Yanzi stockte der Atem vor Schreck, als ihre Augen auf die Gestalt fielen, die im Beschwörungskreis stand. Das konnte nicht sein! Die dunklen Gewänder, das schwarze Haar, das im Windstoß um sein Gesicht peitschte... er war es. Alister.
Eine Welle von Emotionen überkam Yanzi. Verwirrung, Wut und ein Hauch von Angst krallten sich in ihr Herz.
Was machte Alister hier? Und was in aller Welt versuchte er zu beschwören? Ihr Blick wanderte zwischen der Gestalt im Kreis und Kai hin und her, der neben ihr stand und einen besorgten Gesichtsausdruck trug.
"Yanzi? Alles in Ordnung?"
fragte Kai besorgt. Er bemerkte, wie sich ihr Griff am Riemen ihrer Tasche verstärkte, ihre Knöchel wurden weiß.
Yanzi öffnete den Mund, um zu sprechen, aber es kamen keine Worte heraus. Ihr Verstand raste und versuchte zu begreifen, was geschah.
Tausend Fragen wirbelten in ihrem Kopf. War das eine Art ausgeklügelter Streich, um sie zurückzugewinnen? Oder beschwor Alister tatsächlich etwas Mächtiges?
Yanzi zwang sich zu einem Lächeln, ihre Stimme klang angespannt.
"Mir geht's gut," log sie.
Ihr Lächeln konnte jedoch nicht standhalten. Der Anblick vor ihnen war erschreckend. Der Riss im Kreis war größer geworden und enthüllte eine massige, obsidianfarbene Kreatur mit glühend roten Augen. Sie streckte massive, bekrallte Hände aus, grub sie in die Ränder des Portals und drückte es weiter auf, ihr Gebrüll hallte durch die Halle.
Panik brach aus. Rufe und Schreie erhoben sich über das Gebrüll der Kreatur, als die Menschen zurückwichen. Eine Gruppe von Männern mit ernsten Gesichtsausdrücken und imposanten Union-Uniformen drängte sich durch die Menge und bellte Befehle.
"Alle zurück! Entfernt euch vom Portal! Dies scheint eine Art Verlies-Durchbruch zu sein!"
"Verlies-Durchbruch?"
"Ich dachte, es wäre eine Beschwörung!"
"Er verursacht einen Verlies-Durchbruch!?"
Yanzi konnte den Tumult kaum wahrnehmen. Ihre Augen waren auf die Gestalt im Kreis fixiert, Alister. Er stand steif da, mit dem Rücken zur Menge, scheinbar ahnungslos gegenüber dem Chaos, das er entfesselt hatte.
Einer der hochrangigen Union-Beamten, ein großer Mann mit ernstem Gesichtsausdruck, durchbrach die Linie der Beamten. Es war Viktor; er erkannte sofort, wer im Zentrum des Kreises stand.
Er schritt an die Spitze der Menge, konnte aber wegen der Windböen und des knisternden Manas nicht zu nahe kommen. Seine Stimme dröhnte über den Tumult.
"Alister! Tritt sofort von diesem Riss zurück!"
Alister, erschrocken von der Stimme, die ihn plötzlich rief, drehte sich endlich um. Seine Augen weiteten sich, als er die Quelle der dröhnenden Stimme erkannte - es war dieser Union-Beamte, der ihn im Krankenhaus besucht hatte.
"Keine Sorge, Herr, ich habe alles unter Kontrolle."
"Unter Kontrolle? Bist du von Sinnen, Alister? Was auch immer für eine Monstrosität hinter diesem Portal lauert, wird dich bei der ersten Gelegenheit verschlingen!" Viktor runzelte die Stirn, als er durch die Windböen schrie und seine Augen abschirmte.
"Ist das die Art, wie du mit deinen Vorgesetzten sprichst, Mensch? Widersetzt du dich dem Willen meines Herrn?"
Eine neue Stimme, tief und mächtig, hallte aus dem wirbelnden Strudel und jagte allen einen Schauer über den Rücken.
Viktor erstarrte, sein Blick auf den Riss gerichtet.
'Hat dieses Monster gerade... gesprochen?' Er blinzelte, momentan geschockt.
"Es scheint, du brauchst Erleuchtung."
Wie auf Kommando riss der Spalt weiter auf und enthüllte einen kolossalen Drachenkopf. Seine Obsidianschuppen glänzten und seine Augen brannten mit einem intensiven roten Glühen. Obwohl viele ihn für einen wahren Drachen hielten, deuteten die Größe und das Fehlen massiver Hörner darauf hin, dass es sich um einen Drake handelte, dennoch ein furchterregendes Raubtier.
