedacht, das Trillium das zulassen würde?"

Als Ava das Entsetzen in der Frau sah, trat sie einen Schritt zurück. "Ich gehe, ohne jemandem weh zu tun. Das kann als Dankeschön für das Herbringen an diesen Ort gelten. Aber wenn Broody mich auf dem Weg nach draußen ärgert. Ich kann dir nicht versprechen, dass ich mich beherrschen kann. Immerhin mache ich ja so unmenschliche Dinge. Für mich ist es so einfach, ein oder zwei Glieder zu entfernen, wie... einen Kuchen zu schneiden."

"Du..."

"Auf Wiedersehen Patricia…" Sie ging zur Tür.

"Was ist mit dir passiert?"

Ava drehte sich um und lächelte. Sie hatte immer gewusst, dass Patricia sie erkannt hatte.

"Ich kannte Gabriella. Sie war eine gute Hexe. Ich weiß... sie hätte ihre Tochter nicht so erzogen."

"Ah... Gabriella. Du meinst... die Hexe, die alle verrückt genannt haben?" Ava schaute Patricia an und lächelte sie voller Spott an. "Du redest von meiner Mutter, als wenn du nicht eine von denen wärst, die sie aus ihrem eigenen Hexenzirkel gestimmt haben. Als wenn du nicht eine der ersten warst, die sie in der Vergangenheit verlassen hat."

"Du -"

Ava brauchte den Rest ihrer Worte nicht zu hören. Sie verließ das Zimmer und ließ die Frau allein. Wieder einmal ließ sie ihrer Wut freien Lauf.

Aber ihren Beruf als unmenschlich zu bezeichnen und dann noch den Namen ihrer Mutter ins Spiel zu bringen, das war definitiv genug, um sie sauer zu machen.

Zu ihrer Überraschung sah sie zwei Personen, die außerhalb des Zimmers Wache hielten. Sie bewachten sie. Sie müssen all die gruseligen Geschichten über Hexen gehört haben, die für Trillium arbeiteten. Das war die einzige Erklärung, die ihr einfiel, als sie ihre Angst und Sorge spürte.

Jeder in diesem Haus hatte entweder Angst vor ihr oder verdächtigte sie.

"Wohin gehst du?" Es war Broody.

Sie wandte sich dem Mann zu. "Du siehst älter aus."

Broodys Gesicht rötete sich, aber nicht wegen ihrer 'Kompliment'. Er war wütend. Er hatte sich bemüht, sie nicht körperlich zu verletzen.

"Dachtest du, du könntest dieses Haus verlassen, ohne mir die Wahrheit zu sagen?" fragte er.

"Ja. Das kann ich, Broody." Sie ging an ihm vorbei und bewegte sich auf die Treppe zu. Ehrlich gesagt, sie war gerade wirklich schlecht gelaunt. Sie zu stören, würde Broody nicht gut tun.

"He!" Broody hielt sie am Arm fest. Er drückte ihn fest genug zusammen, um ihn zu brechen. "Ich bin noch nicht fertig. Ich will... die Wahrheit wissen. Hast du Amelia weh getan?"

Ava bewegte sich nicht. "Wenn du nicht loslässt... wirst du deinen Arm verlieren."

Natürlich bewegte sich Broody nicht, stattdessen drückte er ihren Arm fester zusammen. Sie verzog ihr Gesicht wegen des Schmerzes. Sie war gerade dabei, einen Zauberspruch loszulassen, als sie aus dem Augenwinkel einen anderen Mann sah.

"Ich schlage vor, du lässt sie los." Die Stimme von Matthew Graydon hallte im Haus wider. Die bereits kalte Temperatur schien noch weiter gesunken zu sein.

"Und warum sollte ich das tun?" fragte Broody mit fester Stimme.

Matthew begann die Treppe hinaufzusteigen, die Holzstufen knarrten bei seinen langsamen, aber beständigen Schritten.

"Weil…", Matthew stand vor Broody. Aus der Nähe konnte Ava deutlich sehen, dass Matthew deutlich größer war als Broody. "Du willst nicht halb tot mit abgerissenen Gliedern enden."

"Du..." Broody ballte seine Faust. Ava spürte, wie seine Lunte flackerte, wie ein Vulkan, der gleich ausbrechen würde. Natürlich hatte sie nicht vor, den Mann davon abzuhalten, sich mit einem Gestaltwandler anzulegen. Im Gegenteil, Ava wollte wissen, ob Matthew seine Stärke einem Menschen demonstrieren würde.

Sie wusste, dass auch Gestaltwandler ihre Fähigkeiten Menschen gegenüber nicht zeigen dürfen.

Leider kam die Priesterin vor die beiden Alphamännchen, bevor irgendetwas passieren konnte. Patricias Gesicht war deutlich blasser als zuvor, sie sah aus wie ein Stück weißes Papier.

"Herr Graydon", begann Patricia. "Sie sind hier nicht willkommen!"

"Patricia... es ist schön, dich zu sehen", grinste Matthew. Die Art und Weise, wie er Patricia Namen aussprach, jagte Ava Schauer über den Rücken. Sie konnte die Gefahr hören, die seinen Ton begleitete, doch sie konnte nicht aufhören, daran zu denken, wie er wohl im Bett klingen musste. Sie kämpfte gegen den Drang, ihr Gesicht zu ohrfeigen, um wach zu werden.

"Aber ich stimme zu. Ich bin hier nicht willkommen." Matthew drehte sich zu Ava um. "Sollen wir gehen?"