Schatten

Emery erwachte in der pechschwarzen Dunkelheit, die ihn umgab. Seltsamerweise konnte er seine Hände und Füße sehen, als wäre er das einzige beleuchtete Ding an diesem kalten Ort. Niemand war in der Nähe, aber das hielt ihn nicht davon ab zu rufen: "Ist da jemand?"

Die Dunkelheit antwortete mit Stille, während seine Stimme von unsichtbaren Wänden widerzuhallen schien.

"Was geht hier vor... vor... vor...!" schrie er.

Dann bewegte sich vor ihm ein Schatten und formte eine Gestalt, das Abbild eines Mannes, den er so sehr vermisste. Emerys Augen wurden feucht, als der Mann seinen Mund öffnete.

"Was machst du hier, Emery?"

"Vater! Du lebst!" sagte Emery, aber eine unbekannte Kraft hinderte ihn daran, näher zu kommen.

"Nein, mein Junge. Ich bin tot. Und du solltest nicht hier sein," antwortete sein Vater mit einem dunklen Ton in seiner Stimme.

"W-was meinst du? Du bist hier, und wir reden miteinander!" Emerys Stimme zitterte.

"Sei nicht albern, mein Junge. Erinnerst du dich, was ich dir gesagt habe?"

Emery versuchte sich angestrengt zu erinnern, bevor er stammelte: "W-werde erwachsen und s-sei stark. Aber wie kann ich das? Ich bin so schwach?"

"Keine Ausreden!" Sein Vater zeigte den strengen Blick, den Emery immer bekam, wenn er ermahnt wurde. Es dauerte jedoch nicht lange, bis das Bild seines Vaters ein warmes Lächeln zeigte und hinzufügte: "Finde einen Zweck, mein Junge. Ich glaube an dich."

"Vater? Vater!" Emery streckte die Hand nach der verblassenden Silhouette seines Vaters aus, die sich in der Dunkelheit auflöste und ihn in der Einsamkeit dieser Düsternis zurückließ. "Zweck?"

Kurz darauf erschien ein weiterer Schatten und formte ein schönes Mädchen mit blonden Haaren. Ein Blick von diesem Mädchen ließ sein Herz für einen Moment aussetzen.

"Prinzessin Gwen," sagte er.

Aber ein Lächeln des schönen Mädchens blieb aus, im Gegenteil, das Mädchen schien vor Wut zu kochen. "Wir können keine Freunde sein, Emery!"

Ein stechender Schmerz durchbohrte sein Herz. Worte, die er nie wieder hören wollte, hallten in der Stille dieses dunklen, leeren Raums wider. Er fasste den Mut, die Worte zu fragen, die er nie die Chance hatte zu sagen.

"Warum nicht?" schrie er zurück.

Als würde dieses Mädchen Kuhmist betrachten, wich sie vor ihm zurück und sagte: "Es-es ist weil... du nicht einer von uns bist! Du bist nur ein schmutziger armer Adeliger, der nicht einmal seinen Vater retten konnte!"

"Aber..." sagte er leise. Er sah sie wieder an. "I-ich kann anders sein!"

"Du bist anders! Du bist nicht einmal ein Mensch!"

Die Gestalt des Mädchens verschmolz mit dem Schatten und verschwand. Hinter ihm ertönte das Brüllen eines wilden Tieres. Er drehte sich um und sah einen riesigen einhörnigen Wolf mit dickem weißem Fell und grünlicher Haut, der ihn wie eine Ameise fühlen ließ, während er aufblickte.

"Was zum—was bist du?"

Der Wolf blickte ihm direkt in die Augen, bevor er sichtbar seinen dampfenden Atem ausstieß und in die Dunkelheit zurückkehrte.

"W-was ist das für ein Ort! Lasst mich raus!" Emery konnte jetzt rennen. Er zerbrach sich den Kopf und versuchte, sich an die letzten Details zu erinnern, bevor er an diesem albtraumhaften Ort ankam. Er konnte sich vage an ein hässliches Gesicht mit großen nach oben gerichteten Reißzähnen erinnern, das einen Speer hielt, der durch seine Brust drang. Emery senkte seinen Kopf und bemerkte das klaffende Loch in der Mitte seines Oberkörpers. Dann machte es irgendwie Klick bei ihm. Er sagte: "Moment, bin ich tot? Bin ich gestorben?"

Ein amüsiertes Lachen hallte in seinem Kopf wider und sagte: "Hahaha. Du bist interessanter als ich dachte, Kleiner."

Aus der Ecke der Dunkelheit näherte sich eine Gestalt ohne Gesicht, nur mit einem Mund, der sich nicht bewegte.

"Wer bist du?"

Die Gestalt schwebte näher und sagte Folgendes, ohne den Mund zu bewegen, wobei die Stimme direkt in seinem Kopf zu hören war: "Ich? Du wirst mich bald vergessen, Kleiner. Wir werden uns bald wiedersehen. Wichtiger ist, es ist Zeit für dich zu gehen."

