Die Ältesten

Doch als sein Blick auf die vom Körper der Frau geformten Falten auf dem Bettlaken fiel, zog es seine Hand unweigerlich dorthin, er sehnte sich danach, sie zu berühren. Sein Innerstes schrie auf. Dieses verdammte Treffen konnte warten. Er legte das Kissen wieder hin, erhob sich vom Bett und verließ das Zimmer, seine Soldaten im Schlepptau. Noch einmal befahl er ihnen, das Zimmer nicht zu betreten. Über ihm hatten sich die Wolken verdunkelt, und es begann auf sein Reich zu regnen.

Als er nur mit seiner Reithose bekleidet die Trainingsarena betrat, gerieten alle Soldaten dort in Aufruhr. Er war so voller Zorn, dass es sich in seinem verkrampften Kiefer, seinen prallen Muskeln und in dem tödlichen Blick in seinen Augen manifestierte. "Ich möchte, dass ihr in Gruppen von Zweien kommt, um gegen mich zu kämpfen. Wir werden keine Schwerter benutzen. Es wird ein Nahkampf sein."

Innerhalb weniger Sekunden lagen die ersten vier Rekruten mit geborstenen Nasen oder Lippen am Boden. Eltanin beobachtete die anderen wie ein Falke – mit Haaren, die in seine Stirn fielen, und Blut an den Fingerknöcheln. Schweiß lief über seine Schultern und seinen Oberkörper. Es sah aus, als wollte er sie alle töten.

Fafnir schluckte schwer, als Schweiß auf seiner Stirn ausbrach. Wenn es so weiterging, würde der König womöglich alle Soldaten töten.

"Nächster!" knurrte Eltanin, sein Gesichtsausdruck glich dem eines verwundeten Löwen. Bald lagen zwei weitere am Boden und krümmten sich vor ihm.

"Diese Soldaten sind noch neu," warf Fafnir ein. "Sie sind noch in der Ausbildung..."

Eltanin drehte seinen Kopf blitzschnell in Fafnirs Richtung, funkelte ihn finster an und stieß ein tiefes, gefährliches Knurren aus. Ohne Vorwarnung sprang er aus der Arena und rannte zur Rückseite des Palasts. Sekunden später verwandelte sich Eltanin in einen riesigen schwarzen Wolf und jagte in den Wald. Dort trafen Fafnir, Prinz Rigel und ein Dutzend Soldaten, alle in ihrer Wolfsgestalt, auf ihn. Fafnirs Wolf war ein graues Ungetüm, während Rigels Wolf weiß war.

Rigel knurrte vor Wut auf Eltanin. 'Komm zurück!' Rigel konnte eine Gedankenverbindung zu ihm herstellen, denn in ihrer Jugend hatten sie ein Blutschwur abgelegt. Mit diesem Schwur konnten sie die Gedanken des anderen hören und vice versa, falls sie es zuließen. Jetzt versuchte Rigel, die starken mentalen Schilde, die Eltanin um sich aufgebaut hatte, zu durchbrechen.

Der Regen goss in Strömen herab. Der Boden war schlammig, doch Eltanin kümmerte das nicht. Er musste rennen, etwas tun, um seinen Zorn und seine Angst zu dämpfen. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm, etwas trieb ihn in den Wahnsinn. Rationalität, Logik, Argumentation – das waren seine Stärken. Doch dieses Gefühl - es war unbegreiflich. So rannte Eltanin wie die Bestie, die er war, schneller als je zuvor.

'Eltanin!' rief Rigel ihm nach. Aber Eltanin hörte nicht.

Sie kehrten kurz nach Einbruch der Dunkelheit schweißgebadet und außer Atem zum Palast zurück. Eltanin verwandelte sich zurück und zog sich in seine Gemächer zurück. Er war müde und sein Zorn hatte nachgelassen. Am Ende erkannte er, dass es nur Unruhe war und nichts mit dem Mädchen zu tun hatte. Es gab nichts, wovor er Angst zu haben brauchte.

