Kapitel 3

#Kapitel 3 Ich habe dich aus einem Grund auserwählt

Mein Körper fühlte sich schwerelos an. Ich öffnete meine Augen und wusste nicht, wo ich war. Über mir war ein klarer blauer Himmel ohne Wolken. Es war hell, aber ich konnte die Sonne nicht sehen.

Anstatt aufgehängt zu sein, während mein Blut in die goldene Schale unter mir tropfte, kitzelte Gras meine Haut. Ich setzte mich auf. Überall um mich herum waren sich ausbreitende Hügel mit goldenen und grünen Gräsern, die sanft im Wind wogten. Es roch so gut und frisch. Als ich tief einatmete, fühlte ich für einen Moment Frieden.

Aber dann sah ich nach unten. Mein Körper war mit Narben übersät. Obwohl ich nicht mehr blutete, gab es einen langen Schnitt an meinem linken Arm, wo ich bis auf den Knochen sehen konnte. Ich zitterte, plötzlich kalt und mir meiner Nacktheit bewusst.

Ich wusste nicht, wo ich war oder warum ich keine Kleidung trug.

Ich erinnerte mich an meinen Tod. An den Verrat und die Grausamkeit meiner Zwillingsschwester Jennifer. Der Wolf in mir regte sich, und ich wurde wütend. Ich dachte an sie, die schlimmste Person, die ich je gekannt hatte, wie sie meinen Platz neben meinem Gefährten einnahm. Ich sah die Dunkelheit und das Rot meines Blutes, das mir täglich abgenommen wurde. Ich sah, wie das Leben aus mir in eine goldene Schale floss, und Jennifers Worte: "Mein Alpha wird an seinem Hochzeitstag festlich speisen."

Ich schrie: "Ich bin Alissa Clark!" Meine Stimme hallte um mich herum - kraftvoll, als hätte ich die ganze Stärke des Lebens. Ariana, lange durch Wolfswurz unterdrückt, war stark. Ich stellte mir vor, wie meine Fangzähne über die Haut meiner Schwester streiften, und ich sehnte mich danach, sie zu Ende zu bringen. Ich war um meine Rache betrogen worden.

Ich stand auf und blickte mich in diesem seltsamen, surrealen Ort um. Er war weitläufig und offen, als würden sich die Grasländer endlos bis zum Himmel erstrecken. Die Gräser flüsterten, als der Wind sie liebkoste. Eine Bewegung erregte meine Aufmerksamkeit.

Auf dem anderen Hügel stand eine große Frau mit einem breiten weißen Gesicht und blauschwarzen Haaren, die wie eine Sternennacht glitzerten und ihren Körper bis zu ihrer Brust bedeckten. Ich wusste instinktiv, dass sie die Mondgöttin war. Sie breitete ihre Arme aus, um mich willkommen zu heißen.

Der Wolf in mir zuckte, und ich verwandelte mich in Ariana, sprang frei über die Ebenen. Zum ersten Mal seit Jahren war kein Seil um meinen Hals, keine Wachen, die das Tempo vorgaben, und ich konnte in vollem Galopp über den Boden laufen. Meine Pfoten streckten sich anmutig, als würden sie den Boden kaum berühren.

Als ich bei ihr ankam, verwandelte ich mich zurück in den vernarbten menschlichen Körper. Ich blickte auf die Zeichen auf meiner zerrissenen, verwelkten Haut. Mein Körper brauchte dringend Öl und es fehlte ihm viel von dem jugendlichen Glanz und der Weichheit, die ich bei Jennifer gesehen hatte. Ich erinnerte mich an ihre Worte, die Scham über mein eigenes Aussehen brannte immer noch in meinem Kopf. "Stell dir vor, er paart sich mit dir, wo er doch mich haben könnte."

Ich fiel weinend in die Arme der Mondgöttin. Sie umarmte mich wie eine Mutter ihr Kind. Sie fühlte sich warm und weich an, wie das Licht eines Vollmonds. Ich hatte vergessen, wie es sich anfühlte, geliebt zu werden.

Aber meine Schwester hätte mich lieben sollen. Jacob hätte mich lieben sollen. Sie hatten mich alle verraten. In einer weinenden Wut riss ich mich aus der Umarmung der Mondgöttin. "Warum ich?" Ich wurde wütend und heiß. "Warum hast du mich dieses Leben leben lassen?" schrie ich sie schluchzend an.