Eine Reihe von Keuchen und Gemurmel brach aus der Menge hervor.
"Die Beschwörung ist schiefgegangen!"
"Das ist sicher ein Boss-Monster!"
"Ich dachte, Drachen wären nur Mythen!"
Viktor spürte, wie eine Welle der Furcht über ihn hereinbrach. Eine schaurige Erinnerung tauchte auf – das überwältigende Gefühl des Unbehagens, als der unvorsichtige Alister aus einem eroberten A-Rang Verlies auftauchte.
Was war dieses lähmende Gefühl, das sein Herz zusammendrückte und seine Glieder schwer machte? Er war ein hochrangiger Union-Beamter, ein erfahrener Kämpfer. Dieses Gefühl war ihm fremd.
'Was ist dieses Unbehagen?' dachte er verzweifelt. 'Ich bin ein hochrangiger Beamter, ein mächtiger Kämpfer! Das ergibt keinen Sinn! Warum kann ich mich nicht bewegen?'
"Es ist Angst, Mensch. Absolute, lähmende Angst."
"Du weißt tief in deinem Inneren, dass du nichts bist in meiner Gegenwart."
Die Stimme hallte erneut als Antwort wider und ließ Viktor den Blick mit der Kreatur kreuzen. Er biss die Zähne zusammen und blickte zu den anderen versammelten Beamten. Er bemerkte, dass sie alle verängstigt waren, erstarrt wie er. Obwohl sie versuchten, es zu verbergen, wusste er, dass sie weit davon entfernt waren, in einem solchen Zustand gegen dieses Monster zu kämpfen.
"Hol den Direktor!" schrie Viktor das weibliche Union-Mitglied an und erschreckte sie.
"J-ja," stotterte sie und eilte zum Büro des Direktors.
Als die Frau den Gang hinunter verschwand, stählte sich Viktor. Er würde nicht zulassen, dass seine Angst ihn vollständig lähmte. Er musste ihnen etwas Zeit verschaffen. Mit einem entschlossenen Blick in den Augen wandte er sich wieder dem Portal zu, sein Blick traf den intensiven Blick des Drakes.
Das weibliche Union-Mitglied platzte ohne anzuklopfen in das Büro des Direktors. Der geräumige Raum, normalerweise ruhig und sauber, war jetzt in Unordnung geraten. Papiere waren über den Schreibtisch verstreut, und ein halb gegessenes Frühstück stand neben einer dampfenden Tasse Tee verlassen da.
"Direktor! Da ist... da ist ein Problem!" keuchte sie, ihre Stimme zitterte leicht trotz ihrer Eile.
Der Direktor, Aethel, ein großer, grauhaariger Mann mit einem wettergegerbten Gesicht und durchdringenden blauen Augen, blickte mit gerunzelter Stirn von einem Bericht auf. Er strahlte trotz seiner ruhigen Art eine Aura intensiver Macht aus.
"Beruhige dich, Teia. Was ist los?"
Teia holte tief Luft und versuchte, ihre Gedanken zu sammeln.
"Es ist das Gewerkschaftsgebäude... da ist ein... ein riesiges Monster! Es kam aus einem Riss, der sich auf dem zentralen Platz öffnete, und es versetzt alle in Angst und Schrecken!"
Aethel hob eine Augenbraue. "Ein riesiges Monster? Erläutere, Teia. Von welcher Art Monster sprechen wir?" fragte er ruhig.
Sie rang nach Worten, noch immer erschüttert vom Anblick der monströsen Kreatur.
"Es gab... eine Beschwörung, die schiefging. Ein Riss öffnete sich, und ein... ein Riese war sogar auf der anderen Seite und wollte herauskommen!"
"Es ist... es ist riesig, mit schwarzen Schuppen und glühenden Augen! Viktor denkt, es könnte ein Drache sein!" platzte Teia heraus, ihre Angst ließ sie den Respekt vor dem Protokoll vergessen.
Ein überraschter Ausdruck huschte über das Gesicht des Direktors, wurde aber durch einen ernsten Ausdruck ersetzt. Er fixierte Teia mit seinem Blick, sein Blick intensiv.
"Bist du dir absolut sicher, Teia? Ein Drache im Union-Gebäude? Diese Kreaturen gelten als Mythen, ganz zu schweigen von der höchst unwahrscheinlichen Möglichkeit, dass sich ein Riss im Union-Gebäude bildet."
Teia erwiderte seinen Blick, ihre Angst wurde durch einen Ausdruck von Ernst ersetzt. "Ja, Herr! Ich habe es selbst gesehen. Es ist anders als alles, was ich je zuvor gesehen habe."