Flucht mit Stil (oder so)

Ich renne. Meine Füße schlagen laut auf das Pflaster, während ich durch den riesigen Innenhof des Schlosses haste, mein Kleid flattert hinter mir her wie die Fahne einer besiegten Armee. Mein Herz hämmert in meiner Brust, und mein einziger Gedanke ist: Weg. Weg hier, bevor noch irgendwas Schlimmeres passiert. Hinten im Ballsaal herrscht wahrscheinlich das absolute Chaos. Ich kann mir die Schlagzeilen morgen schon vorstellen:

"Geheimnisvolle Chaos-Prinzessin stürzt sich aus königlichem Ball!"

"Wer ist das Mädchen in Chucks und warum rennt sie weg?"

"Fashion-Skandal! Tüll trifft auf Turnschuhe – ist das das Ende der Mode?"

Okay, das letzte ist vielleicht etwas übertrieben, aber angesichts der Reaktionen auf meine Schuhwahl wäre es nicht ganz ausgeschlossen. Ich werfe einen kurzen Blick über die Schulter – keine Verfolger in Sicht. Gut. Ich brauche einen Plan. Erste Option: In einer dunklen Ecke des Schlosses verschwinden, mich in einen Vorhang wickeln und hoffen, dass mich niemand findet. Zweite Option: Ein Taxi rufen und mit dem letzten Rest meines Bargelds so weit wegfahren, wie es reicht. Dritte Option: Einfach weiter rennen, bis ich aus diesem verdammten Kleid falle. Ich entscheide mich für eine Kombination aus zwei und drei. Gerade als ich einen schmalen Seitenausgang erreiche, höre ich hinter mir eine Stimme. „Ella!" Oh nein. Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, wem diese Stimme gehört. Ich habe sie heute Abend oft genug gehört. Adrian. Der Prinz. Der Typ, der mir immer dann über den Weg läuft, wenn ich es am wenigsten brauche. Ich beschleunige meinen Schritt. Vielleicht gibt er ja auf, wenn er merkt, dass ich nicht vorhabe, stehen zu bleiben. „Ella, ernsthaft?" Seine Stimme klingt amüsiert. „Du kannst doch nicht einfach mitten in der Nacht barfuß durch den Hof rennen." Ich bleibe abrupt stehen, drehe mich um und stemme die Hände in die Hüften. „Erstens", sage ich und deute auf meine Füße, „ich bin nicht barfuß. Ich habe noch einen Schuh an." Adrian hebt meinen zweiten, verlorenen Chuck, den er immer noch in der Hand hält. „Und das hier?" Ich schnippe mit den Fingern. „Beweismaterial. Behalte ihn als Erinnerung." Er schüttelt lachend den Kopf und kommt ein paar Schritte näher. „Weißt du, es gibt Leute, die würden das hier als ein Zeichen sehen", sagt er. Ich blinzele. „Ein Zeichen wofür?" „Na ja… Mädchen verliert Schuh, Junge findet Schuh. Klassische Märchenlogik." Ich lache trocken. „Hör zu, Prinz Charming. Nur weil das in irgendeinem veralteten Märchen funktioniert, heißt das nicht, dass es hier genauso läuft." Er grinst. „Also willst du nicht, dass ich dich finde und mit dir eine kitschige Romanze beginne?" „Korrekt. Das Letzte, was ich brauche, ist ein Kerl mit einem Schuhfetisch, der mir nachrennt." Adrian hebt eine Augenbraue. „Und was brauchst du dann?" Ich öffne den Mund – und schließe ihn wieder.

Gute Frage. Ich weiß nur, dass ich nicht hier sein will. Nicht in dieser Welt aus Glitzer, Regeln und lächerlichen Erwartungen. „Ich brauche einfach…" Ich deute in die dunkle Nacht hinaus. „Freiheit." Für einen Moment sieht er mich nur an. Dann seufzt er und reicht mir meinen Schuh. „Dann solltest du wohl gehen."

Ich blinzele überrascht. „Einfach so?"

„Na ja, es wäre ja unhöflich, dich gefangen zu halten." Ich nehme meinen Schuh, ziehe ihn an und richte mich auf. „Ich wusste gar nicht, dass Prinzen so locker mit rebellischen Mädchen umgehen." Er grinst. „Tja, vielleicht bin ich kein typischer Prinz."

Ich schüttle den Kopf. „Definitiv nicht." Stille. Nur das entfernte Geräusch von Musik aus dem Ballsaal.

Dann sage ich leise: „Danke." Adrian hebt eine Augenbraue. „Wofür?" „Dafür, dass du mich nicht aufhältst." Er lächelt schief. „Vielleicht hoffe ich einfach, dass du irgendwann von selbst zurückkommst." Ich rolle mit den Augen. „Sehr clever formuliert." Er lacht. „Ich versuche es wenigstens." Ich ziehe meine Jacke enger um mich, werfe ihm noch einen letzten Blick zu – dann drehe ich mich um und laufe los. Weg von den Kronleuchtern. Weg von den Ballkleidern. Weg von einer Welt, die nicht meine ist. Flucht mit Stil? Nicht wirklich. Aber hey – immerhin mit beiden Schuhen.