Der Raum zwischen mir und der Mondgöttin fühlte sich distanziert und kalt an. Sie wirkte schockiert über meine Wut. Anders als Jennifer verwandelte sich ihr Gesicht in süßes Mitleid und Mitgefühl. "Ich kann deinen ganzen Schmerz fühlen, mein Kind. Es war nicht nur deiner allein."

"Bullshit! Ich war allein! Dein Segen hat mich getötet, siehst du das nicht! Es ist deine Schuld. Scheiß auf dieses reine Blut, scheiß auf den Clark-Clan, besonders auf Jennifer! Scheiß auch auf Jacob!" Meine Atemzüge waren kurz, ich war mir nicht einmal sicher, ob sie meine Worte bei all den Tränen verstehen konnte.

Ich dachte an Jennifers Behauptung, dass Jacob die ganze Zeit Bescheid wusste. Es war schwer, irgendetwas zu glauben, was sie sagte, aber selbst die Möglichkeit tat zutiefst weh.

Sie umarmte mich wieder. Ich ließ es zu, brauchte die Wärme. Zu sehen, dass sich jemand sorgte, brachte mich nur noch mehr zum Weinen.

Dann sagte die Mondgöttin: "Kind, es gibt einen Grund, warum du die Auserwählte warst. Dein Leiden hätte dich stärker gemacht."

"Ich habe nie darum gebeten, die Auserwählte zu sein! Ich will diesen Segen nicht, nimm ihn zurück!" Ich stieß sie weg und zuckte vor dem Verrat zusammen. Es fühlte sich an, als wäre im Leben und jetzt im Tod jeder gegen mich.

Ich fiel in heftigen Schluchzern zu Boden, wie ich es mir in den letzten Jahren nicht erlaubt hatte. Seit ich mich gezwungen hatte, taub zu werden, als niemand je antwortete. Alle Emotionen trafen mich wie eine Flutwelle.

In meiner zusammengesunkenen Position spürte ich ihre Hand auf meiner Schulter und wie sie meinen Rücken rieb. Sie ließ mich lange weinen. Es fühlte sich an, als hätte ich monatelang geweint. Es war mir egal, dass die Mondgöttin mich so sah, ich konnte mich nicht darum kümmern, ich hatte zu viel Schmerz in mir. Sie saß bei mir; sie unterbrach nicht.

Schließlich hörte ich auf. Ich sammelte mich und schaute die Mondgöttin an, die geduldig gewartet hatte, bis mein Weinen endete. Ihr rundes Gesicht war so sanft und freundlich, ihre funkelnden Augen waren voller Tränen - ich erkannte, dass sie mit mir geweint hatte.

Ich wandte meinen Blick von ihr ab, hinaus über die Ebenen. In der Ferne, wo die Hügel den Himmel trafen, sah ich ein großes leuchtendes Tor aus Licht. Es war nur einen Spalt geöffnet. Ich könnte in kürzester Zeit ins Jenseits laufen. Ich war bereit, dass dies vorbei war.

Als könnte sie meine Gedanken lesen, sagte die Mondgöttin: "Es tut mir leid, mein Kind, aber das Tor wird sich jetzt für dich schließen."

"Was meinst du damit? Ich verdiene es nicht, ins Jenseits zu gehen? Nach allem, was du mir angetan hast?" Meine Wut darüber, die Auserwählte zu sein, nur um mit achtzehn gefoltert und getötet zu werden, brannte wieder heiß in mir. "Aber ich habe... so sehr gelitten." Tränen begannen wieder meine Wangen hinunterzulaufen.

"Ich habe dich aus einem Grund auserwählt. Ich muss dich zurückschicken. Du brauchst noch Antworten, und ich brauche dich noch dort."

"Nein! Ich gehe nie wieder zurück! Sieh, was beim letzten Mal passiert ist. Sieh dir diese Narben an und diesen Graben in meinem Handgelenk." Ich streckte den Arm aus, damit sie bis auf meinen Knochen sehen konnte. "Sieh dir mein Gesicht an!" Ich fuhr mit dem Finger das Wort SCHWEIN nach.

