Es gibt Dinge, die man im Leben einfach nicht vermeiden kann. Steuererklärungen. Peinliche Familienfotos. Und die Tatsache, dass jeder Mensch irgendwann in einem Outfit landet, das er zutiefst bereut.
Für mich ist es heute soweit. Ich stehe inmitten eines übertrieben glamourösen Ballsaals, umgeben von Menschen, die so aussehen, als wären sie einem royalen Märchenbuch entsprungen, und frage mich ernsthaft, ob ich mir mit diesem Auftritt gerade das gesellschaftliche Todesurteil unterschrieben habe. Denn während alle anderen in funkelnden High Heels oder glänzend polierten Lederschuhen über den Marmorboden gleiten, stehe ich hier in meinen alten, abgetragenen Chucks. Die Schuhe, die meine Stiefmutter als „unfassbare Peinlichkeit" bezeichnet hat. Die Schuhe, wegen denen meine Stiefschwestern mich ansahen, als hätte ich eine Todsünde begangen. Die Schuhe, die absolut nicht in diese perfekte Welt passen. Und genau deshalb liebe ich sie. Natürlich hätte ich einfach nachgeben und die verdammten High Heels tragen können, die Viktoria für mich ausgesucht hatte. Aber dann hätte ich mich in dieser Rolle wiedergefunden, in die sie mich seit Jahren pressen will – als Teil ihrer perfekt inszenierten Familie, die nach außen hin strahlt, während im Inneren alles verlogen ist.
Also nein. Keine High Heels. Keine perfekte Fassade. Nur ich. Und meine Chucks. Die Reaktionen im Saal sind… durchwachsen. Die ersten Gäste werfen mir irritierte Blicke zu. Einige tuscheln. Andere mustern mich, als wäre ich ein Straßenköter, der sich aus Versehen in ein Fünf-Sterne-Restaurant verirrt hat. Livia und Sophia? Die flippen innerlich komplett aus. Ich sehe es an ihren panisch geweiteten Augen, an dem künstlichen Lächeln, das sie aufsetzen, während sie sich anmutig zwischen den Gästen bewegen und so tun, als würden sie mich nicht kennen. Viktoria? Sie steht am anderen Ende des Saals und sieht aus, als würde sie mich allein mit der Kraft ihrer Gedanken vaporisieren wollen. Ich genieße es. Ich genieße es sogar sehr.
„Interessante Schuhwahl." Ich drehe mich um und sehe Adrian, den Prinzen, wie er mich mit einem schiefen Grinsen betrachtet. Natürlich sieht er wieder aus wie der personifizierte Hochglanz-Magazin-Traum. Maßgeschneiderter Anzug, perfekt sitzende Haare, dieser souveräne Ausdruck, als könnte nichts auf der Welt ihn aus der Ruhe bringen.
„Danke", sage ich und nehme einen Schluck von meinem Getränk. „Dachte, jemand muss mal ein Zeichen setzen." „Ein Zeichen?" Ich nicke. „Gegen den Wahnsinn. Gegen die Klischees. Gegen Schuhe, die Frauen dazu zwingen, sich den ganzen Abend den Rücken zu ruinieren, nur weil irgendjemand vor 300 Jahren beschlossen hat, dass Schönheit Leiden erfordert." Er schmunzelt. „Und? Wie läuft es so mit deinem stillen Protest?"
Ich blicke mich im Raum um. Die skeptischen Blicke, die schockierten Gesichter, das Getuschel, das meine Stiefschwestern verzweifelt zu übertönen versuchen. „Ich würde sagen, erfolgreich." Adrian hebt sein Glas. „Auf die Rebellion." Ich stoße mit ihm an. Dann beugt er sich leicht vor. „Du weißt schon, dass das hier vermutlich morgen überall in den Medien sein wird, oder?" Ich zucke die Schultern. „Soll mir recht sein." Er mustert mich kurz, dann lacht er leise. „Weißt du was? Ich glaube, du bist genau das, was dieser Ball gebraucht hat." „Ich weiß." Ich grinse. „Aber du kannst ruhig so tun, als hättest du die Idee gehabt." Er lacht, und für einen Moment fühlt sich dieser Abend fast so an, als könnte er tatsächlich Spaß machen. Fast. Bis meine Stiefmutter in meinem Blickfeld auftaucht. Ich erkenne es sofort. Die Art, wie sie sich durch den Saal bewegt – mit absoluter Kontrolle, mit einer Zielstrebigkeit, die nur eins bedeuten kann: Ich bin dran.
Und ich weiß genau, was gleich kommt. „Ella." Ihre Stimme ist ruhig. Zu ruhig. Ich blicke auf. „Oh, hey, Viktoria. Genießt du den Abend?" Ihr Lächeln ist kalt. „Was genau, glaubst du, tust du hier?" „Tja…" Ich blicke an mir herunter, tue so, als würde ich überlegen. „Ich würde sagen: Stehen, trinken, Gespräche führen." „In diesen Schuhen." „Oh, sind die aufgefallen? Komisch. Ich dachte, niemand schaut hier auf die Füße." Sie atmet langsam ein, als würde sie ihre Geduld sammeln. „Ella. Du bringst unsere Familie in Verlegenheit." Ich nippe an meinem Glas. „Tja, Viktoria, das ist ja mal ein Ding. Ich dachte, das sei dein Job." Für den Bruchteil einer Sekunde verzieht sich ihr Gesicht. „Du bist so unglaublich undankbar", zischt sie schließlich. „Ich habe dir eine Chance gegeben, dich anständig zu präsentieren. Ich habe dir alles gegeben, was du brauchst, um heute Abend nicht wie eine… eine…" „Eine was?" Ich hebe herausfordernd eine Augenbraue. „Eine Person mit eigenem Willen?" Sie presst die Lippen aufeinander. „Du bist eine Schande."
„Oh nein, Viktoria, bitte nicht!" Ich lege dramatisch eine Hand auf mein Herz. „Meine Ehre! Mein Ansehen! Wie werde ich jemals damit leben können?" Ich kann sehen, wie sie innerlich explodiert, aber sie tut ihr Bestes, es sich nicht anmerken zu lassen. Immerhin sind wir in der Öffentlichkeit. „Lass mich dir einen Rat geben, Ella", sagt sie schließlich leise, mit einem Lächeln, das nichts Freundliches an sich hat. „Du hältst dich für lustig. Für unangepasst. Aber in Wahrheit bist du nur eine Fußnote in einer Geschichte, die dich längst überholt hat." Sie mustert mich abschätzig. „Und du wirst nie eine von uns sein." Ich lehne mich vor. „Gott sei Dank." Dann lächle ich, drehe mich um und lasse sie stehen. Adrian, der das ganze Gespräch interessiert mitverfolgt hat, hebt die Augenbrauen. „Das war… beeindruckend." „Danke." Ich nehme einen weiteren Schluck. „Aber ich fürchte, das war erst der Anfang." Denn ich weiß, dass Viktoria das nicht einfach so auf sich sitzen lassen wird. Aber weißt du was? Ich auch nicht.