In einem geräumigen Schlafgemach konnte man einen jungen Mann sehen, der auf dem Bett schlief. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen, als ob er einen Albtraum hätte.
Plötzlich öffneten sich seine Augen und er setzte sich abrupt aufrecht hin.
Als er sich umschaute, war er verwirrt und desorientiert.
Er fasste sich an den Kopf und ordnete seine wirren Gedanken.
Ich dachte, ich wäre gestorben, nachdem ich von einem Pfeil getroffen wurde. Wie habe ich überlebt?
Alaric konnte sich noch lebhaft an die letzten Szenen vor seinem Tod erinnern. Die Kameraden, die für ihn gestorben waren, die Feinde, die er niedergemetzelt hatte, und der Pfeil, der ihn schließlich tötete... Er erinnerte sich an alles.
Während er sich an die Szenen dieser Schlacht erinnerte, holte ihn eine Reihe von Klopfgeräuschen an der Tür aus seinen Gedanken.
"Herein."
Alaric war überrascht von der jungen Stimme, die aus seinem Mund kam.
Eine junge Dienerin öffnete die Tür. Sie verbeugte sich vor ihm, sobald sie den Raum betrat.
"Mein Herr, es ist fast Zeit für das Frühstück."
Als er das vertraute und doch fremde Gesicht sah, war Alaric schockiert, Unglaube stand ihm ins Gesicht geschrieben.
"Nana?"
Seine Stimme zitterte, als Emotionen in seinem Herzen aufstiegen.
Die junge Dienerin war verlegen, als sie diesen liebevollen Spitznamen hörte.
Gerade als sie etwas sagen wollte, sah sie, wie Alaric langsam auf sie zukam, seine Augen voller Freude und Schuld.
"B-bist... du es wirklich? Du lebst..."
Alarics Stimme erstickte, als er das junge Mädchen anstarrte.
Sie war Elena. Sie war bei ihm, seit ihre Eltern sie an seine Familie verkauft hatten. Sie war damals erst sechs Jahre alt, während er zehn war.
Anfangs mochte er es nicht, in ihrer Nähe zu sein. Er empfand sie als Störung, aber Elenas aufrichtiges und unschuldiges Herz bewegte ihn.
Er behandelte sie nicht wie eine Dienerin. Er kümmerte sich um sie, als wäre sie seine richtige Schwester.
Doch dann geschah etwas Tragisches. Dieses unschuldige junge Mädchen beging später Selbstmord, nachdem sie wiederholt von seinem Onkel missbraucht worden war. Sie war erst siebzehn, als sie starb. Er erfuhr den wahren Grund für ihren Selbstmord erst einige Jahre später, als sein Onkel in seinem betrunkenen Zustand versehentlich davon sprach.
Als er Elenas kindliches Gesicht betrachtete, nahm Alaric sie in seine Arme und umarmte sie fest.
Als er die Wärme ihres Körpers spürte, konnte er seine Emotionen nicht länger zurückhalten, und Tränen liefen über seine Wangen.
"M-Mein Herr?"
Elena hob überrascht den Kopf, als sie spürte, wie er zitterte. Und als sie sah, dass er weinte, war sie verwirrt.
"W-Warum weinst du, mein Herr?"
Als er ihre besorgte Stimme hörte, lächelte Alaric und streichelte sanft ihren Hinterkopf.
"Ich bin einfach froh, dich wiederzusehen. Ich habe dich so sehr vermisst, Nana..."
Er konnte sich noch an die Tage erinnern, an denen er jedes Mal weinte, wenn er ihr Grab besuchte.
Die Reue und das Bedauern aus seinem früheren Leben machten ihn noch emotionaler.
Elena war verlegen und senkte schüchtern den Kopf.
"H-Hör auf, solche peinlichen Dinge zu sagen, mein Herr. Und bitte nenn mich nicht Nana vor anderen Leuten."
Als er sah, wie sie die Lippen schmollte, und ihre schüchterne Stimme hörte, spürte Alaric die Wärme, nach der er so lange gesucht hatte.
Er wischte sich die Tränen mit den Händen ab.
