Auf der Jagd nach den Schatten der Vergangenheit

Bai Zhi betrachtete die imposante Gestalt von Hu Feng, der mit einem ruhigen und gelassenen Gang ging. Er wirkte nicht wie jemand, der in den Bergen aufgewachsen war. Plötzlich überkam sie die Neugierde: Was für ein Mensch war Hu Feng, bevor er sein Gedächtnis verlor?

Als Bai Zhi in die Realität zurückkehrte, bemerkte sie, dass Hu Feng schon ziemlich weit vorausgegangen war. Eilig trabte sie ihm nach, begleitet von den Fasanen, die sie gefangen hatten.

Mit einem Blick auf die Sonne am Himmel schätzte Bai Zhi, dass es etwa Mittag war - so wie die alten Menschen die Zeit vorhersagten. Zu dieser Zeit war die Hitze der Sonne am stärksten und potenziell gefährlich. Doch trotz des Risikos schenkten die Feldarbeiter dem wenig Beachtung. Einige gingen zum Mittagessen nach Hause, andere suchten Schutz unter Bäumen und warteten, bis die Hitze nachließ, bevor sie ihre Arbeit fortsetzten. Sie wussten es besser, als krank zu werden und ihren mageren Verdienst für Medikamente auszugeben.

Hu Feng führte Bai Zhi zu den Feldern ihrer Familie. Das Gemüsebeet und das Weizenfeld befanden sich an verschiedenen Stellen. Das Gemüsebeet schmiegte sich an einen Hang, der mit Bäumen und üppigem Gras bewachsen war. Es bot eine kühlere Umgebung mit vielen schattigen Plätzen zum Ausruhen. Kein Wunder, dass die Familie Bai es vorzog, dort zu arbeiten, weit weg von den trockenen Böden.

Als sie sich Hu Changlin näherten, war er schweißgebadet und arbeitete hart, um den Boden aufzubrechen. Zhao Lan, die ihm dicht auf den Fersen war, half ihm dabei, sogar mit der linken Hand - sie war bemerkenswert geschickt.

Bai Zhi machte ein paar Schritte nach vorn und rief: "Nianggg, wir sind zurück!"

Zhao Lan hielt inne, ihr Gesicht mit den sichtbaren violetten Blutergüssen errötete, als sie ihre Tochter mit den toten Fasanen in der Hand auf sie zulaufen sah.

"Ganz ruhig, nicht hetzen", lächelte Zhao Lan, stellte ihr Werkzeug ab und führte Bai Zhi in den Schatten unter einen Baum. "Ruht euch hier aus. Wir haben noch einiges an Arbeit vor uns. Wenn wir fertig sind, gehen wir zurück."

Bai Zhi zerrte an der Hand ihrer Mutter und betonte: "Niang, bitte mach eine Pause. Ich komme schon zurecht." Sie übergab die Fasane und schritt selbstbewusst in Richtung Feld. Da sie ihre Mutter vorhin beobachtet hatte, glaubte sie, dass der Umgang mit den landwirtschaftlichen Geräten nicht allzu schwierig sein würde.

Auch Hu Feng lud seine Stoff- und Bambussäcke aus und legte sie unter den Baum. Als er sah, wie Bai Zhi auf das Feld ging, folgte er ihr und nahm ihr das Ackergerät aus der Hand. "Lass mich das machen", bot er an.

Mit großer Kraft ergriff Hu Feng das Werkzeug und zog Bai Zhi mit der anderen Hand zur Seite.

Hu Changlin stand in der Nähe und beobachtete die beiden mit einem Lächeln. "Zhi'er, du solltest dich auch ausruhen. Bleib bei deiner Mutter. Hu Feng und ich werden uns um den Rest kümmern", sagte er.

Bai Zhi widersprach nicht; sie wusste, dass sie sich noch von ihren Verletzungen erholte und sich nicht überanstrengen sollte. Sie lächelte nur und sagte: "Na gut, ich werde dir etwas zu essen machen. Ein besonderer Leckerbissen!"

Hu Changlin wollte sich nach dem Essen erkundigen, das sie zuzubereiten gedachte, aber als er ihren glücklichen Gesichtsausdruck sah, als sie unter den Baum ging, beschloss er, nicht weiter zu fragen. Vielleicht hatte Hu Feng auf dem Berg einige Süßkartoffeln gefunden. Was gab es denn sonst noch in dieser Wildnis zu finden?

Als Bai Zhi begann, die tote Schlange aus ihrer Tasche zu holen, wurde Zhao Lans Gesicht vor Schreck blass.

Erschrocken über Zhao Lans Reaktion schwenkte Bai Zhi spielerisch die leblose Schlange in ihrer Hand und stichelte: "Niang, schau, es ist nur eine tote Schlange. Warum bist du so verängstigt?"

Obwohl Zhao Lan erleichtert war, dass sie leblos war, zögerte sie immer noch, sich ihr zu nähern. Sie zeigte auf sie und drängte: "Schnell, wirf sie weg."

Bai Zhi schüttelte mit einem schelmischen Grinsen den Kopf: "Oh, das ist nicht nötig. Wir können es heute zum Mittagessen essen. Warum es verschwenden?"

