Ich würde dich lieber töten

Als Elias ihren sprachlosen Gesichtsausdruck sah, lachte er. Er konnte sich noch genau daran erinnern, wie er diese Lippen berührte und sie daraufhin zitterte wie ein eingeschüchtertes Reh. Sanft strich er ihr die langen Haarfransen aus dem Gesicht. Es kam ihm vor, als blicke er in einen üppigen Wald.

Es machte Spaß, sie zu necken, wenn sie wie immer reagierte. Sie benahm sich wie eine echte Dame, ungeachtet der Gesellschaftsdamen, die sich ohne jegliche Etikette der vergangenen Jahrhunderte aufführten.

Adeline war eine Rose, gefangen in der Zukunft, mit einem Herzen aus der Vergangenheit. Ähnlich wie er selbst, allerdings ohne deren Blütenpracht und Anmut, stattdessen mit ihren Dornen und Stacheln.

"Ich werde nichts tun, es sei denn, du bittest darum", murmelte Elias leise. Sein Daumen strich sanft über ihre Unterlippe. Seine Augen funkelten vergnügt, als er Spuren ihres Lippenstifts an seiner Fingerspitze entdeckte. Es war ein helles Korallenrot, das sie im natürlichen Licht erstrahlen ließ.

"Dann wirst du mir nie etwas antun", erwiderte sie leise.

Elias' Lächeln verbreitete sich bis zu seinen Ohren. Dachte sie wirklich das? Wie naiv seine kleine Rose doch war. Er hatte kaum etwas getan, und schon zitterte sie unter seiner Berührung.

Er hatte endlich das kleine Feuer gesehen, das in ihrem Innern brannte. Die Flamme war nur ein Hauch und hätte mit einem einzigen Atemzug ausgeblasen werden können. Doch sie wuchs langsam und brauchte mehr Nahrung.

"Was immer du möchtest, Adeline", sagte Elias. Er ließ ihre Hand los und ergriff ihre zarten Finger. Ihre Finger waren wie zerbrechliche Blütenblätter.

"Komm jetzt und trödle nicht so viel herum." Elias zog sie mit sich. Sie eilte ihm nach, bis ihre Schritte sich einander anglichen. Sie ging neben ihm – als ob es keine klare Hierarchie zwischen ihnen gäbe, weder in Titeln noch in der Art ihres Seins. Das war amüsant.

Glaubte sie wirklich, sie könnte ihm gleichgestellt sein? Normalerweise liefen die Menschen hinter ihm, niemals vor ihm oder an seiner Seite. Mit einem langsamen Kopfschütteln gestattete er ihr, zu seiner Linken zu gehen. Ihr Gang hatte etwas Hüpfendes. Sie gab ihr Bestes, um mit seinem makellosen Tempo mitzuhalten.

Elias erhöhte das Tempo ein wenig, nur um sie ein bisschen zu ärgern. Ihre Hand umklammerte seinen Arm fester, auf ihrem ruhigen Gesicht blitzte Entschlossenheit auf. Sie tat alles, um Schritt zu halten.

Es war wahrlich rührend.

Als er nach rechts zu den riesigen Fenstern blickte, sah er den Neumond, der sich hinter dichten Wolken versteckte. Die Vergangenheit meldete sich zu Wort, viel deutlicher, als es Gegenwart und Zukunft je getan hatten. Das störte ihn nicht. In der Vergangenheit wollte er leben, während er die Zukunft am liebsten vergessen würde.

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"Meine Halskette!" Adeline hellte auf, als er das schöne Schmuckstück zwischen seinen Fingern baumeln ließ.

Er hatte sein Wort gehalten und sie zu seinem Zimmer gebracht. Zum Glück stand sie an der Türschwelle. Das Licht in seinem Zimmer war ausgeschaltet und sie konnte nichts erkennen. Doch er trat mühelos ein, denn Dunkelheit war sein Reich.

"Deine Hand."

Sie hielt ihre Hände geöffnet hin. Ihre Augen glänzten vor Erregung, ihre Lippen waren in gespannter Erwartung leicht geöffnet.

Elias stellte fest, wie naiv sie wirkte. Sie vertraute Menschen allzu leichtfertig, trotz ihrer Kindheitserfahrungen. Oder war das nur die Fassade, die sie zeigen wollte? Fühlte sie sich in seiner Nähe wohl, oder war sie schlichtweg töricht?

Als er ihr kleines Lächeln sah, kam er zu dem Schluss, dass es Ersteres sein musste. Es war besser so.

"Bitte", sagte Elias und platzierte die Halskette in ihre ausgestreckten Hände. Ihre Finger schlossen sich darum. Sekunden später zog er die Halskette wieder zurück. Sie klammerte sich ans Nichts.

