Kapitel 7

Wenn die Pferde auch nicht mehr als Reittiere taugten, so gaben sie ein gutes Transportmittel für ihre Last ab.

Auf dem Weg zum Lager fuhren sie im Wagen der Musiker mit. Da sich Marnos Schule nicht einmal einen Tagesmarsch davon entfernt befand, nahmen sie für den Rückweg einen Fußweg in Kauf. Er führte sie über unwegsamen Waldboden, weit ab aller Straßen und möglichen peinlichen Begegnungen für Alina.

Es war genug, das Ero sie so sah, genau wie die Musiker. An die beiden Räuber wollte sie gar nicht denken, die an den Pferden gebunden eher hinterher geschleift wurden, als brav zu folgen.

Ihnen blieb das Mädchen nackt bis zu ihrem Tod in Erinnerung.

Alleine das sorgte dafür, dass Alina am liebsten vor Scham gestorben wäre.

Wieso tat sie das eigentlich?

Sie war ein hübsches Mädchen, das schon längst einen guten Ehemann gefunden haben könnte. Einer der sie auf Händen trug und ihr alles schenkte, was sie wollte. Einen gutmütigen Bauern oder jungen Edelmann.

Ganz sicher nicht Ero, wie viele hofften! Darunter auch ihr Vater, der eine Schule für den Schwertkampf aufgebaut hatte.

Und dort lag ihr Problem!

Zwar mochten die Schüler in letzter Zeit angewachsen sein. Doch hauptsächlich nahmen sie die Kinder einfacher Bauern auf. Nur wenige adelige hatten einen Weg zu ihnen gefunden.

Darunter ihr Kamerad Ero, mit dem ehrenwerten Richter als Vater. Das hieß aber nicht, dass sie gut lief.

Der alterte Ritter hatte es einfach nicht drauf sie gut zu führen, sondern ließ lieber das Töchterchen arbeiten, um ihnen Trainingsmaterialien zu beschaffen und genügend Gold alle Schüler und auch den alten Vater durchzufüttern.

Für ihren Vater war diese Schule sein ganzer Stolz, für Alina bedeutete es Schinderei.

Es gab Momente, in denen der alte Ritter selbst etwas kaufte, dies war aber ein wirklich seltener Moment.

Sie musste weiter auf die Jagd nach düsterem Gesindel gehen. Räuber und Verbrecher. Nur selten bekamen sie eine Spende ihres Königs. Ylias, König von Miro.

In der Armee fanden einige ihrer ausgebildeten Schüler einen festen Platz, dem der König gerne mit Dank entgegen kam.

Die festen Grundsätze ihres Vaters sahen vor, dass seine Schüler schon ein gewisses Alter erreicht haben mussten, bevor die Ausbildung begann. Seiner Meinung nach gehörten Frauen und Kinder nicht an die Waffe.

Bei dem Jungen Ero war es etwas anders.

Er war gerade zwanzig und somit zwei Jahre älter als der jüngste Schüler, hatte seine Ausbildung aber schon seit mehren Jahren beendet, sodass er jetzt selbst unterrichtete. Wenn er nicht gerade bei einem Auftrag an sie gefesselt war.

Eine Ausnahme genau wie bei ihr.

Alina war nicht Marnos leibliche Tochter. Er behandelte sie ohne Ausnahme zu seinen Schülern, wenn nicht sogar ein bisschen härter als diese aber mit der sanften Hand eines richtigen Vaters. Ihre Ausbildung begann im zarten Alter von vier Jahren mit anfänglich eher spielerischen Übungen, an einem aus Holz geschnitzten Schwert.

Sehr schnell zeigte das Mädchen Talent, nicht nur darin. So sah er sich mehr genötigt sie später richtig zu unterrichten. 

Ero fand mit zehn Jahren seinen Weg zu ihnen. Der verwöhnte Bengel, des obersten Richters von Ylora.

