Als das Auto langsam an ihm vorbeifuhr, konnte Han Yifeng Xi Xiaye undeutlich sehen, die im Auto saß und den Kopf zur anderen Seite gewandt hatte und hinausschaute.
Er zögerte einen Moment. Er überlegte, ob er hinterherlaufen sollte, doch nach kurzer Überlegung beruhigten sich die gemischten Gefühle in seinen Augen. Schließlich kehrte alles in seinen vorherigen ruhigen Zustand zurück.
Plötzlich hörte er neben seinem Ohr das leise Schluchzen von Xi Xinyi.
"Yifeng, ich... habe ich etwas falsch gemacht? Schwester, sie..."
Han Yifeng drehte sich um und sah die Düsterkeit auf dem zarten Gesicht von Xi Xinyi. Ihre schönen Augen waren tränenerfüllt, doch sie biss sich fest auf die Lippe, entschlossen, ihre Tränen zurückzuhalten. Als er dieses Gesicht sah, tat es ihm unweigerlich im Herzen weh.
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er konnte nur seinen Griff um ihre Taille verstärken und sie näher in seine Arme ziehen.
Xi Xinyi umarmte ihn daraufhin und lehnte sich eng an seine Brust, ihr unterdrücktes Weinen gedämpft.
Er blickte nachdenklich auf das Auto, das bereits im nebligen Nieselregen verschwunden war. Dann zog Han Yifeng seinen Blick kalt zurück und konzentrierte sich auf Xi Xinyi, die sich weinend an seine Brust schmiegte. Sein teilnahmsloser Gesichtsausdruck wurde weicher und er sagte sanft: "Schon gut, weine nicht mehr. Wir werden ihr diese Dinge später in Ruhe erklären. Sie ist eine sehr vernünftige Person, sie wird es sehen und verstehen."
"Aber, aber... als ich sie vorhin so sah, war ich wirklich am Boden zerstört. Vater sagt, sie war schon lange nicht mehr zu Hause. Sie gibt Vater und Mutter bestimmt immer noch die Schuld wegen uns..."
"Lass uns jetzt nicht über diese Dinge reden. Steig ins Auto. Onkel und Tante warten im Kaiser auf uns."
Han Yifeng nahm ein Taschentuch aus seiner Tasche und wischte vorsichtig ihre Tränen weg. Er öffnete die Autotür und redete ihr gut zu: "Steig erst mal ein."
Xi Xinyi schniefte und schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter, bevor sie unter Tränen ins Auto stieg.
...
Das Auto fuhr schnell in Richtung Kaiser-Unterhaltungstadt im Norden der Stadt. Während der Fahrt sagte Xi Xiaye nichts. Das Auto war erfüllt von einer unbeschreiblichen Düsterkeit. Es war so bedrückend, dass Su Nan einen bitteren Geschmack in ihrer Kehle spürte.
Sie wollte sie trösten, doch sie sah, dass Xi Xiaye sich bereits zurückgelehnt hatte und weiterhin aus dem Autofenster schaute. Ihre kalten Lippen waren fest verschlossen. Durch die gedämpften Lichter außerhalb des Autos, die sie in verschiedenen Intensitäten widerspiegelten, wirkte sie in diesem Moment, wenn man hinübersah, besonders verlassen und abwesend.
"Xiaye, sei nicht traurig... Es tut mir leid, ich... ich weiß, ich hätte nicht so handeln sollen, aber ich konnte mich wirklich nicht beherrschen. Als ich sie in ihrem billigen Glück sah, konnte ich mich einfach nicht zurückhalten. Ich war kurz davor zu explodieren und verrückt zu werden! Wie können sie immer noch so glücklich leben, ohne sich überhaupt zu schämen, nachdem sie dir so wehgetan haben?"
Su Nan redete wütend drauflos, während sie beide Hände auf Xiayes Schultern legte. Sie blickte auf Xiayes helles und schönes Gesicht, bevor sie ängstlich und besorgt fragte: "Sag mir, Xiaye. Hast du nicht losgelassen? Es sind so viele Jahre vergangen, aber du warst nicht bereit loszulassen und eine andere Beziehung zu versuchen. Ist es, weil du Han Yifeng nicht losgelassen hast? Ist es das? Sag es mir!"
Su Nan schüttelte Xi Xiaye an den Schultern und fragte niedergeschlagen.
Xi Xiaye wurde von ihrem Schütteln schwindelig, also konnte sie nur eine Hand heben, um ihre Hände festzuhalten, die ihre Schultern hielten. Ihre roten, wenn auch leicht blassen Lippen öffneten sich mit einer Stimme voller Müdigkeit und Kraftlosigkeit. "Su Nan, hör auf zu reden. Lass mich einfach für eine Weile allein, okay?"
"Ist es so schwer, diese Frage zu beantworten? Xi Xiaye!"
Su Nan starrte sie fest an.
Xi Xiaye war wie erstarrt. Sie schwieg einen Moment, dann nahm sie plötzlich ihre Hand von Su Nans Armen. Sie drehte sich zu Su Nan um, dachte eine ganze Weile nach, bevor sie schließlich leise sagte: "Er und ich sind längst Vergangenheit..."
Sind längst Vergangenheit...
Sie wusste das alles schon seit langer Zeit. Ihre Umstände waren bereits mit einem Punkt abgeschlossen worden.
...
In der Kaiser-Unterhaltungstadt, dem hochklassigsten und einzigartigen Konsumbereich der Stadt Z.
Hier befanden sich viele geldverschwendende Etablissements reicher Leute. Die meisten von ihnen waren Menschen von Status.