"Ja. Ja. Ich werde dich nicht Nana vor anderen Leuten nennen." Er lächelte, während er sanft mit seinen Fingern durch ihr Haar strich.
"Hmph! Du neckst mich schon wieder!"
Elena wandte sich von ihm ab und täuschte mit verschränkten Armen Wut vor.
"Schon gut. Schon gut. Ich werde dich nicht mehr necken."
Alaric kniff in ihre aufgeblähten Wangen, was ihm einen weiteren bösen Blick von Elena einbrachte.
Plötzlich sah Alaric sein Spiegelbild im Spiegel.
Er war wie erstarrt.
Im Spiegel war ein junges Gesicht, gutaussehend und voller Kraft - silberweiß zerzaustes Haar, ein markantes Kinn und ein Paar goldene, karmesinrote Augen.
Es war weit entfernt von dem hageren und deprimierten Gesicht, an das er gewöhnt war.
"Elena, welches Datum haben wir heute?" fragte er, seine Stimme zitterte vor Unsicherheit und Verwirrung.
"Das Datum? Hmm... Es ist der dritte August, Jahr 208 des Astanischen Kalenders."
"Jahr 208?!" Alarics Augen weiteten sich.
Unzählige Gedanken blitzten in diesem Moment durch seinen Kopf.
Er war tatsächlich mehr als 10 Jahre in die Vergangenheit gereist!
Da erinnerte er sich an etwas Wichtiges. Er packte Elena an den Schultern und fragte mit einem Hauch von Angst in seiner Stimme: "Wo sind meine Eltern?"
Elena war verwirrt. Er verhielt sich heute Morgen etwas seltsam.
"Seine Lordschaft und die gnädige Frau sollten jetzt in der Speisehalle sein." antwortete sie.
Ohne sich die Mühe zu machen, seine Kleidung zu wechseln, verließ Alaric hastig sein Schlafgemach und ging zur Speisehalle, eine Mischung aus Aufregung und Beklemmung überkam ihn.
"Mein Herr! Warte auf mich!" rief Elena, aber er hielt nicht an.
Die Diener im Flur waren überrascht, ihn in seinem Nachthemd rennen zu sehen, aber Alaric ignorierte sie und ging direkt zur Speisehalle.
Sobald er dort ankam, sah er einen Mann mittleren Alters mit einem hageren Gesicht. Mit breiten Schultern und sichtbaren Kampfnarben an den Armen sah er unglaublich einschüchternd aus. Dieser Mann war kein anderer als Baron Lucas Silberschwert, das derzeitige Oberhaupt des Hauses Silberschwert.
Der Baron war bekannt als das Schild des Nordens wegen seines Engagements bei der Verteidigung der nördlichen Grenze von Astania. Seine starke Kampfkraft festigte auch seine Position als einer der größten Krieger im Reich.
Doch fünf Jahre später, im Jahr 213 des Astanischen Kalenders, würde der mächtige Baron sterben und die Welt voller Bedauern verlassen.
Nach seinem Tod fiel das Haus Silberschwert in die Hände seines Onkels, und Alarics Mutter starb ein Jahr später an ihrer Trauer.
Neben dem Baron saß eine Frau, die Ende zwanzig zu sein schien.
Ihr langes schwarzes Haar fiel über ihre Schultern und sie hatte ein Paar obsidianfarbene Augen, die Sanftmut ausstrahlten. Sie trug sich mit Anmut und hatte diesen einzigartigen Charme einer reifen Frau. Diese Frau war Alarics Mutter, Maria Keller.
Maria Keller war die Tochter eines reichen Kaufmanns. Genau wie ihr Kaufmannsvater war sie auch geschickt in der Geschäftsführung. Es war aufgrund ihrer Bemühungen, dass das verarmte Haus Silberschwert in den letzten Jahren einen anständigen Reichtum ansammeln konnte.
Als er seine Eltern lebendig und wohlauf sah, verspürte Alaric erneut den Drang zu weinen.
Papa... Mama...
Er hatte so viele Worte zu sagen, aber sie steckten in seinem Mund fest.