Anfangs sträubte sich Marno, den Jungen anzunehmen, um den sicher viele erfahrene Schwertkämpfer warben. Letztendlich setzte sich Beldor durch. In ihm offenbarte sich ein exzellenter Überredungskünstler.

Genau seit diesem Tag wurde Marno – obwohl es eigentlich Alina war, die sich beklagte – den Jungen einfach nicht mehr los. Marno schickte Beldor mehrere Boten darüber, dass die Ausbildung seines Sohnes beendet war und er ihm nichts mehr beibringen konnte aber dieser wollte und wollte ihn einfach nicht nach Hause holen.

Viel lieber sah er ihn an der Seite eines Mädchens aus einfachen Verhältnissen. Seit Jahren hatte er sich in den Kopf gesetzt, die beiden irgendwann verheiratet zu sehen.

Ero und Alina, ausgerechnet zwei, die sich vom ersten Tag ihres Kennenlernens nicht ausstehen konnten. Ein Verhältnis, das sich bis heute kaum gebessert hatte. Obwohl Alina zugeben musste, das tief zwischen allen Differenzen ein festes Band der Freundschaft gewachsen war.

Ohne ihre kleinen Sticheleien wäre ein Tag in ihrem Leben wohl langweilig.

Genau wie jetzt, wo er ihr die ganze Zeit schon den ein oder anderen Blick zuwarf.

„Was ist?", verlangte sie schroff von dem Freund zu erfahren. Dabei brachte sie ihn zum Stehen, indem sie einfach nicht mehr weiter ging.

Ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht.

„Ich warte ungeduldig auf einen Wind, der diesen Hauch von Nichts wegweht", lautete seine ungenierte Antwort.

Was erwartete sie anderes von diesem Jungen?

Nur ein Schnauben kam darauf von ihr. Was konnte sie auch tun, wenn ihre Hände die ganze Zeit mühsam den Stoff oben hielten.

So setzte sie nur ihre Schritte vorwärts, wohl wissend, dass sie erst einem Haufen hungriger Wölfe entging und nun auf den Weg zu einem anderen war.

Einige der Schüler begegneten ihr höflich und nett, ein anderer Teil eiferte darum, wer sie denn eroberte. 

Alina spürte schwer die Hand des Jungen auf ihrer Schulter. Sie blickte zurück in ein Gesicht, dem nicht der Spott von zuvor innewohnte. Nur echte Freundschaft und Sympathie. Recht selten bei ihren gewöhnlichen Neckereien und dem Streit.

Was sie noch mehr verwirrte war, dass er sein Hemd auszog. Sofort wandte das Mädchen den Blick ab, das eigentlich mit Anblick von Jungs gewohnt aufwuchs, die sich in der Schule teilweise sehr offen zeigten und das Mädchen als Kameraden wahrnahmen.

„Ich kenne unsere Schüler", sagte Ero mit einem zauberhaften Lächeln.

Sie war dort das einzige Mädchen und manchmal wünschte sie sich, es gäbe da nicht diese gewissen körperlichen Unterschiede. Genau wie diese Momente, in denen die Jungs versuchten ihr hinterher zu schleichen oder aufdringlich zu nähern. Wozu ein solches Auftreten geradezu einlud.

Der dünne Stoff landete von ihm aus auf ihrem blonden Schopf. Duftender Blütenhonig, so konnte man diese Farbe bezeichnen. Dunkel und golden.

Sie brauchte nichts sagen oder tun, der Junge stülpte sein Hemd über sie, damit es ihren Körper bis über den Po bedeckte.

„Damit musst du weniger verstecken. Und ich will doch nicht, dass meine zukünftige Verlobte die Blicke aller anzieht."

Liebe Worte geschmückt mit einem bissigen Spruch. Immerhin teilte er ebenso wenig wie sie die Heiratspläne ihrer Väter.

„Danke", reagierte sie auf seine Geste.