Die Su Familie galt auch als literarische Familie. Su Nans Vater war der Präsident der Universität A, während ihre Mutter die Bildungsverwaltungsdirektorin des Stadtzentrums war. Sie hatten durchaus einen gewissen Status in Stadt Z, sodass Su Nan auch als Tochter einer angesehenen Familie gelten konnte.
Normalerweise besuchte Su Nan häufig den Kaiser, nicht nur weil die Gerichte dort köstlich waren, sondern noch mehr wegen ihres Rundum-Services. Sie war auch mit dem makellosen Kundenservice der Angestellten zufrieden.
Jedes Mal wenn Su Nan Xi Xiaye zum Essen einlud, war es 8 von 10 Mal im Kaiser, sodass Xiaye sich mit der Zeit auch daran gewöhnt hatte. Sie entschied sich sofort für den Kaiser für das Willkommensessen für Su Nan.
Nachdem Essen und Getränke serviert waren, schenkte sich Xiaye einen Drink ein und trank gleich mehrere Gläser auf einmal. Sie sah ziemlich blass aus. Von der Seite betrachtet fühlte die zuschauende Su Nan Herzschmerz und Traurigkeit bei diesem Anblick.
"Trink ein paar mit mir. Heute Abend heiße ich dich willkommen zu Hause. Willst du nicht ein bisschen trinken?"
Xi Xiaye runzelte die Stirn, als sie den Drink in ihrem Glas austrank. Sie wandte sich zu Su Nan, die besorgt aussah, und sagte leise: "Schau mich nicht mit diesem Blick an, der sagt 'Ich hab dir gesagt, mir geht's gut'."
Dann streckte sie die Hand aus und wollte sich noch einen Drink einschenken, doch Su Nan kam ihr zuvor. Sie nahm die Flasche und füllte ihr Glas. Erst dann schenkte sie Xiaye ein halbes Glas ein. Mit heiserer Stimme sagte sie: "Du willst trinken, also trinke ich mit dir, aber du hast einen empfindlichen Magen. Trink weniger. Ein halbes Glas für dich, ein Glas für mich."
Su Nan hob ihr Glas und trank ein paar Schlucke.
Ein schwaches Lächeln huschte über Xi Xiayes Gesicht. Sie blickte plötzlich auf das halbe Glas Getränk vor ihr. "Danke, Su Nan."
Gegenüber Su Nan würde Xi Xiaye für immer dankbar sein. Vielleicht war es nach so vielen Jahren nur Su Nan, die sie begleitet hatte. Wenn der Wind stark war, würde sie sie daran erinnern, sich wärmer anzuziehen. Wenn die Zeiten schwierig wurden, würde sie als erste dort erscheinen. Um mit dir zu trinken und zu plaudern...
Su Nan griff nach Xiayes kalter Hand, die auf dem Tisch lag, und sagte leise: "Dummerchen, müssen wir solche Dinge zwischen uns beiden erwähnen? Xiaye, sei jetzt nicht traurig. Es gibt viele gute Männer auf dieser Welt. Die Erde dreht sich auch weiter mit einem Müllmann wie Han Yifeng weniger, für jemanden wie den. Es ist wirklich nicht der Mühe wert!"
Xi Xiaye antwortete nicht. Sie atmete nur ein, dann wandte sie sich plötzlich zum Fenster. Was in ihr Blickfeld kam, waren die hellen Lichter, die flackernden Neonlampen, die so stark leuchteten, dass ihre Augen zu schmerzen begannen.
Bevor sie in einen Tagtraum verfiel, erinnerte sie sich plötzlich an Han Yifengs teilnahmslose Gestalt, als er damals ging. Egal wie sehr sie sich bemühte, egal wie sehr sie ihren Stolz hinunterschluckte und ihn anflehte zurückzukommen, sie bekam ihn nicht zurück...
'Lass los, Xiaye. Du weißt, dass ich jetzt jemand anderen liebe, und diese Person warst du nicht.'
'Lass uns einander loslassen. Du wirst mit der Zeit vergessen. Ich hoffe, du wirst gut leben. Ich werde mein Bestes geben, um es wieder gutzumachen.'
...
Sie erinnerte sich, dass das Wetter genauso war wie an jenem Tag, als er sich umgedreht hatte, um zu gehen.
Sie erinnerte sich, dass sie ihm damals hatte nachlaufen wollen, aber als sie die Frau sah, die in diesem Auto saß, verlor sie augenblicklich jegliche Willenskraft.
Am Ende rannte sie doch nicht hinterher, um zu fragen warum, oder ließ Han Yifeng ihr einen Grund geben. Stattdessen stand sie die ganze Nacht unter der blassgelben Straßenlaterne und ertrug den Regen die ganze Nacht lang. Erst als sie den Tagesanbruch sah, fühlte sie sich überall steif und taub. Sie lachte benommen über sich selbst für all den Schaden, der angerichtet worden war.
Wegen seiner Gleichgültigkeit beim Umdrehen waren all ihre Hoffnungen zu einer vorüberziehenden Wolke geworden. Was blieb, war ein herzzerreißender Schmerz. Es war ein Schmerz, der bis in die Knochen ging, ein Schmerz, der betäubend war.
Sie fühlte sich plötzlich unglaublich bedrückt und aufgewühlt, ihr erschöpftes und taubes Herz unterdrückte diesen stechenden Schmerz, der schwache Spuren des Wiedererwachens zeigte. Sie konnte es schließlich nicht mehr aushalten. Sie stand auf und sagte zu Su Nan: "Ich gehe kurz frische Luft schnappen."
Su Nan erschrak. Sie wollte aufstehen und ihr nachlaufen, als plötzlich das Telefon in ihrer Tasche klingelte...