In seinem Badezimmer warteten zwei Dienerinnen darauf, ihn zu baden. Er entledigte sich seiner Kleidung und stieg in die marmorne Badewanne. Er lehnte seinen Kopf zurück, schloss die Augen und ließ die Dienerinnen jeden Zentimeter seiner Haut reinigen.

Kurz nach dem Bad kam Rigel in seine Gemächer. Ein unverschämt gut aussehender Mann, so gutaussehend, dass er wie eine gemeißelte Statue einer Gottheit mit stahlblauen Augen wirkte. Sein kastanienbraunes Haar lag ordentlich im Nacken, kein einziges Haar stand ab. Rigel, beinahe so groß wie Eltanin, war ebenfalls ein Prinz, der nicht verheiratet werden wollte. Sein Vater hatte ihm die Heirat mit einer Prinzessin aufgezwungen, deshalb war er zu Eltanin gekommen. Die beiden Freunde genossen die Gesellschaft des anderen, da sie beide die gleichen Bedenken bezüglich der Ehe teilten.Nachdem Eltanin allein durch die Wälder gelaufen war, machte sich Rigel Sorgen um ihn. Er spürte, dass Eltanin seit Jahren nicht so beunruhigt gewesen war – nicht einmal, als er von Felis gefangen genommen worden war.

Eltanin kam aus dem Badezimmer, ein Handtuch um seine schlanken Hüften gewickelt. Sein langes Drachentattoo zog sich über seinen Rücken und umschlang seine Taille. Er entließ die Mägde und ging zur Hausbar, seine Schritte fest, doch sein Herz war es nicht.

Er füllte zwei Gläser mit Wein und reichte Rigel eines. "Magst du mir erzählen, was das eben sollte?" fragte Rigel und nahm das Glas aus Eltanins Hand. Er saß auf einem Sofa nahe des Fensters, von dem aus man die Gärten und Obstplantagen sehen konnte. Er war aufgewacht, nachdem Fafnir frühmorgens nervös an seine Tür geklopft hatte. Zwei Mädchen hatten bei ihm im Bett gelegen. Ohne sich daran zu erinnern, wer sie waren, sprang er über sie hinweg, um die Tür zu öffnen – beinahe wäre er bereit gewesen, den Diener für solch eine Dummheit zu töten. Als Fafnir ihm sagte, dass Eltanin allein in den Eslam-Wald gelaufen war, schloss er sich dem General an, um den aufgebrachten Alpha zu suchen.

Eltanin presste die Lippen zusammen, setzte sich auf sein Bett und stützte die Füße auf das gepolsterte Kopfteil. Eine Hand hinter dem Kopf verschränkt, holte er tief Luft. "Vater besteht darauf, dass ich heirate."

Rigel musste lachen. Die Ironie war ihm nicht entgangen. Er war hierher gekommen, um seinem eigenen Vater zu entfliehen, während Eltanin dem seinen gegenüberstand. "Was ist daran schon neu?"

"Er möchte, dass ich Prinzessin Morava eheliche."

Rigel fuhr mit dem Kopf herum.

"Die Ältesten unseres Königreichs trachten meinem Vater nach dem Leben. Aber ich hege den Verdacht, dass gerade mein Vater es ist, der mich unbedingt möglichst schnell verheiraten will", gab Eltanin zu, während sich der Zorn in seiner Brust wieder entzündete. "Und die Sache wird verdammt ernst."

Rigel warf einen Blick aus dem Fenster. Der Regen hatte nicht nachgelassen. Er prasselte gegen das Glas, während der heulende Wind ihn peitschte. "Ich kann seine Sorgen verstehen. Felis wird immer stärker und wenn meine Berichte stimmen, knüpft er Bündnisse. Du solltest Prinzessin Morava heiraten. Wir können ihm nicht ewig ausweichen, Eltanin."

"Ich brauche keine Frau!" entgegnete Eltanin störrisch.

Rigel seufzte und nippte an seinem Wein. "Wie lange kannst du es mit den Ältesten aufnehmen, Eltanin, und wie weit willst du gehen?", fragte er. "Du hast deine Gefährtin noch nicht gefunden. Wie gedenkst du sie hinzuhalten?"