Megastadt I, Sektor III.
Die Sonne brannte auf die Aegis-Akademie herab, ihr grelles Licht reflektierte auf dem rissigen Beton des Platzes, wo die Abschlussklasse 235G zusammengedrängt stand.
Es waren ein paar Jahrhunderte seit der Apokalypse vergangen, und die Narben dieser Zeit waren noch überall in der Stadt zu finden.
Alle Anwesenden waren nervös, als sie dastanden, um das alte Ritual zu bezeugen, das sich gleich entfalten würde.
Heute war die Talent-Erweckungszeremonie, der Tag, an dem diese jungen Menschen ihren Wert in dieser unbarmherzigen Welt entdecken würden.
Talente, übernatürliche Fähigkeiten, die durch das Chaos der Apokalypse erweckt wurden, waren der Schlüssel zum Überleben. Mit ihnen hatte die Menschheit die Monster zurückgeschlagen und sich ein Leben in dieser chaotischen Welt erkämpft.
Talente waren bekannt dafür, Ränge zu haben, die von F bis SSS reichten. Ein mächtiges Talent war ein Ticket für ein gutes Leben, ein Platz unter der Elite der Stadt.
Alle in der Menge wurden absolut still, als sie einen Mann in blauen Roben betrachteten, der die Bühne betrat. Magister Vance, der ergraute Schulleiter der Akademie, hob seinen Stab, dessen Spitze mit einer blauen Kugel versehen war.
Hinter ihm schimmerte ein riesiger blauer Kristall, dessen Oberfläche mit nebulöser Energie wirbelte.
"Der erste Schüler," Magister Vances Stimme hallte über den Platz. "Jace Thornton!"
Ein schlaksiger Junge mit einem Schopf widerspenstiger brauner Haare trat vor, sein Gesicht blass. Er umklammerte die Hand seines Freundes, eines stämmigen Rothaarigen namens Leo, auf seiner Schulter.
"Wünsch mir Glück, Leo," würgte Jace hervor, seine Stimme kaum hörbar.
Mit einem nervösen Lachen drückte Leo Jaces Schulter. "Hau sie um, Kumpel!"
Jace ging zum Kristall, sein Herz hämmerte gegen seine Rippen. Er legte seine zitternde Hand auf die kühle Oberfläche, und die Luft knisterte vor Energie.
Der Kristall pulsierte mit einem intensiven blauen Licht, einem Leuchten, das auch von Jaces eigenem Körper ausging.
Ein schimmerndes Systemfenster materialisierte sich in der Luft vor ihm und zeigte seinen Namen und einen einzigen, leuchtenden Buchstaben: "C."
"Jace Thornton! Erwecktes Talent: Verbesserte Stärke (Rang C)!"
Die Menge brach in Jubel aus. Ein C-Rang-Talent, obwohl nicht der begehrte A- oder S-Rang, war immer noch ein wertvolles Gut. Jaces Brust schwoll vor Stolz an. Er rannte zurück zu Leo. Vorher war er nervös, aber jetzt strahlte er vor Selbstvertrauen.
"Siehst du das, Leo?" prahlte Jace, ein Grinsen auf seinem Gesicht. "Hab ein C-Rang-Talent bekommen. Sieht so aus, als würde ich Teil der großen Liga werden."
Leo brachte ein dünnes Lächeln zustande. "Ja, nun, du wirst deinen alten Kumpel nicht vergessen, wenn du das Leben genießt, oder?"
Jace schnaubte. "Keine Sorge, Bruder. Wir werden einen Platz für dich in meinem neuen Leben finden, vielleicht als meinen Ausrüstungsreiniger."
Magister Vance räusperte sich und brachte die Menge zum Schweigen. "Als Nächstes, Amelia Rose."
Ein Mädchen mit rotbraunem Haar trat vor, ihr Blick auf den Kristall gerichtet. Im Gegensatz zu Jace war sie völlig ruhig und schien bereit, ihr Schicksal zu akzeptieren, was auch immer es sein mochte.
Als sie ihre Hand auf den Kristall legte, senkte sich plötzlich Stille über den Platz. Die Lichtshow wiederholte sich, der Kristall und Amelias Körper leuchteten hell. Diesmal zeigte das schwebende Fenster jedoch einen anderen Buchstaben: "D."
Magister Vance klang enttäuscht, als er sprach. "Amelia Rose – Erwecktes Talent: Elementare Manipulation (Feuer) (Rang D)."
