Was trägst du?

Als Lina nach draußen ging, bemerkte sie, dass schon ein Wagen für sie bereitstand.

"Junges Fräulein", begrüßte sie der Chauffeur höflich, zog seine schwarze Mütze und verbeugte sich vor der angesehenen Dame.

"Danke", sagte Lina dankbar, als er ihr die Tür öffnete und sie einstieg.

Der Chauffeur fühlte sich von ihrer Dankbarkeit berührt, behielt seine Gefühle aber für sich. Sie war die Einzige in diesem großen Haus, die sich für seine Dienste bedankte.

"Wohin darf ich Sie fahren?", fragte der Chauffeur, nachdem er sich angeschnallt hatte.

Der nächste Nachbar war mindestens einen Kilometer entfernt. Dieses riesige Anwesen gehörte der Familie Yang. Es dauerte mindestens fünf Minuten, um die lange Auffahrt hinaufzufahren, die zu der eindrucksvollen Residenz führte.

"Fahren Sie mich bitte zur Hauptstraße", wies Lina den Chauffeur an, der nickte und die Tür hinter sich schloss.

Einige Minuten später stoppte das Auto an der belebten Hauptstraße. Da es Wochenende und gerade Mittagszeit war, wimmelte es hier nur so von Fahrzeugen.

Fußgänger blieben stehen und bewunderten den luxuriösen Wagen, fragten sich, wer wohl aus einem solch wohlhabenden Stadtteil stammte, der stets von bewaffneten Sicherheitskräften streng bewacht wurde.

"Dorthin, wo es ruhiger ist", instruierte Lina den Fahrer, besorgt, dass sie jemand erkennen könnte. Sie hatte stets ein niedriges Profil an ihrer Schule gehalten und ihren Nachnamen nur genannt, wenn es unbedingt nötig war.

Das gesamte Land kannte den Clan der Yangs. Jeder mit diesem Nachnamen wurde sofort mit dem berühmt-berüchtigten Yang-Unternehmen in Verbindung gebracht, das zu den reichsten der Welt zählte. Ihre Abstammung reichte bis in die Kaiserzeit zurück, sie waren von altem Adel.

Lina wollte an der Universität nicht aufgrund ihrer Herkunft belästigt werden, also gab sie sich als gewöhnliche, gesetzestreue Bürgerin aus.

"Wir sind angekommen, junges Fräulein", sagte der Fahrer und hastete, um ihr die Autotür zu öffnen. Er behandelte sie vorsichtig, denn jeder wusste, dass Linden Yang seine jüngste Tochter am meisten schätzte. Auch wenn Linden de facto keine Macht innehatte, war er doch der Sohn des großen Lawrence Yang.

"Danke", sagte Lina und stieg dankbar aus dem Wagen, ging auf die weniger belebten Straßen. Ihr Telefon piepte erneut.

[Isabelle: Bist du schon unterwegs? Ich bin gerade angekommen und warte draußen auf dich~ Was hast du an? ;)]

Lina lächelte leise bei sich. Warum klang dieser letzte Satz nur so anstößig? Während sie ihre Antwort eintippte, winkte sie ein Taxi herbei. Ein Wagen hielt am Straßenrand. Ohne aufzusehen, stieg sie ein.

[Lina: Ich bin auf dem Weg.]

[Isabelle: Du bist ja langweilig~ Sag mir, was du anhast.]

Lina musste kichern. Sie nannte dem Taxifahrer den Namen des Einkaufszentrums, das in der Gegend sehr beliebt und oft der umsatzstärkste Ort war.

Natürlich hatte das Unternehmen Yang Enterprise einen bedeutenden Anteil an dem Einkaufszentrum, was es ihr leichter machte, hierherzukommen. Und leider auch das DeHaven-Konglomerat...

"Wir sind da, junge Dame", informierte sie der Taxifahrer.Lina atmete auf und versuchte, mit ihrem Telefon den Fahrer zu bezahlen.

"Ihre Karte wurde abgelehnt", sagte der Taxifahrer, als er sich umdrehte, um sie missbilligend anzuschauen. Er betrachtete sie von oben bis unten und stellte fest, dass sie sauber angezogen war. Seiner Meinung nach war sie bloß eine arme Studentin, die sich kaum mit Ramen über Wasser halten konnte.