Er deutete in den Wald hinein. 

„Geh!", wies er an. „Dort vorne fließt ein Bachlauf. Wasch dich. Ich tränke die Pferde weiter oben."

Sie ging nicht sofort los, sondern sah ihm eine Weile nach.

In den zehn Jahren, die sie sich kannten, entwickelte sich der verzogene Bursche zu einem hübschen Jüngling. Selbst Alina fiel es immer schwerer ihn nicht anzusehen, wenn er sich am Brunnen abkühlte, verschwitzt vom Training. Oder wie jetzt ohne Oberteil vor ihr stand.

Trotz allem blieb er für sie nur ein Freund, nicht der Liebste, wie ihre beiden Väter sich erhofften.

Sie setzte ihren Weg in die Richtung fort, zu der er sie leitete.

*** 

Ein kühler Bach schob sich hier durch den Wald. Tief genug, das ihre Füße, sowie ein kurzes Stück ihrer Beine darin Platz hatten.

Zuerst fasste sie ihre beiden Hände zu einer Kuhle, um von dem frischen Wasser ihren Durst zu stillen. Um ihre Wasserbehälter brauchte sie sich nicht zu kümmern, die waren bei Ero und er würde sie mit frischem Wasser füllen, wie auch die Pferde diesen nährenden Quell gerne annahmen.

Als Nächstes entledigte sie sich Hemd und Kleid.

Wieder füllten sich ihre Hände mit klarem Wasser. Alina hob sie an, hielt dann aber inne.

Die spiegelnde Oberfläche warf ein Bild zurück. Nicht das hübsche Mädchen mit der gebräunten Haut, um das so viele der Jungs auf ihrer Schule warben. Nur die Kopfgeldjägerin.

Ein blutbefleckter Engel, wie sie so viele nannten.

In dicken Tropfen sank das Wasser durch ihre Finger, die sich langsam öffneten, sodass das Wasser plätschernd zurück in den Bach floss.

Was dachte sie auch über so etwas nach?

Es war ihre verdammte Arbeit, ihre Pflicht Vater und Schülern gegenüber, die sie dazu trieb. Was blieb ihr sonst übrig? Alleine vom Tanz konnte sie alles nie bezahlen. Genau, wie durch ihren Unterricht nicht genug Geld zusammenkam.

Auch wenn ihnen viele der Bauern dankten, besaßen sie doch nichts, womit sie ihre Ausbildung bezahlen konnten. Und Marno würde ausgerechnet von denen auch nie etwas verlangen. Er war kein Unhold.

Wieder sanken ihre schmalen Hände ins Wasser.

Das kühle Nass wusch nicht nur das Blut von ihr, auch die Gedanken riss es mit sich, bis alles fort war. Ihre Traurigkeit und der Schmerz über die vielen Menschenleben, die diese Hände schon nahmen.

Dabei war sie es selbst, die diesen Weg beschritt. Ihr Vater sah es gerne, dass ihr Talent so nicht brach lag und sie auf dem Weg auch anderen half. Die Könige kümmerten sich seit vierzehn Jahren nicht mehr um Räuber. Seitdem das Amazonendorf damals fiel und sie wieder ihrer Leidenschaft nachgehen konnten.

Den Krieg gegeneinander und die Erweiterung ihrer Reiche, egal wie viele Menschen auf den Schlachtfeldern starben oder wie das Volk schrie. Schwächer als noch vor 14 Jahren.

Nach dieser kühlen Reinigung zog sie wieder Eros Hemd an. Zuletzt riss sie ihr Kleid in Stücke, sodass sie nur noch den Rock hatte, den sie mit einem Knoten um ihre Hüfte band. Damit verringerte sich zwar die Länge um ein paar Finger aber es würde halten, bis sie in die Schule kamen und in ihr Zimmer.

Ihr Blick wanderte zum Himmel.

