Im Unrecht

Dieser Mann war verrückt.

Lina war längst zu dieser Erkenntnis gelangt, doch sein Verhalten verhärtete ihre Entscheidung. Sie starrte ihn an, dann den Vertrag und wieder ihn. Er stützte sein Kinn auf den Arm und grinste sie angesichts ihres verwirrten Gesichtsausdrucks an.

"Nein."

Lina stand von ihrem Stuhl auf, sein arroganter Ausdruck schwand.

"Nein?" wiederholte Kaden scharf.

"Nein."

Lina schüttelte den Kopf und wich zurück. "Absolut nicht."

Kaden schmalte die Augen. "Sei nicht kleinkariert."

"Du hast mich am selben Tag abgewiesen, an dem du mir einen Heiratsantrag gemacht hast", zischte Lina und knallte ihre Hände auf seinen Schreibtisch.

Dieser Mann würde sie noch ins Grab bringen. Wie oft ihr Herz in seiner Nähe raste, durch seine Berührung, Worte oder Taten, hatte sie längst aufgehört zu zählen.

"Du warst verletzlich und zu sehr von deinen Emotionen geleitet. Es wäre eine Entscheidung gewesen, die du bereut hättest", sagte Kaden, als spräche er mit einem Kind.

"Ich wollte dich nicht ausnutzen", stellte Kaden fest.

"Und doch hast du versucht, meine Unschuld auszunutzen", entgegnete Lina.

Kaden hielt inne. "Ich habe dir einen Ausweg geboten."

Lina sah ihn an. "Du wolltest nur eine Affäre, pikiert, weil mein erstes Mal in unserem früheren Leben nicht mit dir war!"

Im Nu stand er vor ihr.

Lina wich zurück, aber es war zu spät. Er hatte den Schreibtisch umrundet und kam auf sie zu. Sein Gesicht verdunkelte sich wie das einer aufziehenden Gewitterfront, sein Blick war eine Warnung.

"Vorsicht, liebe Taube", knurrte Kaden.

Lina streckte stolz ihr Kinn vor. Sie hatte Recht. Und sie beide wussten das.

"Was hast du vor?" fragte Lina. "Mich schlagen?"

Kaden ließ ein leises Lachen hören. "Es gibt so viele Dinge, die ein Mann einer Frau antun kann, die schlimmer sind als Schläge."

Lina taumelte zurück.

"Zum Beispiel dich zappeln lassen, bis du in Tränen ausbrichst und mich um Gnade anflehst", keifte Kaden und drängte sie bis an die Rückenlehne des Sofas.

Lina versuchte zu entkommen, aber er streckte seine Arme aus und sperrte sie ein. Sie wandte sich ab, enthüllte ihm ihren langen, schlanken Hals, so verlockend, dass er Lust bekam, hineinzubeißen.

Kaden neigte sich vor, bis ihre weichen Brüste seine feste Brust streiften. Seine Bauchmuskeln spannten sich an, ein Zelt wuchs bei ihrer Nähe. Verdammt. Sie duftete so gut, ihr Geruch vermischte sich mit seinem, nachdem sie in seinem Bett gewesen war.

"Fordere mich nicht heraus, meine liebe Taube", grunzte Kaden, seine Finger gruben sich ins Leder des Sofas. Sie zitterte nun, sich der Konsequenzen ihres Tuns bewusst.

"Ich würde niemals gewalttätig gegen dich sein, nur grausam." Kaden streichelte mit dem Rücken seines Fingers über ihren Hals und fühlte ihren pulsierenden Schlag. Ihr Atem wurde schwer, sein Blick wanderte zu ihren leicht geöffneten Lippen. Sie waren rosig und baten förmlich darum, gekostet zu werden.

Linas Aufmerksamkeit verharrte bei ihm, wanderte zu seinem Mund und dann zurück zu seinem entflammten Blick.

"Das ist noch viel schlimmer", flüsterte Lina, sich fühlend, als würde ihre Haut in Flammen stehen, und er hatte nur ihren Hals gestreift. Sie wünschte sich, seine Hände wären überall, ihre Schenkel entlangwandernd, seine Daumen nahe ihrem verborgenen Garten spielend, die Drohung gegen sie wahr machend.

"Vielleicht." Kaden legte seinen Daumen an die Seite ihres Halses, seine Finger breiteten sich über ihrer Kehle aus. Ein fester Griff, ein Schub, und sie würde tot in seinen Armen sinken.

Das menschliche Leben war so zerbrechlich. Ihre Augen flatterten und sie sah zu Boden, ähnlich einem weißen Kranich, der seinen Kopf senkt.

"Sei jetzt ein braves Mädchen und unterschreibe den Vertrag. Du wirst so oder so mein sein", sagte Kaden, während er seine Hand von ihrem Hals nahm.Sofort fröstelte Lina vor Kälte. Sie hob den Blick und erkannte wütend, dass sie direkt in seine Falle getappt war.

