Willkommen zu Hause

'ELIA

Als er gesagt hatte, sie würden zu den Höhlen gehen, hatte sich Elia kalten, harten Fels und einen gähnenden, schwarzen Schlund mit Spinnweben und krabbelnden Geschöpfen vorgestellt.

Stattdessen trat sie in eine Stadt, die so aussah, als wäre sie auf natürliche Weise entstanden.

Ihr Mund blieb offen stehen, als sie aus dem Dickicht der Bäume auf eine große Lichtung traten, die zur einen Hälfte von einer fast senkrechten, felsigen Bergwand umgeben war, übersät von hell erleuchteten Höhleneingängen und Pfaden, und zur anderen von so hohen Bäumen gesäumt wurde, dass sie Jahrhunderte alt sein mussten. Ihr Abstand zueinander war groß, ihre Äste weit und niedrig ausgestreckt, dicker als der Taillenumfang eines Mannes, erstreckten sie sich fußlang über den Boden, bevor sie gen Himmel schwangen.

Wäre Elia als Kind hierher gebracht worden, hätte sie gedacht, sie sei im Himmel angelangt.

Überall waren Menschen, die sich dennoch irgendwie in die Umgebung einzufügen schienen, ihre Bewegungen gingen in den nächtlichen Schatten auf. Trotz später Stunde wimmelte es vor Menschen auf den Wegen durch den Wald und an der Bergwand, selbst Kinder krabbelten in den Bäumen umher, liefen über die untersten Äste und schwangen sich an den Lianen, die sich dazwischen schlängelten.

Und als Reth die Lichtung betrat, drehten sich alle, die in Sichtweite waren, zu ihm um und begannen ihm zuzurufen - manche grüßten, andere klatschten oder jubelten, und wieder andere heulten oder stießen Laute aus, die Elia wie Tierstimmen klangen. Obwohl er sein Gesicht ruhig hielt, konnte sie spüren, wie Stolz in ihm aufstieg – und die Anspannung. Denn während sein Volk ihn feierte, sahen sie auch sie. Es war nicht zu übersehen, wie sehr sie schockiert waren, wie schnell der Applaus abklang – und wie die Menschen aus dem Kreis anfingen, sich unter die anderen zu mischen, zuzuraunen, sich umzudrehen und sie anzustarren.

Reths Augen verengten sich, doch er geleitete sie durch die Lichtung, grüßte zurück und nickte vielen zu, die immer noch seinen Namen riefen oder ihm Segen zusprachen, und führte sie dann auf einen Pfad, der an der Hauptlichtung vorbei und tiefer in den Wald führte, jedoch der Bergflanke folgte.

Sie schritten weiter voran, während das Getöse und die Hektik der Höhlenstadt von dem Wald hinter ihnen verschluckt wurde. Elia bemerkte, dass die Wachen sie nicht verlassen hatten, obwohl sie sich nun offensichtlich in seiner Stadt befanden. Sie blickte zu ihm auf. Seine Augen waren flach, durchdringend und unablässig auf den Pfad vor ihnen gerichtet, sein Kiefer verriet seine innere Anspannung.

Elia war hin- und hergerissen. Sie wollte ihm sagen, dass die Leute sie offensichtlich nicht wollten, und dass er sie vielleicht einfach gehen lassen sollte. Sie wollte keinen Fremden heiraten – oder sich mit ihm paaren. Schon gar nicht diesen Mann – sei er auch König – an diesem fremden Ort. Aber sie war sich verzweifelt dessen bewusst, dass sie ohne ihn von einem unnachgiebigen Volk umgeben war, das sie ohne einen Gedanken töten würde.

"Ignoriere sie", sagte Reth leise, als sie eine Biegung des Weges nahmen und das Mondlicht durch das Geäst vor ihnen sickerte, den Boden in Silber und Weiß tünchend. "Sie sind überrascht. Sie dachten, das Ergebnis stünde bereits fest, bevor wir überhaupt die Zeremonie begonnen haben. Es wird nur wenig Zeit benötigen, bis sie sich daran gewöhnt haben."