"Was stehst du da herum? Setz dich."
Die strenge Stimme des Barons drang an sein Ohr.
Sein Vater war genau so, wie er ihn in Erinnerung hatte, streng und kalt. Allerdings wusste Alaric, dass sich hinter seinem strengen Gesicht ein liebevoller Vater und Ehemann verbarg, der alles für seine Familie tun würde.
Alaric hielt seine Emotionen zurück und setzte sich neben seinen Vater.
"Warum bist du noch in deinem Nachthemd?"
Maria fragte besorgt, während sie das Gesicht ihres Sohnes betrachtete.
Lucas sagte nichts, aber es sah so aus, als ob auch er Alarics Erklärung hören wollte.
"Nun ja... ich bin spät aufgewacht..." Alaric fand eine zufällige Ausrede.
"Du solltest heute Abend früh schlafen gehen. Es wird nicht gut für deinen Körper sein, wenn du immer spät schläfst." Seine Mutter erinnerte ihn.
"Ja, Mutter." Alaric lächelte und nickte mit dem Kopf.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er Elena, die ihren Kopf an der Tür herausstreckte und zu ihm hinüberspähte, während sie ein lustiges Gesicht machte.
Alaric winkte ihr zu. "Nana, komm und setz dich neben mich!"
Elena war so schockiert von seinen Worten, dass sie sich sofort versteckte.
Als er das sah, lachte Alaric und schüttelte amüsiert den Kopf. "Papa, Mama, ich möchte Elena einladen, mit uns zu speisen."
Lucas und Maria waren sich der engen Beziehung zwischen Alaric und seiner jungen Dienerin bereits bewusst. In Wahrheit planten sie bereits, sie zu seiner Konkubine zu machen, sobald sie das heiratsfähige Alter erreicht hatte.
"In Ordnung. Sie kann mit uns essen."
Lucas nickte. Dann gab er dem alten Butler, der hinter ihm stand, ein Handzeichen.
"Elena, komm herein und setz dich zu uns," rief Maria sanft, während der alte Butler leise einen Stuhl für Elena holte.
Die junge Dienerin, die sich draußen versteckte, zuckte zusammen, als sie das hörte.
Oh mein Gott!
Sie schrie nervös in ihrem Herzen.
Sie hätte nie gedacht, dass Alaric tatsächlich so kühn den Baron und die gnädige Frau bitten würde, sie zum Frühstück dazuzuholen.
Da sie keine andere Wahl hatte, betrat Elena nervös die Speisehalle. Sie verbeugte sich vor Lucas und Maria, ihre Augen wanderten ängstlich umher.
Inzwischen stellte der alte Butler einen Stuhl neben Alaric und kehrte zu seinem Platz hinter dem Baron zurück.
"Komm her, Nana!" Alaric klopfte auf den leeren Platz neben sich. Er zog ihn sogar näher zu sich heran.
Elena errötete vor Verlegenheit, als sie hörte, wie er sie mit diesem Spitznamen rief.
Grr!! Ich habe ihm gesagt, er soll mich nicht so vor anderen nennen!
Sie senkte schüchtern den Kopf und ging auf den leeren Platz zu.
Nachdem sie sich gesetzt hatte, wagte sie es nicht einmal, den Kopf zu heben.
Es war das erste Mal, dass sie mit ihnen am Esstisch saß, also konnte sie nicht anders, als sich unwohl zu fühlen.
"Entspann dich. Wir werden nur essen."
Sie spürte Alarics warme Hand, die ihren Kopf tätschelte.
"Hör auf, sie zu necken. Du machst sie nur verlegen." Maria warf ihm einen tadelnden Blick zu.
"I-Ich bin in Ordnung, gnädige Frau. Lord Alaric macht mich nicht verlegen. Ich bin nur ein bisschen nervös." Elena verteidigte ihn.
Alaric lächelte seine Mutter selbstgefällig an.
Als er sie streiten sah, verzogen sich die Lippen des Barons nach oben.
Kurz darauf kamen die Diener herein, um ihr Essen zu bringen.