"Elias!", rief sie verärgert aus, ihre Geduld am Ende."Du hast mir deine Entscheidung noch nicht mitgeteilt", sagte Elias langsam, als würde er ein Kind zurechtweisen.

Adeline schmollte vor ihm. Ihre Brauen zogen sich zusammen und bildeten auf ihrer jugendlichen Stirn Falten. Wenn sie ewig so schmollte, würde sie Falten bekommen, noch bevor sie Kinder zur Welt brachte.

"Du versprachst mir Freiheit im Austausch für mein Leben im Schloss", sagte sie.

Adeline ließ die Hände sinken und blickte zu Boden. "Du hast nie deine Gründe dargelegt; ich kann also keine logische Prognose stellen."

Sie war so in Gedanken, dass sie das Ausbleiben ihres Stotterns nicht bemerkte – bis sie aufsah und sein liebevolles Lächeln erkannte.

"Ich sollte dich eigentlich töten, Elias. Willst du mich wirklich unter deinem Dach behalten, obwohl du weißt, dass ich im Schlaf deine Kehle durchschneiden könnte?"

Elias hob eine Augenbraue. Schlafen tat er ohnehin kaum. Es sei denn, es handelte sich um eine andere Art des Schlafes. Doch er schwieg, da er wusste, dass sie schnell verunsichert war. Niemand hatte sie jemals auf den richtigen Weg geführt. Ihre Verwandten hatten sie zu lange unterdrückt, das Feuer gelöscht, bevor es überhaupt lodern konnte.

"Wenn ich im Schloss lebe, bin ich frei von meinen Verwandten, werde aber in einen neuen Käfig gesperrt, den alle sehen können ..."

Adeline schüttelte langsam den Kopf. "Ich glaube, ich würde dich lieber einfach töten."

Elias lachte auf. Er musste in seine Faust husten, um den Blick ihrer Irritation zu entgehen. In einem Wimpernschlag ergriff er grob ein Handgelenk und zog sie zu sich. Sie wehrte sich und zog sich zurück, stolperte jedoch trotzdem nach vorne. Er sah eine Seite an ihr, die er nie zuvor gesehen hatte. Ihre Augen waren aufgerissen, als würden Ranken sich an einer Kehle festkrallen.

"Siehst du", sinnierte er. "Wie kannst du mich töten, wenn ich dich immer überwältige, mein kleines Reh?"

Adelines Arm zitterte, als sie versuchte, seinem Griff standzuhalten. Sie war schwach. Einst hatte sie als junge Frau mit Pistolen und Messern trainiert, aber das war ein Jahrzehnt her. Jetzt schaffte sie es nicht einmal, einer Fliege zu schaden. Wie erbärmlich war das?

Er hatte genau, was er wollte. Sie konnte ihre Arme nicht zurückziehen. Sein Griff war nicht fest. Er war einfach stärker als sie.

"Es gibt verschiedene Arten, einen Mann zu ermorden."

"Und ich bin sicher, in deinen Erotikbüchern stehen Tipps und Tricks, nicht wahr?"

Adeline schnaubte. Ja, das taten sie ganz sicher. Zum Beispiel auf ihm reiten und ihm dabei die Kehle aufschlitzen.

Bevor Adeline es aussprechen konnte, hielt sie sich ihren Mund zu. Diese Seite an ihr hatte sie schon lange begraben. Es begann, als sie in die Obhut von Tante Eleanor kam. Schweigen statt Frechheit, Disziplin statt Widerstand, alles, was ihre willensstarke Mutter ihr beigebracht hatte, wurde über Bord geworfen.

"Was ist los, hat die Katze deine Zunge gefressen?", stichelte Elias.

Für einen Moment schien Adeline den Entschluss zu fassen, töten zu können. Das Funkeln in ihren Augen wurde trüb wie Sumpfwasser. Und für einen kurzen Moment sah er ein kleines Mädchen mit einer Kraft, die einen erwachsenen Mann zu Fall bringen könnte, bevor sie plötzlich in Lachen ausbrach und ihn fest umklammerte.

"Bevor ich mich entscheide, möchte ich wissen, welche Art von Freiheit du mir bietest."

Elias grinste, zeigte seine scharfen Eckzähne und perlweißen Zähne. Man würde nie denken, dass Wesen wie er Blut tranken, als wäre es Wasser.

Adeline war intelligent, aber nicht weise. Es schien, egal wie sehr sich die Zeit veränderte, egal wie sehr sie unterdrückt worden war, niemand konnte ihre Gedanken vollständig beherrschen. Und das war ihre größte Waffe.