Nachdem es gesprochen hatte, winkte es mit der Hand und eine Tür mit einem hell strahlenden Licht im Inneren erschien. Emery fühlte sich vom Licht angezogen, als er die Hand ausstreckte und näher trat.

Er durchschritt die blendende Tür und das Erste, was er tun musste, war, alle Luft um ihn herum einzusaugen, als gäbe es kein Morgen. Emery öffnete die Augen und das Gesicht der Frau, die ihn in diese Welt der Magie eingeführt hatte, begrüßte ihn.

"M-Magierin Minerva?" sagte er mit einer Kehle, die so trocken wie eine Wüste war.

"Gut, deine Erinnerung ist intakt. Du bist jetzt in Sicherheit," antwortete sie.

Emery versuchte sich aufzusetzen, aber nach der kleinsten Bewegung durchzuckte ein scharfer, stechender Schmerz seinen ganzen Körper, am stärksten in seiner Brust. Unbewusst versuchte er, das Loch in seinem Oberkörper zu fühlen, aber es war fest; der Beweis dafür, dass er tatsächlich durchbohrt worden war, konnte man an dem zerrissenen Loch in der Mitte seiner Uniform und der großen runden Narbe sehen.

Er bewegte seinen Kopf und erkannte, dass er immer noch mitten im Wald lag. Um ihn herum waren zwei weitere Magier in Uniformen. Dann hämmerte es in seinem Kopf, er konnte vage erkennen, dass er gerade etwas Bizarres durchgemacht hatte, konnte aber einfach nicht zwei und zwei zusammenzählen.

"Diese hier ist schwer verletzt! Sie muss in die nächste Krankenstation! Ihre Hände sind eiskalt!" rief ein Magier, dessen Handflächen Licht auf eine andere junge Akolytin ausstrahlten.

Emery ließ seine Hände von seinem Kopf sinken, versuchte erneut sich aufzusetzen und sagte: "Sie wird doch wieder gesund, oder?"

"Halt sofort still, du Draufgänger! Denk zuerst an dich selbst!" sagte Minerva.

Er hörte jedoch nicht darauf und stellte eine weitere Frage. "Magierin Minerva... Was ist mit meiner anderen Freundin? Geht es ihr gut?"

Eine gereizte Stimme ertönte hinter ihm und sagte: "Von welcher Freundin redest du? Ich bin sicherlich mit niemandem hier befreundet!"

Emery gab ein kleines Schnauben von sich, mit einem halben Lächeln. Zumindest war es für ihn genug zu wissen, dass sie noch genug Energie hatte, um zu versuchen, einen Streit anzufangen.

"Ararara... Teenager... ihr könnt einfach nicht ehrlich sein, oder? Du kamst hier an, kaum noch auf den Beinen, zeigtest wie eine Wahnsinnige dorthin, wo er lag. Jetzt, wo er wach ist, sprichst du, als wäre er besser tot als lebendig! Teenager..." seufzte Minerva und prüfte noch einmal seinen Puls. Silva wandte sich ab, und wenn Emery es besser gewusst hätte, waren ihre Wangen so rot wie ein ausbrechender Vulkan. Minerva kümmerte sich nicht mehr um Silva und sagte: "Deine Verletzungen sehen allerdings nicht so schlimm aus, wie sie erscheinen."

Emerys Augenbrauen zuckten. "Was meinen Sie damit, Magierin Minerva? Ich hatte gerade ein Loch in meiner Brust."

"Nun, was auch immer es war, es ist jetzt weg," wies Minerva ab und stand auf.

Silva, nachdem sie sich beruhigt hatte, betrachtete Emerys Brust genauer und sagte: "Es muss eine Auswirkung der Aktivierung deiner Blutlinie sein. Das muss es sein!"

"Wie auch immer, ihm geht es jetzt gut," sagte Minerva, während sie die Informationen an ihrem Handgelenk überprüfte. "Ihr Kinder solltet jetzt zur Akademie zurückkehren. Wir wissen nicht, ob noch andere in der Nähe sind, also—"

Minerva rief einen anderen Magier, der sich die kopflose Leiche des Orks ansah, und befahl ihm, ein Portal zur Akademie zu öffnen.

"Vergesst eure Sachen nicht," erinnerte Minerva.

Emery nahm die Tasche und das Schwert von einem anderen Magier entgegen, bevor er durch das Portal trat. Nachdem sie hindurchgetreten waren, begrüßte ihn das warme, orangefarbene Leuchten der am Horizont hervorspähenden Sonne. Es war fast Morgengrauen. Jetzt, da er die Tasche, die er hielt, besser sehen konnte, erkannte er, dass es nicht seine, sondern Coles war. Er öffnete sie, Silva lehnte sich herüber, und eine reichliche Menge vierblättriger Mondklee lag still darin.

Silvas Augen leuchteten auf, als sie ihn ansah, hielt ihre Hand auf und sagte: "Zeit, dass du mich für meine Dienste bezahlst."