Dravens vergangene Erinnerungen

In der Zwischenzeit beschloss Draven, auf eine Reise zu gehen und den Kontinent zu durchqueren.

Er wollte nicht nur seine Karte der menschlichen Königreiche aktualisieren, sondern auch einen besonderen Ort aufsuchen, der für seine Existenz von besonderer Bedeutung war.

Im Handumdrehen verschwand die hochgewachsene Gestalt von Draven Aramis aus seinem Arbeitszimmer.

Sein königlicher Körper tauchte wieder am Ufer eines Flusses auf, der sich durch ein dichtes Waldgebiet schlängelte. Ein uralter Wald, von Menschen meist unberührt, jenseits eines Gebirgszugs, in dem gefährliche wilde Tiere lebten.

'Jahrzehnte sind vergangen, seit ich das letzte Mal hier war, und doch hat sich nichts verändert.'

Vor mehreren Jahrhunderten erwachte Draven Aramis mitten im Nirgendwo, umgeben von eben diesen Bäumen, ohne jegliche Erinnerungen.

Draven sah auf eine besonders felsige Stelle am Flusslauf. Es war, als könne er die verschwommenen Bilder von damals sehen, als er sich zum ersten Mal in diesem Wald befand.

Vor Jahrhunderten wachte er an genau diesem Ort mit einem tiefen Keuchen auf, als hätte er lange Zeit nicht atmen können. Ein immenser Schmerz plagte die linke Seite seiner Brust. Er hatte keine Kraft und schleppte sich zum Fluss, um seinen Durst zu stillen und Wasser zu trinken.

Trinken war ein Instinkt seines Körpers, doch sein Verstand war damals ein einziges Chaos. Verwirrung war sein vorherrschender Zustand.

„Wo bin ich?"

„Was ist passiert?"

„Wieso erinnere ich mich an nichts?"

Nur auf die Frage „Wer bin ich?" fand er eine Antwort.

Draven Aramis.

Ein leerer Name, und der wichtigste Anhaltspunkt für seine Identität.

Als er versuchte aufzustehen, zitterte sein Körper vor dem stechenden Schmerz in seiner Brust. Seine Handfläche, die auf seiner Brust lag, war blutrot.

„Ich blute ...?"

Er stellte fest, dass er eine Brustplatte trug, die auf der linken Seite ein großes Loch hatte. Er entfernte die harte Schale und entdeckte, dass das weiße Hemd darunter ebenso blutgetränkt und beschädigt war. Es sah aus, als wäre er in der Brust erstochen worden.

'Aber da ist keine Wunde.'

Er zog das zerrissene Hemd aus und untersuchte seine Brust. Obwohl schmerzend, erschien seine Haut unversehrt, abgesehen von einem Drachentattoo in Schwarz.

„Was ist das für ein Tattoo?"

Das Symbol des schwarzen Drachens kam ihm fremd vor, fast so, als hätte er es nie zuvor besessen.

Doch um seine Fragen zu beantworten, war niemand da. Er war allein, ohne Erinnerungen, und so zog er jahrelang mit nichts weiter als dem Namen Draven Aramis als einzigem Hinweis durch das Land.

Ohne jede Erinnerung an seine Identität verließ er den Wald, trat in ein menschliches Königreich ein, ohne zu wissen, was ihn erwartete. Kein guter Anfang. Viel zu viele Fragen zu seinem eigenen Leben drängten sich auf, und dennoch sah er sich mit Begebenheiten konfrontiert, die ihn zwangen, jene Menschen zu schützen, die auf seine Stärke vertrauten. Die Kämpfe dauerten lange, und er hatte keine Möglichkeit, diesen Ort aufzusuchen, um während der Kriegszeiten zu forschen.

Doch dann waren da diese wiederkehrenden Träume.

Er fühlte, dass diese Träume Fragmente der verlorenen Erinnerungen waren. Er dachte, die Rückkehr in diesen Wald könnte die Träume auslösen. Aber selbst bei Besuchen änderten sie sich nicht und zeigten ihm immer wieder dieselbe Frau. Die gleichen Träume ließen ihn auf der Suche nach der Wahrheit feststecken und er glaubte, es sei nicht nötig, an diesen Ort zurückzukommen.

Nun, da dieses geheimnisvolle Mädchen mit den smaragdgrünen Augen erschienen war, spürte er, als wäre ihm unsichtbar ein Anstoß gegeben worden, seine Bemühungen fortzusetzen, um seine Erinnerungen wiederzuerlangen.

Er durchquerte den Kontinent von dem kleinen Königreich am Rand des Waldes, über die drei großen Königreiche bis zum Kaiserreich auf der Suche nach seiner Identität. Auf seinem Weg erlebte er zahlreiche Fälle von Diskriminierung und Verfolgung der Übernatürlichen, behandelt als Kriminelle, nur weil sie existierten.

Als jemand, der ihre Verfolgung miterlebte, wuchs nur sein Abscheu gegenüber der Menschheit. Er wusste nicht, warum er diese übernatürlichen Wesen bemitleidete, aber er beschloss, sie zu schützen. Nie hätte er damals gedacht, dass seine freundliche Absicht die Situation verschlimmern und den gesamten Kontinent in einen Kriegszustand stürzen würde.

'Teufel.'

So erhielt er einen furchteinflößenden Namen für das zahllose Blutvergießen, das er beging, um diese Rassen zu schützen, die nur im Einklang mit der Natur leben wollten. Das Reich zerfiel, viele Königreiche gingen unter, nachdem sie ihm unterlegen waren, und wurden später von anderen Königreichen geschluckt. Ein neues Reich entstand, und Königreiche stiegen auf und fielen – doch die menschliche Gier verschwand nie.

Langsam akzeptierten die übernatürlichen Wesen des Kontinents Draven als ihren Beschützer und Anführer. Viele Rassen und Clans zogen in ein verborgenes Refugium fernab der Menschenwelt, wo sie ihre eigene friedliche Welt schufen – Agartha.

Draven seufzte, als er sich an diese chaotischen Zeiten erinnerte. Blutige Jahrhunderte waren vergangen, bis Agartha endlich den Frieden genießen konnte, der ihm jetzt zuteilgeworden war.

Von dort aus setzte er einen Fuß vor den anderen, folgte den Spuren zurück zu dem Tag, an dem er ohne Erinnerung aufgewacht war.