Es wurde Zeit. Sie mussten weiter. In wenigen Stunden ging die Sonne unter. Bis dahin mussten sie einen Platz für ihr Lager gefunden haben.

 ***

Nicht weit von ihrem ersten Halt entfernt fand sich eine kleine Lichtung mitten im Wald. Genau hier, wo auch der Quell des kleinen Baches entsprang. Zwischen großen Blüten und saftigem Gras.

Hätte sie nicht ihr Problem mit dem Kleid, würde sie die letzten Strahlen der Sonne in einem wundervollen Rot zum Tanzen nutzen. Jetzt ließ sie sich nur auf der Wiese nieder. Ero in ihrem Rücken errichtete mit Seilen zwischen zwei Bäumen ein Zelt für sie beide.

Ihre Gäste würden die Nacht bei den Pferden verbringen müssen. Für Diebe und andere Lumpen machten sie sich keine großen Umstände und auch in der Schule befanden sich nur ein paar kleine Zellen in einem der alten Gebäude für ihre Beute.

„Elendes Pack", entrüstete sich der Dicke lautstark über die Behandlung. Der Andere schwieg.

Alina bekam es nur am Rande mit. Sie zupfte die Blumen zu einem Strauß. Wie gerne sammelte sie in ihrer Kindheit Blumen? So in einem Strauß für ihre Mama.

Alles verging an einem schmerzlichen Tag, wie eine Blume auch irgendwann welkte. Herausgerissen aus ihrem Leben und weggeworfen. Nachdem sie Marno begegnete, hatte sie Schwierigkeiten sich ihm ganz anzuvertrauen.

In Angst, dass auch er sie alleine ließ. Dafür – dass er sie in all der Zeit nie aufgab, liebte sie ihn um so mehr als Lehrmeister und Vater.

Sie presste die Blumen ganz fest an ihre Brust.

Und egal was passierte, sie würde nie mehr zu lassen, dass man ihr einen weiteren geliebten Menschen nahm.

 ***

Schon früh am nächsten Morgen machten sie sich weiter auf die Reise, mit wenigen Pausen. Damit sie und die Pferde sich ausruhen konnten. So erreichten sie schon gegen Mittag die Schule. Das weitläufige Gebiet, das ihr Vater bebaute.

Die Mitte von allem wurde zu einer Arena abgezäunt. Nur ein magerer Holzzaun, dem über die Jahre Wind und Wetter zugesetzt hatten. Die Jungs waren gerade dabei, ihn wieder zu richten.

Neben Kämpfen führte Alina manchmal Tänze dort auf. Meist entzündeten die Jungs dann Lagerfeuer, oder organisierten Schauspiele. Genauso Feierlichkeiten aller Art.

Westlich dieses Platzes lagen die Quartiere der Schüler sowie die Zellen.

Östlich, genau gegenüber der Quartiere hatte Marno sein Haus. Daneben ein paar Häuser für mögliche Gäste.

Im Norden lagen die Stallungen. Dort standen neben Alinas Schimmel Belena und Eros Rappstute Falira 15 weitere Pferde, teilweise von Alina erbeutet oder ihre Schüler brachten sie mit.

Letztendlich der Süden, wo sich das Trainingsgelände befand.

Westen, Osten und Süden mied Alina. Sie wollte keinem der Schüler begegnen, brannte aber auch nicht darauf Marno so wie sie aussah, über den Weg zu laufen. Sodass sie den Weg über die Stallungen und Weiden einschlug. Hier hielt sich um diese Zeit kaum jemand auf.

Ero ließ sie dort zurück. Er konnte sich in Ruhe um ihre Gäste, sowie die Pferde und deren Last kümmern. Sie machte sich auf in Richtung der Quartiere. Ein Komplex aus mehreren Häusern. Einige davon konnten bis zu 30 Schüler beherbergen. Die meisten von Ihnen dienten jedoch für weniger Bewohner bis hin zu einem, wie ihres. 