Die gesamte Menge trug einen Ausdruck völliger Enttäuschung auf ihren Gesichtern. Ein D-Rang-Talent reichte kaum aus, um einen anständigen Job zu sichern, geschweige denn ein Leben im Luxus. Amelia blieb jedoch unbeeindruckt. Ihre Augen verengten sich konzentriert, und eine kleine Glut flackerte in ihrer Handfläche und schien der sengenden Sonne zu trotzen.
Magister Vance rief einen weiteren Namen auf, und die Zeremonie ging weiter. In der summenden Menge zog unterdessen ein schönes Mädchen mit fließendem blonden Haar und lila Augen am Ärmel von Alister, einem Jungen, der für sein rabenschwarzes Haar und seine auffälligen gelben Augen bekannt war.
"Alister," sprach sie leise und klang etwas ängstlich, "glaubst du, ich werde ein mächtiges Talent bekommen?"
Alister, der Realist, der er war, bot ein kleines Lächeln an. "Das ist schwer zu sagen, Yanzi. Diese Erweckungen sind bekanntermaßen unberechenbar."
Yanzis Lächeln schwankte, ein Schatten kroch über ihr niedliches Gesicht. Ein mächtiges Talent war der Schlüssel zu einer sicheren Zukunft, etwas, nach dem sie sich verzweifelt sehnte.
"Keine Sorge, Yanzi!" Chase, ein leicht bulliger Typ, der neben Alister stand, warf ein. "Du bist noch nicht dran gewesen! Kopf hoch."
Yanzi bot ein schwaches Lächeln an. "Du hast natürlich Recht. Außerdem," fügte sie hinzu und drückte Alisters Hand fest gegen ihre Brust, "habe ich meinen eigenen Glücksbringer, oder?"
Alisters Wangen erröteten warm. "Yanzi, sag nicht solche Dinge," murmelte er verlegen.
Chase kicherte. "Sie hat aber einen Punkt. Einen Genius wie dich als Freund zu haben, muss auf uns abfärben. Wir sind für Großes bestimmt, nicht wahr, Champion?"
Alister konnte spüren, wie seine Röte unter ihrer Prüfung tiefer wurde. Er galt als Wunderkind, bekannt für seine außergewöhnlichen Ergebnisse im Kampftraining und seine nahezu unübertroffene Kontrolle über seine Mana-Reserven. Die Aufmerksamkeit ließ ihn sich immer selbstbewusst fühlen. Jeder, so schien es, setzte seine Hoffnungen auf ihn, der Star der diesjährigen Erweckungszeremonie zu sein.
Das nervöse Gemurmel der Menge schwoll an, als Magister Vance donnerte: "Yanzi Vance!"
Yanzi drückte Alisters Hand ein letztes Mal, ihre lila Augen funkelten vor Hoffnung und einem Hauch von Angst. "Wünsch mir Glück, Liebling," murmelte sie, ihre Worte jagten einen Schauer durch Alister.
"J-ja, natürlich," stotterte er.
"Viel Glück jetzt, Yanzi!" rief Chase, während er ihr zuwinkte.
Als Yanzi anmutig zum Kristall ging, folgten ihr Flüstern.
"Da ist sie, der Engel der Akademie!"
"Sie ist kein Engel, sondern eine Göttin!"
"Das heißeste Mädchen dieses Jahr, ohne Zweifel."
"Ich frage mich, welche Art von Talent sie bekommen wird?"
"Weißt du, es ist nicht fair, dass Alister sowohl mit Können als auch mit der Liebe unserer Göttin gesegnet ist."
"Ich war untröstlich, als ich zum ersten Mal erfuhr, dass sie ein Paar sind."
Als sie die Bühne erreichte, legte sie ihre Hand auf den Kristall, und der gesamte Platz hielt den Atem an. Die nun vertraute Lichtshow brach aus und hüllte Yanzi und den Kristall in ein ätherisches Leuchten. Aber diesmal zeigte das schwebende Fenster ein anderes Symbol: ein loderndes "A."
Ein kollektives Keuchen ging durch die Menge. Ein A-Rang-Talent! Es war eine seltene und begehrte Kraft, die ihrem Träger immenses Potenzial und ein Leben in Privilegien gewährte. Magister Vances Stimme dröhnte mit einem Hauch von Ehrfurcht: "Yanzi Vance! Erwecktes Talent: Blitzkontrolle (Rang A)!"
Yanzis Gesicht leuchtete vor reiner Freude. Sie eilte zurück zu Alister, ein strahlendes Lächeln erhellte praktisch ihr Gesicht. Sie warf ihre Arme um ihn und rief: "Scheint, als hätte dein Glück doch auf mich abgefärbt!"
Chase pfiff, seine Augen weit vor Bewunderung. "Glückwunsch, Yanzi! Das ist erstaunlich!"