Als Zhao Lan von dem kühnen Vorschlag ihrer Tochter erfuhr, traten ihr fast die Augen aus den Höhlen. "Was in aller Welt sagst du da? Eine Schlange essen? Sind Schlangen nicht giftig?"

Bai Zhi grinste und zog ihre Mutter sanft zurück in den Schatten. "Zwar sind einige Schlangen giftig, doch diese hier ist vollkommen harmlos. Nicht nur das – sie ist sogar köstlich und nährstoffreich. Du wirst es erst wissen, wenn du es probiert hast."

Zhao Lan blieb skeptisch, ihre Angst vor Schlangen hielt sie zurück. Aber das unerschütterliche Vertrauen ihrer Tochter entging ihr nicht. Bai Zhi machte sich sogar die Mühe, die Schlange zu säubern und zu spülen, und schüttete ohne Zögern Wasser darüber. Sie zog ein Bambusrohr aus ihrer Tasche, trank einen Schluck und verwendete das restliche Wasser, um das Schlangenfleisch zu reinigen.

Geschickt hängte Bai Zhi die gesäuberte Schlangenhaut über einen nahen Ast und entfachte ein Feuer mit trockenem Geäst. Sie schnitt das Schlangenfleisch in vier Teile und spießte sie auf kleine Zweige.

Das Schlangenfleisch ähnelte dem Fisch und war leicht zu garen. Bald schon wehte ein verführerischer Duft durch die Luft und veranlasste Hu Changlin und Hu Feng, ihre Arbeit zu unterbrechen und ihren Blick abzuwenden.

"Ist das Schlangenfleisch?" fragte Hu Feng erstaunt und richtete seinen Blick auf das zischende Schlangenfleisch über dem Feuer.

Bai Zhi nickte mit einem stolzen Lächeln. "Genau! Frisch und lecker, voller Nährstoffe, die dich stärken. Du solltest es einmal probieren." Sie gab Hu Changlin das größte Stück.

Als der verführerische Duft des gerösteten Schlangenfleischs näher rückte, wurde Hu Changlins Hunger geweckt und er konnte nicht widerstehen. Er legte sein Werkzeug beiseite, wischte die Erde von seinen Händen und nahm das ihm angebotene geröstete Schlangenfleisch. Es fehlten Gewürze oder Salz, aber der Geschmack war überraschend angenehm.

"Wie schmeckt es?", fragte Bai Zhi gespannt auf Hu Changlins Urteil.

Mit vollem Mund gelang es Hu Changlin, den Daumen zu heben und dabei seine Zustimmung zu dem köstlichen Gericht zu murmeln.

Bai Zhi zubereitete zwei weitere Portionen Schlangenfleisch, gab eine an Hu Feng und eine an Zhao Lan. Die kleinste Portion behielt sie für sich selbst.

Zhao Lan bemerkte die bescheidene Portion ihrer Tochter und wollte tauschen, doch Bai Zhi lehnte mit einem Lächeln ab. "Niang, ich bin überhaupt nicht hungrig. Diese Portion reicht mir völlig. Außerdem haben Hu Feng und ich am Fuße des Berges gegessen und ich hatte zwei Yacon-Früchte. Ich bin jetzt nicht hungrig."

Zhao Lan hielt es für unglaubwürdig. "Was redest du da für Unsinn? Yacon-Früchte wachsen in schneebedeckten Gebirgen wie dem Tianshan und nicht hier."

Bai Zhi lachte. "Das sind andere Yacon-Früchte. Probier doch erst das Schlangenfleisch, dann wirst du verstehen, was ich meine."

Angesichts der Beharrlichkeit ihrer Tochter spürte Zhao Lan eine Wärme in ihrem Herzen. Bai Zhi schien ihr näher und liebevoller als je zuvor.

Nachdem das größer geschnittene Schlangenfleisch verzehrt war, verspürte Hu Changlin immer noch ein wenig Hunger und seufzte: "Hätte ich nur gewusst, dass Schlangen so gut schmecken, hätte ich viele im Feld gefangen. Bedauerlicherweise habe ich sie alle weggeworfen."

Bai Zhi grinste und machte einen Vorschlag: "Wenn du noch mehr Schlangenfleisch möchtest, kannst du Hu Feng um Hilfe bitten. Er ist echt erstaunlich – er fängt Schlangen, als wäre es ein Kinderspiel. Für die Schlangen gäbe es keine Chance."

Beim Hören von Bai Zhis übertriebenen Worten brachen Hu Changlin und Zhao Lan in Gelächter aus. Nur Hu Feng blieb still, doch ein charmantes Lächeln zierte seine Lippen.

Nachdem sie den Schlangenschwanz, den sie in der Hand gehalten hatte, aufgegessen hatte, holte Bai Zhi zwei Bambusrohre aus ihrer Tasche, gefüllt mit kaltem Wasser aus dem Bach. "Diese haben wir vom Fuße des Luoyangberges mitgebracht. Ihr beiden trinkt aus dem einen, und Niang und ich nehmen das andere."