"Was ist damit passiert, mich in meinem verletzlichsten Zustand nicht auszunutzen?", bellte Lina.

"Bist du gerade besonders verletzlich und von deinen Emotionen überwältigt? Kannst du nicht klar denken, weil dein Zorn dich blind macht?", forderte Kaden und drückte sie wieder gegen das Sofa.

Lina keuchte leise, als sie etwas Hartes gegen ihren Bauch spürte. Sie hielt den Atem an, weil er so verdammt gut roch, dass sie kaum denken konnte. Sein Duft war wie das Gras nach einem Regenschauer, gemischt mit Waldsonnenlicht. Es war etwas Erfrischendes und doch Anziehendes an seinem warmen Duft.

"Nein", gestand Lina.

"Dann heirate mich", sagte Kaden im Scherz.

"Nein."

"Würdest du es vorziehen, Everett Leclare zu heiraten?"

Lina ruckte mit dem Kopf nach oben.

"Du bist nach wie vor ein offenes Buch", sagte Kaden, und seine Lippen zuckten. Sie konnte vor der Welt Geheimnisse verbergen, aber nie vor ihm. Er war ihre Welt. Das war er schon immer gewesen. Und er hatte dafür gesorgt, dass sie sich das gut merkte.

"Deine Gedanken stehen dir ins Gesicht geschrieben", bemerkte Kaden und starrte in ihre großen Augen, in denen jedes schwarze Pünktchen zu sehen war.

Ihre Augen waren wie der von Hoffnung funkelnde Nachthimmel. Sie bargen die Tiefe des Universums, und er wünschte sich, es zu erforschen. Herauszufinden, was ihre Geheimnisse verbargen, bis sie offen und unverhüllt vor ihm stand, ohne etwas zu verbergen und ohne Lügen.

"Heirate mich stattdessen." Kaden strich ihr über das Gesicht und ließ seine Finger durch ihr Haar gleiten.

Lina zitterte. Ihre Lippen öffneten sich. Sie neigte sich seiner sanften Berührung entgegen. Sie hungerte nach Berührung. Oder vielleicht suchte sie nur nach jemandem, der sie lieben konnte, wenn ihre Eltern es nicht vermochten.

"Ich will eine Scheinehe", platzte es aus Lina heraus.

Kaden hielt inne. Sein Griff in ihrem Haar wurde fester, er zog daran und drehte damit ihr Gesicht zu sich. Verärgerung blitzte in seinen Augen auf. Was hatte sie gerade gesagt?

Lina starrte trotzig in seinen feurigen Blick, selbst als er ihr Haar fest umklammert hielt.

"Warum?", verlangte Kaden.

"Nur bis diese ganze Angelegenheit vorbei ist", hauchte Lina.

"Nein."

"Doch."

"Nein." Kaden knurrte. Noch nie hatte er derart die Beherrschung verloren. Noch nie seine Coolness. Noch nie seinen Verstand. Aber wenn sie im Spiel war, konnte er nicht mehr klar denken. Konnte nicht funktionieren wie ein normaler Mensch.

"Kaden..."

"Es heißt Kade", fuhr Kaden sie an.

Lina erstarrte, ihre Augen weiteten sich, bevor sie sich mit Tränen füllten. Sie öffnete und schloss den Mund. Allein der Klang seines Namens war schmerzhaft für sie. Sie griff sich an die Brust, aber er ergriff ihr Handgelenk und zog ihre Hand weg.

"Tut es weh, meinen Namen zu hören? Tut es weh, sich den Konsequenzen deines Handelns stellen zu müssen? Gut, spür den Schmerz. Leidet an der Reue über das, was du deinem Königreich und mir angetan hast", zischte Kaden, seine Stimme war gefährlich tief.

"Es ist nicht meine Schuld!" rief Lina. "Ich bin nicht diejenige, die den Krieg begonnen hat! Ich bin nicht diejenige, die ihr Königreich für eine verfluchte Frau aufs Spiel gesetzt hat!"

Kaden lachte leise auf.

Lina war verängstigt. Sie hätte es vorgezogen, wenn er geschrien und Gegenstände geworfen hätte. Seine ruhige und beherrschte Wut beunruhigte sie. Was hatte er vor? Wollte er jemanden ermorden? Wollte er das Haus abfackeln? Einem Mann, der sich inmitten eines Sturmes so gefasst hielt, konnte man nicht trauen.

"Also ist es meine Schuld", sagte Kaden. "Fein."

Das war alles, was Lina all die Jahre hören wollte. Doch jetzt, da die Worte aus seinem Mund kamen, hätte sie sich am liebsten die Ohren zugehalten. Sie wünschte, sie hätte es nicht gehört. Bei der Enttäuschung in seiner Stimme, der Freude in seinen Augen, wusste sie, dass sie beide falsch lagen.