108 - Gebrochenes Versprechen

Lucian saß auf seinem Bett und hob den Blick, als er das Öffnen der Tür vernahm.

"Haben Eure Hoheit nach mir gerufen?" fragte Suyou zögerlich, seine Stimme klang heiser. Offensichtlich hatte er lange geweint.

"Ich hörte, Ihr wart an ihrer Seite, als sie ..." Lucian stockte, unfähig, den Satz zu vollenden. Alles kam ihm unwirklich vor – wie ein Albtraum, aus dem er nicht erwachen konnte.

"Ja, das stimmt."

"Hat sie vielleicht etwas gesagt? Einen Wunsch geäußert?" Lucians Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, ungewöhnlich leiser als der Ton, den Suyou gewohnt war.

Zunächst konnte Lucian diesem Mann nicht trauen. Stets stand er an der Seite seiner Schwester wie ein wohlerzogener Hund, bereit jeden zu beißen, der seinem Herrchen zu nahe kam. Doch als er von ihrem Tod hörte und jeglichen Halt verloren fühlte, kreiste nur ein Gedanke in seinem Kopf: Vielleicht war es Mord.