Sie war eine von Marnos ersten Schülern. Im Laufe der Jahre hatte sich um ihre kleine Hütte eine Art Dorf gebildet, durch dass sie von Hauswand zu Hauswand schlich, nur damit sie mit dieser Bekleidung keiner sah.

Ungewöhnlich erschien ihr, dass sie ihre Vorsicht nach wenigen Schritten aufgeben konnte. Da war niemand, der ihr hinterher schrie oder sie ausspionierte.

Die Quartiere wirkten verlassen, sodass sie unbeschwert den Weg zu ihrem Haus einschlug. Niemand kam ihr dort entgegen. Bis …

„Alina!", brüllte jemand aus Richtung des Trainingsplatzes und links von ihr. Noch ehe sie sich zu ihm umdrehte, konnte sie die Stimme einem ihrer Schüler zuordnen, der nur etwas älter als sie war. Demnach war er auch das erste Jahr an Marnos Schule und wurde dabei des Öfteren von Ero unterrichtet. Ein guter Schüler, der jetzt freudig auf sie zu rannte.

Dabei setzte sie nicht einmal ein Lächeln auf. Sie grüßte Delio wie für gewöhnlich kurz und freundlich.

„Kommst du gerade von einem Auftrag?" Er musterte das Mädchen interessiert, das hier mit recht demoliertem Kleid und hauptsächlich bekleidet von einem Männerhemd vor ihm stand.

„Eigentlich sollte es ein Auftritt werden", gab sie mit einem gezwungenen Lächeln zu. „Du kennst mich ja. Winkt ein nettes Kopfgeld, schaue ich, was ich kriege."

Sein Lächeln darauf erstrahlte so hell, wie der schöne Tag.

„Und wann tanzt du wieder für uns Schüler? Ich bin nicht der Erste, der das wissen will."

Leider musste sie ihn genau da enttäuschen.

„Bringt ihr Ero dazu, mir bei meinen Aufträgen zu helfen, veranstalte ich eine Tanzveranstaltung nur für die Schüler."

Es änderte nichts an seiner Heiterkeit, auch wenn er zugeben musste: „Dann dürfte selbst ich nicht mehr an der Schule sein."

Das sogar die Schüler kaum damit rechneten, Ero sei ihr irgendwann eine wirkliche Hilfe. Andererseits kannte Delio Ero sehr gut. Beide waren Freunde, sodass dieser ihm vielleicht auch anvertraute, wieso er Alina nie die Unterstützung zukommen ließ, wie sie es sich wünschte.

Delio zuckte mit den Schultern. Was er als Nächstes sagte und wie, glich einem viel zu dramatisch arrangiertem Schauspiel.

„In solch einer schnöden Welt will ich nicht leben, wo ich meiner liebsten Tänzerin nicht zuschauen darf. Da gehe ich doch mit Freuden zum Brunnen und springe hinein."

„Ich kann ja eine Ausnahme machen", wandte sie ein. Erhob sogar ihre Hände, nicht ohne ein helles Lachen. „Extra für dich, gebe ich eine private Vorführung."

„Das muss ich gleich den Anderen sagen", jubelte er. „Dann lerne ich auf die Art das Innere unseres Brunnens kennen. Aus Neid hinein gestoßen."

Ein Stück begleitete er Alina zu ihrem Quartier.

Delio war ein lieber Junge, der sie seit seiner Ankunft gerne auf sich aufmerksam machte. Doch leider färbte das Training bei Ero manchmal auf ihn ab, sodass auch er zu dem ein oder anderen Spruch griff, um sie zu necken.

Obwohl er dieses Mal ganz brav war.

„Wo stecken die anderen?", erkundigte sich das Mädchen. „Hat Marno wieder seine Aufträge verteilt?"

Delio nickte, warf mit seinem Grinsen aber mehr Fragen auf, statt sie zu beantworten.