"Gibt es eine Chance, dass sie... dir zu Leide tun könnten, wegen mir?" fragte sie.

Er warf ihr einen finsteren Blick zu, der mehr als deutlich seine Meinung über jeden ausdrückte, der es auch nur versuchen würde.

Sie gingen weiter, und bald brachen sie erneut durch die Bäume auf eine weitere, deutlich kleinere Lichtung – und diese war einfach atemberaubend.'Während die Hauptlichtung weitläufig und zweckmäßig war, vom ständigen Tritt der Stadtbewohner glatt gepolstert, glich diese hier eher einer kleinen Wiese mit dichtem Grün, Blumen und kleinen Sträuchern, die sich am Rand in Bäume verwandelten.

Laternen schimmerten in den Baumwipfeln dort, wo der Pfad auf die Freifläche traf, und auch rundherum, und tauchten alles in ein warmes Licht.

Es war wunderschön. Atemberaubend, musste Elia sich eingestehen. Der ganze Ort verleitete dazu, sich ins Gras fallen zu lassen und in den Himmel zu schauen. Doch die Angst und Ungläubigkeit in ihr ließen es nicht zu, sich dem Genuss hinzugeben. Sie drehte den Kopf und blickte in alle Richtungen, während sie hindurchgingen. "Es ist schön", flüsterte sie.

Reth brummte nur. "Es ist mein Zuhause", sagte er, und sie spürte, dass es ihn freute, dass es ihr gefiel.

Die Lichtung war eine breite Mulde, die auf der einen Seite vom Wald umschlossen, auf der anderen zu einer V-förmigen Felsspalte verjüngte. An ihrer schmalsten Stelle öffnete sich der Höhleneingang – doch anstatt eine dunkle Grotte zu offenbaren, strahlte auch er ein warmes Licht aus, das die starren Felswände in einen schmeichelnden Steinton verwandelte.

Während sie sich auf die Höhle zubewegten, verteilten sich die Wachen ringsum und nahmen Posten entlang der Lichtung ein, in die umliegenden Bäume blickend.

Elia wandte sich beim Betreten einen Blick über die Schulter und von diesem Winkel aus, mit dem Mondlicht darüber und den Laternen zwischen den Bäumen wirkte der Ort magisch.

Wie konnte ein Mann von solcher Statur und Härte an einem so zauberhaften Ort leben?

"Das ist mein Refugium", sagte Reth leise, als sie auf die Höhle zugingen. "An einem gewöhnlichen Tag würde uns niemand stören, es sei denn, wir würden es erlauben."

"Aber heute ist kein gewöhnlicher Tag", antwortete Elia mit bebender Stimme. Der Eingang der Höhle führte in einen Gang, der nach rechts bog, sodass man das Draußen von innen nicht sehen konnte. Und als der Fels sie umgab, wurde sie sich der Narben auf seiner Haut bewusst, seiner gewaltigen Statur, der Art, wie er jenen anderen Mann in einem Augenblick besiegt hatte...

"Ich werde dir nichts tun, Elia. Fürchte dich nicht vor mir", sagte er sanft, fast zärtlich.

Sie erreichten eine Tür am Ende des Ganges, gefertigt aus rauem Holz, das so gewachsen zu sein schien, dass es perfekt in das Felsengewölbe passte. Reth ließ den Arm sinken, um nach einem schweren eisernen Ring an der Tür zu greifen. Obwohl die Laternen hier hell leuchteten, schien die Höhle dunkler zu werden, als sich Elia plötzlich ohne seinen stählernen Arm an ihrer Seite kalt fühlte.

Er öffnete die Tür mühelos, trat zurück, schwang sie weit auf und lächelte, während er sich leicht verneigte. "Willkommen zu Hause, Königin Elia."