"Wirklich?" fragte Lina. Das war ihre EC-Karte. Wie konnte sie abgelehnt werden? Sie war sich sicher, genug Geld darauf zu haben, um sich zur Ruhe setzen zu können, sobald sie das Licht der Welt erblickt hatte!

"Ich versuche es noch einmal", sagte Lina und hielt das Telefon an den Scanner des Taxifahrers.

Piep!

"Wieder abgelehnt", sagte der Taxifahrer spöttisch. Er wurde ungeduldig, denn es war Hochbetrieb. Er konnte es sich nicht leisten, wegen ihr seine wertvollen Fahrminuten zu verlieren.

"Ich rufe sofort meine Bank an", sagte Lina. Sie wollte ihr Telefon nehmen, doch der Taxifahrer griff nach ihrem Handgelenk.

"Schauen Sie", sagte der Taxifahrer und leckte sich über die Lippen, während er einen Blick auf ihren Körper warf. Sein Blick verweilte auf ihren prallen Brüsten, ihren runden Hüften und ihrem unschuldigen Gesicht. Genauso stand er darauf.

"Was halten Sie davon, wenn wir zum Parkplatz fahren, um den Verkehr nicht zu behindern? Dann können wir eine angemessene Bezahlung besprechen", sagte der Taxifahrer langsam und testete Linas Reaktion. "Vielleicht kommen wir sogar ins Geschäft über einen Rabatt."

"Im Parkhaus gibt es doch gar keinen Empfang, um die Bank anzurufen", entgegnete Lina. Sie ahnte, was er wollte, wollte den potenziellen Angreifer aber auch nicht verärgern.

"Es wird nur ein kurzer Anruf sein", bestand Lina und riss ihr Handgelenk zurück.

Lina begann, die Nummer ihres Kreditkartenunternehmens zu wählen, als sie das Klicken der verriegelten Türen hörte. Sofort wurde sie steif und hob den Kopf.

"Das ist keine gute Idee, mein Herr", sagte Lina zu ihm. "In diesem Moment gibt es mindestens zwei Autos voller bewaffneter Männer, die mich aus der Ferne bewachen. Ich brauche nur zu schreien, und Sie werden erschossen."

Lina war nicht naiv. Sie wusste, dass ihr Vater Männer geschickt hatte, um ihr zu folgen. Sie hatte die Autos beobachtet und wusste von Anfang an, welche sie verfolgten.

"Hah, weil Ihre EC-Karte abgelehnt wurde, erwarten Sie ernsthaft, dass ich glaube, Sie seien die Tochter von irgendeinem großen Fisch?" sagte der Taxifahrer und drehte sich zu ihr um.

Lina betrachtete die Ausstattung im Wagen genau. Plötzlich wurde ihr klar, dass es sich um ein illegales Taxi handelte, eines der Fahrzeuge, die von seriösen Firmen nicht als solche gekennzeichnet wurden. Auf den ersten Blick hatte sie es nicht bemerkt, doch jetzt fiel ihr auf, dass nicht einmal ein Identifikationsaufkleber an der Windschutzscheibe angebracht war.

"Und wie möchten Sie schreien?" fragte der Taxifahrer und kurbelte das Fenster hoch, bevor sie überhaupt irgendetwas unternehmen konnte. "Wenn schon die Fenster schallisoliert sind."

Lina öffnete den Mund, und als sie zum ersten Mal seit dem Einsteigen aus dem Fenster sah, stellte sie fest, dass es stark getönt war. Selbst wenn sie versuchte, mit der Hand zu winken, würde es nutzlos sein.

"Sie haben recht, ich muss nicht schreien", sinnierte Lina. "Die Tatsache, dass ich schon länger in diesem Auto sitze, ist ein genügend deutliches Paniksignal."

"Hah, glauben Sie wirklich, ich würde auf das Bluffen einer mittellosen Studentin hereinfallen—"

Lina lachte und ihre Augen blitzten warnend auf. "Wollen Sie es wirklich auf die harte Tour herausfinden? Sollten meine Männer auftauchen, wird das Gefängnis Ihre geringste Sorge sein. Es lebend herauszukommen, wird Ihre größte Herausforderung."