„Marno hat alle, die schon über das dritte Jahr hinaus sind, mit einer Spezialaufgabe bedacht."

„Sag! Womit quält der alte Mann die Jungs jetzt schon wieder?" Es rutschte ihr einfach heraus und Marno wäre wütend auf seine Tochter, würde er sie so reden hören. In jüngeren Jahren hätte sie für ihre freche Zunge sogar eine schallende Ohrfeige bekommen.

Aber es stimmte.

Alina kannte ihren Vater sehr gut. Besonders seine Spezialaufträge, wie er sie selbst betitelte. In ihrer Kindheit hatte sie selbst darunter leiden müssen.

Jage einen Sonntagsbraten für die Schule, hieß es. Fang mir was Saftiges, damit ich mir den Bauch vollschlagen kann, meinte er wirklich. Sowie so mancher der Schüler ihm ein Rendezvous verschaffen sollte. Wobei da Alina ganz erfolgreich war.

Ein süßes kleines Mädchen. Wusste die betreffende Dame nicht, dass Marno sie nur aufgenommen hatte, er somit nicht ihr leiblicher Vater war, hoffte diese auf ein Treffen mit einem außerordentlich grazilen Mann. Ganz und gar nicht das, was dieser Schuft Marno war.

„Ein paar Bauern kamen heute früh zur Schule", berichtete ihr der Junge. „Wilddiebe haben ihre Tiere gestohlen und die Umzäunungen, sowie die Ställe kaputt gemacht. Er, hilfsbereit wie immer, hat fast alle Schüler losgeschickt, die Schäden zu beseitigen."

„Und nebenbei sollen sie schauen, ob sie die Wilddiebe finden, in der Hoffnung, es hat jemand ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt." Alina prustete los.

Wenn dem so wäre, konnte sie sich auf wenig freie Tage freuen.

„Er meint, so etwas müssen sie auch lernen."

Damit war nicht von den Wilddieben die Rede.

„Sollte ein Zaun einer Erneuerung bedürfen, oder irgendeine andere Sache auf dem Hof schief gehen, ist es zu raten Marnos Schüler zu rufen!" Dabei stellte sie sich vor Delio auf, auch wenn von ihrem Ernst nichts mehr geblieben war. „Der Alte muss früher zu oft eine mit dem Schwert übergezogen bekommen haben aber er hat auch recht. Die Bauern können am wenigsten für diesen Krieg. Ist bei ihnen etwas kaputt, können die Jungs ruhig mit anpacken. So bleibt ihnen auch das Mitgefühl mit anderen erhalten."

Nicht so wie manche der Soldaten, denen egal schien, was aus den Bauern wurde. Sie plünderten, mordeten und taten vieles mehr, wovor Marno seine Schüler bewahren wollte. Sie sollten keine solchen Monster werden.

Erst an der Tür zu ihrem Quartier blieben beide stehen.

„Wo ist der Rest unserer Schüler?", erkundigte sie sich bei Delio.

„Beim Training", antwortete er ihr. „Marno sagt, die einen können arbeiten, wir anderen sollen trainieren."

„Und als Tochter unseres geliebten Lehrers Marno frage ich dich jetzt, wieso du nicht beim Training bist!" Dabei erhob sie in gespielter Strenge ihren Finger, ohne dass es etwas an seinem Lächeln änderte. Er begann sogar, ihr sein frechstes Grinsen entgegen zu strecken.

„Oh süße Alina", säuselte er mit honigsüßer aber auch provozierender Stimme. „Als du heute Morgen zum Himmel sahst und die Sonne dein süßes Lächeln erblickte, musst du ihr so gefallen haben, dass sie uns mit ihren Strahlen belohnt."

Er machte eine kurze Pause. Dabei trat er sogar einen Schritt von ihr zurück und noch einen weiteren, beim Weitersprechen, bis er an der Wand eines der anderen Häuser angelangte.

