Yatsuki stand inmitten eines endlosen, pulsierenden Raumes, der von einem tiefen, leuchtenden Blau erfüllt war. Es war, als wäre er in ein Meer aus reiner magischer Energie eingetaucht. Das Mana um ihn herum strömte wie ein lebendiger Fluss, wogte und drehte sich, manchmal sanft, manchmal wie ein tobender Sturm. Die Luft schien zu vibrieren, als ob der Raum selbst atmen würde.
Und mitten in diesem endlosen Ozean aus Energie stand eine Gestalt: hochgewachsen, mit durchdringenden Augen, die Yatsuki auf eine Weise ansahen, die seine Brust eng werden ließ. Es war ein Blick, den er nur aus verblassten Erinnerungen kannte.
„Vater…"
flüsterte er, seine Stimme war brüchig, kaum hörbar.
Sein Herz raste, ein Sturm aus Emotionen in seiner Brust. Freude, Trauer, Zorn – sie wirbelten ineinander, untrennbar vermischt. Warum war er hier? Warum jetzt? Und warum fühlte es sich an, als ob diese Begegnung sein ganzes Leben verändern würde?
Sein Vater erwiderte den Blick, und in seinen Augen lag eine Mischung aus Zuneigung und tiefem Schmerz.
„Yatsuki,"
sagte er mit sanfter Stimme, doch bevor Yatsuki antworten konnte, schoss ein stechender Schmerz durch seinen Kopf.
Ein erstickter Laut entwich Yatsukis Lippen, und er fiel auf die Knie. Seine Hände pressten sich an die Schläfen, während ein grelles Licht seine Sicht erfüllte.
„Was… was ist das?!"
schrie er, doch keine Antwort kam. Stattdessen fluteten Szenen vor seinen Augen auf – klarer und lebendiger als jede Erinnerung, die er je hatte.
Er sah sich selbst als Baby. Sein Vater stand vor einem Mann, dessen Gesicht zwar deutlich war, Yatsuki dennoch nicht zuordnen konnte.
„Satoshi,"
sagte die Stimme seines Vaters fest,
„bringe den Schal an einen sicheren Ort! Und wenn die Zeit gekommen ist, bringe ihn zu Yatsuki."
Das Bild verblasste, und ein neues tauchte auf. Flammen, Schreie, das Geräusch splitternden Holzes. Satoshi, seine Kleidung zerrissen und blutverschmiert, hielt den kleinen Yatsuki fest in seinen Armen, während sie durch die Dunkelheit flohen.
„Halte die Augen geschlossen,"
flüsterte Satoshi, doch Yatsuki gehorchte nicht.
Er öffnete die Augen – und sah ihn. Eine Gestalt in königlichen Insignien, mit einem kalten, durchdringenden Blick, der bis in Yatsukis Seele zu reichen schien. Sein Gesicht war scharf, hart wie Stein, und seine Augen funkelten vor unbarmherziger Entschlossenheit.
„Das bist du, oder?"
murmelte Yatsuki, kaum bewusst, dass die Worte seinen Lippen entflohen.
Die Vision brach auseinander, zersplitterte wie Glas, und Yatsuki fand sich wieder im blauen Raum. Doch diesmal schien die Energie um ihn herum zu flackern, als würde sie auf seine wachsende Verwirrung und seinen Zorn reagieren.
„Yatsuki,"
sagte sein Vater ruhig,
„das, was du gesehen hast, ist nur ein Bruchteil der Wahrheit. Doch du bist jetzt bereit, mehr zu erfahren."
Yatsuki zitterte. Sein Atem ging schwer, und seine Gedanken rasten.
Bereit? Für was?
Sein Vater trat näher, legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter, und eine sanfte Wärme durchflutete Yatsuki.
„Als du noch ein Baby warst,"
begann er,
„legte ich ein magisches Siegel auf dich. Es blockierte den Fluss deiner magischen Energie – deiner Affinität. Nicht, weil ich dir misstraute, sondern weil ich wusste, dass unsere Feinde niemals ruhen würden, bis sie dich gefunden haben."
„Feinde?"
flüsterte Yatsuki, seine Stimme zitternd.
„Dieser Mann… er… ist er der Grund, warum du das getan hast?"
Sein Vater schwieg einen Moment, als überlege er, wie viel er sagen sollte. Dann nickte er.
„Er ist ein Teil davon. Doch es gibt mehr, als du dir vorstellen kannst."
Yatsuki fühlte, wie seine Hände sich zu Fäusten ballten.
„Und der Schal?"
fragte er, seine Stimme voller unausgesprochener Emotionen.
„Er ist der Schlüssel,"
erklärte sein Vater.
„Ein Artefakt, das ich speziell für dich geschaffen habe. Es trägt meine Essenz, meinen Willen – meine Liebe zu dir. Mein Mana im Artefakt wird das Siegel lösen. Doch es wird auch die Aufmerksamkeit unserer Feinde auf dich lenken. Du wirst bereit sein müssen."
Yatsuki sah seinen Vater an, seine Brust voller widersprüchlicher Gefühle.
„Und was jetzt? Was soll ich tun?"