"Ich werde dir eine neue Identität geben. Du kannst von vorne anfangen, aber du wirst deine Erinnerungen behalten. Du wirst ein neues Gesicht und ein neues Leben haben. Du hast immer noch einen Zweck." sagte sie ruhig. Ihre Worte wuschen über mich hinweg, und ich stellte mir vor, einen Körper ohne Narben zu haben und frei umherstreifen zu können.

Es war trotzdem erschreckend. Was, wenn alles wieder schief ginge? Ich war kurz davor, es wieder abzulehnen, aber dann spürte ich Ariana. Mein Wolf hatte auch nicht laufen, sich paaren oder leben können. In meinem Hinterkopf flüsterte sie: "Willst du nicht unsere Rache bekommen? Wir sollten uns nehmen, was uns gehört, und sie bezahlen lassen."

Ariana hatte Recht. Ich wusste nicht, welchen Zweck die Mondgöttin für uns hatte, aber ich war mir sicher, dass ich die Antworten bekommen konnte, die ich brauchte, und die Rache, nach der ich mich sehnte. Erst dann könnte ich durch die Tore des Himmels gehen und Frieden finden.

"Ok, ich gehe zurück. Eine Bedingung." sagte ich. Es brach mir erneut das Herz, aber ich hatte Angst vor einem Gefährten. Mein Gefährte hatte mich mit meiner eigenen Schwester betrogen, egal was das Schicksal sagte. Ich wollte diese Bindung nicht, es war Schwachsinn. "Ich will keine Gefährtenbindung. Ich kann einem Gefährten oder irgendeiner vorherbestimmten Liebe nicht mehr vertrauen. Also gehe ich zurück, wenn du mich nicht wieder dazu zwingst."

Zumindest würde ich frei von Jacob sein, oder jedem anderen Gefährten, der mich verraten könnte. Sogar meine Zwillingsschwester hatte mich verraten; wer sollte näher und loyaler sein als eine Zwillingsschwester, die dein eigenes Gesicht teilt? Ich hatte schon ohne Liebe gelebt, also was war schon ein weiteres Leben ohne sie. Wenigstens konnte ich diesmal nicht verraten werden. Ich hatte meinen Zweck, und es war nicht die Liebe.

Die Mondgöttin nickte. In der Ferne sah ich, wie sich die Tore vollständig schlossen. "Wenn du darauf bestehst, kann ich dir das geben."

"Ich bestehe darauf. Ich brauche niemanden."

"Viel Glück, mein Kind," sagte sie.

Ich wurde ohnmächtig.

Ich wachte neben einem Fluss auf. Das kalte Wasser lief über meine Beine. Ich blinzelte zu den Bäumen über mir hoch und fragte mich, ob Jennifer meinen verstümmelten Körper in den Fluss geworfen hatte, um mich für immer loszuwerden. Ich fragte mich, wie die Hochzeit verlaufen war, und ich hoffte, ich hatte ihr Kleid ruiniert.

Noch immer schwach und am ganzen Körper schmerzend, versuchte ich mich aufzusetzen. Als ich mein Gesicht berührte, war es glatt. Als ich an meinem Körper hinuntersah, der noch teilweise von nassen Lumpen bedeckt war, sah ich keine Narben.

Ein junger Mann kam auf mich zugerannt. Er lief ins Wasser, legte seine Arme um mich, teilte seine Wärme und zog mich aus dem kalten Fluss.

"Du lebst," sagte er. Seine Stimme war tief, süß und beruhigend.

Als wir am Ufer waren, blinzelte ich wieder zu ihm hoch. Er sah aus als wäre er in meinem Alter, mit breiten Schultern und dunkelbraunem Haar. Sein Körper war fest und wie der eines guten Kämpfers gebaut. Seine bernsteinfarbenen Augen waren voller Mitgefühl und Sorge.

Während sein Gesicht rau aussah mit einer Narbe von seiner Wange bis zu seinem Hals, waren die Güte und das Mitgefühl in seinen Augen offensichtlich und wunderbar. Ich hatte noch nie zuvor einen anderen Menschen gesehen, der mich so angeschaut hatte.

Trotzdem, konnte ich irgendjemandem vertrauen? Ich zuckte vor ihm zurück.

"Es ist okay, hab keine Angst," sagte er. "Ich bin hier, um zu helfen."