„Und dank dieser wirklich sehr freizügigen Kombination dankt sie uns dafür mit einer Hitze, die selbst in der Hölle für Wärme sorgen muss. Jeder schreit nach Wasser und ich bin der arme Wasserträger."

„Wirst du wohl aufhören mit Ero zu trainieren!", befahl sie ihn jetzt mit ihrer echten Strenge. „Der hat dich netten Jungen zu einen genauso vorlauten Kerl erzogen, wie er einer ist."

Delio lachte heiter wie der Tag auf.

Er hatte wirklich nicht nur die Schwertkunst von Ero gelernt. Dabei dachte man nicht einmal daran, der schmächtige Junge würde einen kräftigen Beidhänder sehr gut schwingen.

Alina erinnerte sich, wie er erst vor ein paar Monaten hierher kam. Ein scheuer Junge, der in der Masse vollkommen unterging. Erst Ero hatte ihn dort herausgerissen und an seinem Talent gefeilt. Darüber nahm er jetzt ein paar Züge seines Lehrers an.

„Übrigens", rief Delio.

Noch ehe er weiter sprach, entfernte er sich langsam von ihr, in die Richtung wo der Brunnen stand, nahe der Koppeln. Ein zweiter befand sich innerhalb der Quartiere, dieser führte aber seit letztem Jahr kein Wasser mehr.

„Marno hat mir aufgetragen, dir ein Bad einzulassen. Er hat damit gerechnet, dass ihr bald hier sein werdet. Deine Tür ist noch offen und du kannst sofort hineinspringen."

Alina sah ihn verirrt an und Delio stoppte einen Moment.

„Der Alte verwöhnt sein kleines Töchterchen, wo er nur kann, dafür, dass er behauptet keinen Unterschied zu seinen anderen Schülern zu machen", rief er ihr laut zu und verschwand dann auch schon hinter einem der Häuser.

Zu ihrem Haus gab es nur zwei Schlüssel. Einen besaß sie, den anderen verwahrte ihr Vater.

Als einziges Mädchen hier, galt ihr das Interesse vieler Jungs. Sodass sie sofort abschloss, nachdem sie eingetreten war. Danach zog sie ihre Vorhänge zu.

Ihr Häuschen, das aus einer Schlafkammer und diesem Raum bestand, wirkte schon von außen durch den hellen Stoff anders.

Ihre Schlafkammer wurde sehr gemütlich eingerichtet. Direkt an der Wand unter dem Fenster stand ein weiches Bett, ganz anders als die Liegen, auf denen ihre Schüler und sogar Ero ruhen mussten. Darüber wurden einige Geflechte aus trockenen Blumen angebracht.

Links und rechts vom Bett zog sich ein Regal bis hoch zur Decke. Dreieckig schmiegte es sich hinein und bot einigem Platz. Skulpturen aber auch Puppen standen hier angerichtet. In Dankbarkeit geschenkt.

Genau gegenüber dem Bett zog sich eine lange Linie aus Truhen und Schränken entlang. Platz für all ihre Kleider, auch wenn deren Anzahl in der letzten Zeit eher schrumpfte. Ganz mit der Tür abschließend, die hier an der Wand entlang zum anderen Zimmer führte.

Daneben, aber noch in der Schlafkammer, war ein prächtiger und großer Spiegel aufgestellt.

Damit erdrückte einen das kleine Zimmer fast, ganz anders wie im größeren, zweiten Raum.

In der Ecke, gegenüber der Eingangstür wartete die gusseiserne Wanne auf sie. Die Wand dahinter erstreckte sich in trostlosem Grau, ohne Fenster. In den kühleren Jahreszeiten brannte im Kamin daran ein prasselndes Feuer, wo jetzt nur Leere herrschte. Abends entzündete sie ihre beiden Leuchter rechts und links davon.