Die Gestalt seines Vaters begann, sich aufzulösen, und der Raum um sie herum flimmerte. Doch bevor er verschwand, sprach er noch einmal.
„Jetzt, mein Sohn, liegt es an dir. Suche die Wahrheit, doch wisse, dass sie dich prüfen wird. Es gibt mehr, das du noch nicht gesehen hast. Mehr, das verborgen bleibt – und mehr, das nur du aufdecken kannst."
Mit diesen Worten löste sich seine Gestalt in Licht auf, und Yatsuki blieb allein zurück.. Yatsuki stand wieder allein im blauen Raum, die Worte seines Vaters hallten in ihm nach wie ein Echo.
Die Wahrheit… dachte er.
Aber welche Wahrheit?
Überfordert von den Ereignissen taumelte Yatsuki nach draußen, sein Atem schwer, seine Gedanken ein chaotisches Durcheinander. Die Worte seines Vaters hallten unaufhörlich in seinem Kopf wider, wieder und wieder, bis sie sich zu einer verwirrenden Kakophonie vermischten.
„Das Siegel… die Blockade… der Schal…"
Seine Finger verkrampften sich, während er versuchte, die Puzzleteile zusammenzusetzen. Doch nichts ergab Sinn. Der Schal war nicht immer da gewesen – er war einfach erschienen. Ein gewöhnlicher Schal, den er zufällig auf seinem Bett gefunden hatte. Aber wenn das stimmte…
Warum?
Warum gerade jetzt?
War es Schicksal? Oder hatte irgendjemand dies absichtlich geplant? Eine unsichtbare Hand, die ihn lenkte, ohne dass er es merkte?
Sein Herz raste. Er fühlte sich, als wäre er in einen Ozean gestürzt, ohne zu wissen, wo oben oder unten war. Sein Vater… nein, das war nicht wirklich sein Vater gewesen. Nur ein Echo aus der Vergangenheit, ein Abbild, das durch den Schal zum Leben erweckt wurde.
„Es trägt meine Essenz, meinen Willen – meine Liebe zu dir."
Die Erinnerung an diese Worte brannte in ihm wie Feuer. Sein Vater war nicht mehr da. Und doch hatte er mit ihm gesprochen. Oder zumindest mit dem, was von ihm geblieben war.
Yatsuki schüttelte den Kopf. Es war zu viel. Er musste einen klaren Gedanken fassen.
Er hatte nicht gemerkt, dass ihn seine Füße auf eine weite Wiese geführt hatten. Hier draußen war die Luft frisch, der Wind wehte sanft über das Gras. Aber die Ruhe der Natur stand im starken Kontrast zu dem Sturm in seinem Inneren.
Er blieb stehen, schloss die Augen und atmete tief ein.
„Wenn der Schal wirklich meine Blockade gelöst hat… sollte ich es nicht spüren können?"
Yatsuki legte eine Hand auf seine Brust. Er spürte sein eigenes Herz klopfen, schneller als normal, als wäre es in Erwartung auf etwas Unvermeidliches.
Langsam hob er die andere Hand und konzentrierte sich.
Zuerst war da nur Stille. Doch dann…
Ein leichtes Prickeln.
Ein Flackern in der Dunkelheit seines Geistes.
Und dann – wie eine Welle, die langsam ins Rollen geriet – breitete sich das Mana in seinem Körper aus.
Es war anders als zuvor. Fließender. Stärker. Nicht mehr blockiert, sondern lebendig.
Die Grashalme um ihn herum begannen zu zittern. Ein feiner Windhauch kräuselte seine Haare.
Und dann – rote Blitze.
Sie zuckten um ihn herum, schwach zuerst, doch mit jeder Sekunde kräftiger. Sie summten in der Luft, sprangen von Finger zu Finger, als würden sie ihn testen.
„Das ist… meine Affinität…?"
Ein unbeschreibliches Gefühl durchströmte ihn – Faszination, Staunen, vielleicht sogar Ehrfurcht. Doch mit dieser Erkenntnis kam auch etwas anderes: Ein Druck in seiner Brust, als würde das Mana nicht nur fließen, sondern sich sammeln, aufstauen.
Sein Körper fühlte sich an, als wäre er eine Lunte, die gerade angezündet wurde.
Er öffnete die Augen.
Und in dem Moment brach es aus ihm heraus.
Eine Schockwelle raste über die Wiese.
Das Gras wurde niedergewalzt, Staub wirbelte in die Luft, die Blätter der Bäume rissen sich los und tanzten im aufbrausenden Wind. Die roten Blitze zuckten unkontrolliert um Yatsuki herum, formten einen wirbelnden Sturm aus purer Energie.
Er spürte, wie das Mana aus ihm herausströmte, unaufhaltsam wie ein reißender Fluss. Er wusste nicht, wie er es stoppen sollte.
Er wusste nicht, ob er es überhaupt stoppen wollte.
Von einem Baum in der Ferne aus beobachtete Satoshi die Szene.
Die Windböen zerrten an seinem Mantel, doch er blieb ruhig, beobachtete Yatsuki mit scharfen Augen.
Ein amüsiertes Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Also hat es wirklich funktioniert"
Er verschränkte die Arme.
„Nicht schlecht Junge. Aber jetzt fängt der wahre Kampf erst an."