EINE DROHUNG. EIN RATSCHLAG

Dawn konnte es kaum fassen, dass sie in solch einer Situation feststeckte. Sie hatte gehofft, dass mit ihrem Weggang vom Rudel diese hinterhältigen Spielchen ein Ende hätten.

 

Haben die denn wirklich geglaubt, sie würde nach all dem, was sie mit Emily durchgemacht hatte, klein beigeben?

 

"Du hilfst mir meine Haare zu waschen? Mit kaltem Wasser?" Dawn erhob sich aus der Badewanne und stieg schnell heraus. Sie betrachtete die beiden Eimer mit kaltem Wasser, die neben Kynes' Beinen standen.

 

Kynes lächelte sie an. "MyLady, das mag Ihnen unbekannt sein, aber es ist unsere Tradition, die Haare mit kaltem Wasser zu waschen."

 

"Wenn es Ihnen nicht genehm ist, könnte ich Ihnen warmes Wasser holen", schaltete sich Pyllo ein. "Normalerweise baden auch wir in kaltem Wasser."

 

Dawn verengte die Augen. "Echt jetzt?" Sie fragte sich, wie dick die Haut dieser Leute sein musste, wenn sie kalte Bäder aushielten. "Füllt ihr eure Badewannen auch mit kaltem Wasser?"

 

Kynes und Pyllo sahen sich kurz an und nickten dann.

 

"Ja, Mylady", erwiderte Pyllo ihr gegenüber.

 

"Wir haben warmes Wasser vorbereitet, weil wir annahmen, dass es für Sie zu viel wäre, unserer Tradition direkt zu folgen", ergänzte Kynes.

 

Dawn ging weg, um ein Handtuch zu holen, das ihre Blöße bedeckte, und verschränkte dann die Arme vor der Brust. Sie schwieg, was sie sichtlich nervös machte.

 

"Ist es also hier Brauch, in kaltem Wasser zu baden? Wie lange bleibt ihr normalerweise im Wasser?"

 

"Zehn... fünfzehn Minuten...", antwortete Pyllo zögernd. Sie wusste nicht, was Dawn plante, besonders nicht, als diese ihr unschuldig zulächelte.

 

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Pyllo eilte durch den Flur, auf der Suche nach Fern in der Küche. Sie atmete schwer, ihr Atem bildete eine Spur von weißem Dampf. Als sie die alte Frau fand, zog sie sie gleich zu sich.

 

"Was gibt es?" Fern runzelte die Stirn, denn sie war für die Vorbereitungen des Abendessens verantwortlich. Sie hatte keine Zeit für Pyllos Anliegen.

 

"Du musst Kynes helfen", sagte Pyllo, die den Tränen nahe war.

 

"Warum? Was ist passiert?"

 

Pyllo berichtete von dem, was Dawn mit Kynes auf dem Weg zum Schlafzimmer angestellt hatte, und Fern war entsetzt, denn sie hätte nicht gedacht, dass diese Frau so unverschämt sein könnte. Ihr erster Eindruck von ihr war der einer schüchternen und wohlerzogenen jungen Frau.

 

Sie hatte immerhin gehört, dass Dawn die Tochter eines Alphas war. Sie kam aus einer vornehmen Familie, natürlich würde sie Zurückhaltung üben und sich nicht wie ein wildes Mädchen benehmen.

 

Hatte sie denn keine Erziehung in ihrem Rudel genossen? Aber dann erinnerte sich Fern daran, dass die Luna des Mondschein-Rudels vor vielen Jahren bei einem Angriff gestorben war und ihr Vater erst kürzlich eine neue ausgewählte Luna fand, was bedeutete, dass Dawn ohne Mutter aufgewachsen war. Kein Wunder also, dass sie keine Überraschung erwartet hatte…

 

"Sie hat Kynes in eine mit kaltem Wasser gefüllte Wanne gedrängt!" Pyllo schluchzte. "Was sollen wir jetzt tun? Was, wenn der Alpha davon erfährt?"Fern presste ihren Kiefer zusammen. "Hör auf zu weinen."

Als sie ankamen, stürmte Fern schnell ins Badezimmer und fand vor, was Pyllo ihr beschrieben hatte.

"Was soll das?" fragte Fern streng und wies Pyllo sofort an, Kynes aus der Badewanne zu helfen. Das arme Mädchen zitterte am ganzen Leib, ihr Körper war durchnässt und ihre Zähne klapperten.

"Ich sollte diejenige sein, die fragt, was das soll...", ließ Dawns Stimme sie alle erschrecken. Ihre Herzen setzten aus, denn schließlich war sie die Tochter eines Alphas und damit die Nächste in der Reihe für den Titel. Es versteht sich von selbst, dass ihre Stimme einiges an Einschüchterungspotenzial hatte, wenn sie wollte.

Kynes begann, um Vergebung zu flehen, fiel zu Boden und schluchzte heftig, aber Dawn ignorierte sie, denn ihre ganze Aufmerksamkeit galt nun Fern.

"Erkläre mir, was das soll?!" Dawn verengte ihre Augen boshaft, was Fern in Verwirrung brachte, da sie ihre Stimme senkte und so höflich wie möglich klingen ließ. "So behandelst du also jemanden, der nicht zu deinem Rudel gehört?"

Fern ballte ihre Fäuste. Sie versuchte, ihre Nerven zu beruhigen, nachdem Dawn sie so eingeschüchtert hatte.

"Du hast die Situation missverstanden."

"Wie bitte? Wie kann ich die Situation missverstanden haben?" Dawn trug immer noch ihr Handtuch, zum Glück war es in diesem Raum warm genug dafür. "Haben sie das aus eigenem Antrieb getan? Oder gab es jemanden im Hintergrund, der ihnen den Mut dafür gegeben hat, mir das anzutun? In jedem Fall sollte jemand für diesen Vorfall bestraft werden. Ich möchte, dass der Alpha sofort informiert wird."

Pyllo und Kynes wurden kreidebleich, als Dawn den Namen des Alphas erwähnte. Beide knieten sofort nieder und drückten ihre Köpfe auf den Boden. Sie waren zu verängstigt, um den Zorn des Alphas auf sich zu ziehen.

"Der Alpha ist beschäftigt", sagte Fern.

"Ich will den Alpha sprechen."

"Es tut mir leid für dieses Missgeschick. Ich werde sicherstellen, dass sie gut ausgebildet werden. Ich werde sie so bestrafen, wie sie es verdienen, aber bitte mach aus dieser Kleinigkeit keine große Sache." Fern fand die richtigen Worte. "Normalerweise haben wir keine Außenstehenden in unserem Rudel. Wenn du diese Angelegenheit hochspielst, werden die Leute über dich reden, und ich fürchte, das wird dir mehr schaden als nützen."

Dawn presste die Lippen zusammen.

Fern war nicht wie Julia, aber sie befand sich in einer ähnlichen Lage wie damals in ihrem eigenen Rudel. Das Leben war wirklich hart. Sie hasste es, sie war voller Hass, aber sie unterdrückte ihre Wut.

Sie war hier allein, ein falscher Schritt und ihr Leben würde elend werden. Wenn sie ein friedvolles Leben wollte, musste sie ihren Weg vorsichtig wählen.

"Bedrohst du mich?"

"Das ist ein Ratschlag, Mylady", erwiderte Fern etwas milder. "Dies ist nicht dein Rudel, die Leute werden dir gegenüber natürlich misstrauisch sein."

In Dawns Ohren klang das wie eine Drohung, aber das war nichts Neues für sie.

"Gut. Aber ich werde diejenigen bestrafen."