Als der Applaus abklang, strich Magister Vance über seinen Bart, ein nachdenkliches Funkeln in seinen Augen.
Wenn Yanzi, mit ihrer notorisch schlechten Mana-Kontrolle, ein A-Rang-Talent erwecken konnte, dann kann ich nicht anders, als mich zu fragen, was unser Akademie-Wunderkind, Alister, erwecken würde. Der alte Mann lächelte leicht, der Gedanke machte ihn aufgeregt.
In letzter Zeit waren Monster zunehmend mächtiger geworden, was die Top-Gilden der Stadt dazu veranlasste, Druck auf die Akademien auszuüben, ihr Training zu intensivieren, um die Chancen auf das Erwecken mächtiger Talente zu erhöhen.
Im Gegensatz zu dem, was einige glaubten, würde ein mächtiges Talent nicht in einem schwachen Gefäß geboren werden; daher war es immer notwendig, dass Schüler rigoros trainiert wurden, um ihre Chancen zu verbessern. Zumindest dann würden diejenigen, die schwache Talente erweckten, nicht nutzlos sein und könnten immer noch einen grundlegenden Job sichern, wenn sie einen Platz als Gildenmitglied bekämen.
Und so war Alister, mit seinem gut geformten Körperbau, seiner Kampfkunst und seiner ausgezeichneten Mana-Kontrolle, sicherlich dazu bestimmt, ein mächtiges Talent zu erwecken – oder zumindest glaubten das alle.
Magister Vance, der immer aufgeregter wurde, beschloss, die vorbestimmte Reihenfolge aufzugeben, seine Stimme dröhnte über den Platz: "Alister Hazenworth! Deine Zeit ist gekommen!"
Alisters Kiefer klappte herunter. Er hatte nicht erwartet, dass der Schulleiter ihn so plötzlich aufrufen würde. Ein Gefühl von Aufregung und Angst durchströmte ihn.
Hunderte von Augen waren jetzt auf ihn gerichtet, ihre Erwartungen lasteten schwer auf seinen Schultern.
Er straffte seine Haltung, holte tief Luft und schritt auf den Kristall zu.
"Du schaffst das, Liebling! Ich glaube an dich!" rief Yanzi, während sie mit der Hand winkte und ihm Glück wünschte.
"Geh und schreibe Geschichte, Bruder. Erwecke ein bizarres Talent, das alle in sprachlosem Staunen zurücklässt!" sagte Chase, ballte seine Fäuste und sein Körper strahlte praktisch vor Aufregung.
Alister hielt inne und blickte sie kurz an, dann lächelte er und ging weiter zum Kristall.
"Ich schätze, es ist der Moment der Wahrheit, hm?"
"Ich frage mich, welche Art von bizarrem Talent er erwecken wird. Ich meine, Yanzi hat ein A-Rang-Talent erweckt, richtig? Dann sollte er mindestens S-Rang erwecken."
"Wie bizarr wäre es, wenn er ein Müll-Talent erweckt?"
"Auf keinen Fall, sei nicht dumm."
"Aber weißt du, es wäre irgendwie lustig, wenn er es täte."
"Ein Wunderkind mit einem Müll-Talent... das hat einen schönen Klang."
Als seine Hand die kühle Oberfläche berührte, entwich ihm ein Keuchen. Das vertraute blaue Leuchten brach aus, aber diesmal war es anders. Es intensivierte sich mit jeder verstreichenden Sekunde und wuchs zu einem blendenden weißen Licht, das das gesamte Akademiegelände verschlang.
Ein kollektiver Schrei riss durch die Menge, als sie sich beeilten, ihre Augen zu schützen. Das Licht intensivierte sich, verdichtete sich dann in die Form eines kolossalen Drachen, seine Flügel ausgestreckt, sein Brüllen hallte durch die Luft.
Der Boden zitterte unter seinem dröhnenden Gebrüll. Es war eine Talent-Erweckung, wie sie sie bei einer Erweckungszeremonie noch nie erlebt hatten.
Als das Licht langsam nachließ, löste sich der Drache auf und hinterließ eine absolute Stille. Jeder, vom Magister Vance bis zum letzten Schüler, starrte auf den Kristall, ihre Augen weit vor Schock. Beeindruckt und verwirrt wussten sie nicht, was sie von dem halten sollten, was gerade passiert war. Eines war sicher – Alisters Talent musste ein mächtiges sein.
Der Schulleiter trug einen Ausdruck des Schocks, als er sich dem schwebenden Fenster näherte, das Alisters Talent anzeigte. Er räusperte sich, seine Stimme kaum ein Flüstern: "Alister Hazenworth... sein erwecktes Talent ist…"