Wie im Nebenraum standen auch hier Truhen und Schränke. Nicht so drängend wie dort, eher spärlich. Kurz vor dem Ausgang stand ein Tisch sowie mehrere Stühle.

Eigentlich dachte Alina noch nicht einmal daran ihn zu schmücken, jetzt zog sich eine Girlande über die Tischdecke. Große Sommerblumen verströmten eine leichte Süße im Raum, gleich einem zarten Willkommenskuss.

Genau, wie auf dem Schemel zu ihrer Badewanne ein üppiger Strauß Blumen erblühte.

Wer wohl dieser Engel sein mochte, der sie mit diesem Geschenk verwöhnte?

Eros Vater Beldor übersandt ihr öfters Geschenke, genau wie er es auch war, der ihr Zimmer einst eingerichtet hatte. Immerhin sollte die zukünftige Verlobte alles haben, was sie brauchte. Im Gegensatz zu seinem eigenen Sohn, der sich mit ein paar anderen Schülern ein Zimmer teilte.

Oder war es Delio, der ihr dieses Geschenk bereitete?

Zuerst schlüpfte sie aus Eros Hemd. Sie ließ es auf einen der Stühle fallen. Als nächstes das Kleid. Oder eher der blutgetränkte Stoff, den sie noch immer trug. Ihr letztes schönes Kleid blieb einfach auf dem Boden liegen. Später würde sie es wegschaffen.

Sie mochte eine junge Frau sein, mit Nadel und Faden, oder welche abenteuerlichen Materialien es noch bedurfte, dieses Kleid wiederherzustellen, konnte sie nicht umgehen. Alina kannte nur den Kampf mit dem Schwert oder ihren Dolchen.

Ihr blieb nur Marno, keine Frau im Leben.

Für einen Moment streifte ihr Körper den Spiegel. Alina sah nicht hin, wusste aber was das Bild zeigen würde.

Ein Mädchen so schön wie der Morgen. Mit samtener Haut, die von jeder Narbe verschont blieb. Niemand sah in ihr eine ernst zunehmende Gefahr, ein Irrtum. 

Ihre Bewegungen waren schnell, ihre zarten Hände nahmen schon so manchem das Leben.

Jetzt öffnete sie damit den Kranz aus Haar um ihren Kopf, dass die Locken in einer Mähne, ungezügelt und wild auf die Schultern vielen. Die Farbe von wildem Honig, dass sie oft mit Blumen schmückte.

Das Gesicht mit zarten Konturen gaukelte ihr im Spiegel jetzt noch öfters vor, sie könnte ihre Mutter erblicken. Dabei wusste sie nicht einmal, ob sie sich nur täuschte, oder sie ihrer Mutter wirklich ähnlich sah. Die in ihren Erinnerungen immer lächelte, obwohl sie solch einen frühen Tod gefunden hatte.

Von ihrem Vater wusste Alina nichts, genauso wie sie sich auch nicht an die Stimme ihrer Mutter erinnerte oder was für ein Mensch sie war.

Alles lag schon so viele Jahre hinter ihr. Sie war auch noch ganz klein, als sie zu Marno kam.

Klar, er hätte diese Last weggeben können, das wussten beide. Und doch konnte er sich nicht von dem Mädchen trennen. Genau, wie sie glücklich war, ihn zum Vater zu nennen.

Marno liebte sie wie sein eigenes Kind und er würde sie auch noch an den Altar und darüber hinaus begleiten, so wie er es sich wünschte.

Dabei konnte sie nichts dazu bringen ihn oder die Schule zu verlassen.

Alina stieg in die Wanne. Das kühle Wasser umspielte ihren Körper mit lauter kleinen Wellen, während sie in dieses Kühle ganz hinabtauchte. Wenig später stieß ihr Kopf wieder an die Oberfläche. Ein Stöhnen verließ ihre Kehle.

Genießerisch schloss Alina die Augen.