Kapitel 9

Auch wenn Ero sagte, er würde hier auf sie warten, kam er gerade wieder zu ihr geeilt. Sein Quartier lag von ihrem etwas entfernt. Er hatte sein Hemd dorthin gebracht und sich wie sie kurz frisch gemacht.

Erst jetzt, wo er nach dem kurzen Sprint bei ihr war, liefen sie gemeinsam zu Marnos Hütte. Früher hatte sie mit ihrem Vater dort gewohnt. Jetzt war dieses Quartier ihr Heim geworden.

Damals, nachdem sie zu Marno fand, war an eine solche Schule noch nicht zu denken. Nach der Gründung lief sie denkbar schlecht. Zwar gaben ein paar der Bauern ihre Jungs zu ihm. Mehr aber um die eigene Familie vor Dieben zu schützen. Der König von Miro betrachtete alles mit gemischten Gefühlen.

Er sah sein Volk ungern mit Waffen.

Einzig der Aussicht auf ausgebildeten Nachwuchs für sein Heer verdankten sie ihr Bestehen.

So schleppten sie sich die nächsten drei Jahre dahin. Der ein oder andere Auftrag für die älteren Schüler fing sie in manchen Zeiten auf.

Einem dummen Zufall und einem arroganten Jungen hatten sie ihre Rettung zu verdanken.

Vor nun mehr 11 Jahren führte der Weg des obersten Richters von Ylora ihn durch Miro. Es stürmte und die nächste Unterkunft war einen weiten Ritt entfernt, sodass ihm diese Ansammlung aus kleinen Häuschen und der Stall sehr gelegen kamen. Begleitet wurde er von seinem jüngsten Sohn.

Er erkundigte sich natürlich ganz genau, wozu dieser Ort diente. Dabei immer sein Sohn an der Seite, der verschlafen ein paar beleidigende Äußerungen von sich gab. Eine Eigenschaft, die so manchem seiner Lehrer die Freude am Unterrichten nahm. Einzig aus Angst vor Beldors Ruf, blieben sie dort und mühten sich mit dem Jungen ab.

Dass sein Vater plötzlich umlenkte und meinte, sein Sohn könne doch hier blieben, gefiel diesem nicht. Ein adeliges Kind zwischen Bauern, da fiel dem Jungen schon Besseres ein.

Zu dieser Zeit wohnte Alina noch bei Marno im Haus. Sie schlief friedlich und sogar der Donner vermochte es nicht sie zu wecken. Dafür aber der plötzliche Radau.

Beldor schrie seinen Sohn an, dann auch mal Marno, wieso der ablehnte. Darauf äußerte Marno lautstark seine Meinung zu Kindern und Waffen, ohne Angst vor dem Amt des Mannes. Und dann noch Ero, der einige beleidigende Worte kannte.

Da half es auch nichts, wenn sie ihren Kopf unter dem Kopfkissen versteckte. Sie fand einfach keine Ruhe zum Schlafen.

So trottete sie hinaus, nur bekleidet mit ihrem Nachthemd.

„Was soll der Radau, alter Mann?", entstieg es in einem langen Gähnen ihrer Kehle.

Sie sah kurz auf den gut gekleideten Richter, danach zu Ero. 

„Ich dachte, du würdest niemals solche Buben unterrichten", rief sie. Schlaftrunken wischte sie sich die Augen. „Du hast doch erst letztens gesagt, dass du dich nicht für solche reichen Buben erwärmen kannst, die nur ziellos mit dem Schwert herumfuchteln."

Kaum beendete sie diesen Satz, fuhr auch schon eine schallende Ohrfeige auf sie nieder.

So doll, dass ein Schmerz heftig in ihrer Wange pochte und Tränen in ihre Augen trieb.

Aber Alina wollte nicht weinen. Sie war stark und wusste ihren Vater mit einem einzigen zornigen Blick zu strafen. Der in dieser geladenen Nacht seine Wirkung verfehlte.

„Schweig Tochter!", knurrte er, den Blick weiter auf seinen Gast gerichtet. „Das ist der ehrenwerte Richter Beldor aus Ylora."

„Wer?"

Trotz des Schlages blieb sie an der Seite ihres Vaters. Dabei drängte sie ihn sogar mit Mühe ein Stück zur Seite, damit sie sich zu ihm auf die Bank setzen konnte. Und kaum hatte sie sich ihren Platz erkämpft, rief der gut gekleidete Mann sie auch schon zu sich.

Natürlich dachte Alina nicht einmal daran, seiner Aufforderung folge zu leisten. Lieber focht sie ein Wettstarren mit dessen Sohn aus.

„Entschuldigt bitte ihre Unwissenheit, sie ist noch ein dummes Kind ohne Anstand. Ich werde ihr später einbläuen, wie man sich in der Gegenwart eines edlen Herren benimmt."

Für Alina erschien es zu dieser Zeit ungewohnt, dass sich der Vater vor jemanden duckte. Noch dazu waren seine Worte davor kräftiger und sie spürte deutlich seinen Griff, der das Mädchen beschützend an sich zog.

„Ist das Mädchen Eure Tochter?", erkundigte er sich. „Unterwegs habe ich von dieser Schule erfahren. Einer meinte sogar, ihr mögt ein guter Ritter sein aber jede Frau würde vor euch davon laufen."

Alina konnte erkennen, wie ein Auge ihres Vaters in Zorn unkontrollierbar zuckte.

Jetzt war er es, der sich zusammenreißen musste.

Dabei war es die reine Wahrheit. Der alte Ritter mochte streng zu seinen Schülern sein, besaß aber ein weiches Herz und half jedem, wo er nur konnte. Auf Frauen wirkte er dafür eher abschreckend.

Frosch, so bezeichnete sie ihren Vater manches Mal.

Seine großen Augen lagen unter buschigen Brauen, und auch wenn er manches in purer Güte sagte, schaute er meist dennoch eher böse. Deswegen hatte sich Alina früher vor ihm gefürchtet.

Die Wangen quellten darunter hervor, denen früher ein wirrer Bart entspross. Dazu die unzähligen Narben vom Kampf, sodass es vielen schwerfiel, in ihm einen Ritter voller Ehre zu sehen.

„Ich rettete einst das hübsche Töchterchen, eines reichen Edelmanns", begann er fröhlich eine oft wiederholte Geschichte, als ob er dieses Mal jemanden gefunden hatte, der sie ihm abkaufte. 

Alina verdrehte die Augen und ließ ihren Kopf auf den Tisch sinken.

„Zum Dank schenkte sie mir ein paar heimliche Nächte, aus denen dieses wirklich putzige Ding hervor ging. Leider verstarb die Mutter kurz nach ihrer Geburt."

Seinem furchterregenden Aussehen zum Trotz versuchte Marno den trauernden Witwer zu mimen, was eher selten gelang. Meist nur, wenn Alina daneben ihre Rolle brav übernahm. In dieser Nacht fand sie dazu keine Lust.

„Bla, bla, bla …" Ein Gähnen ließ diese Worte verklingen.

Eine Kopfnuss sauste auf sie nieder und weckte das Mädchen nun ganz.

„Aua", beschwerte sie sich darauf lautstark.

„Mein herzallerliebstes Töchterchen müsstest du nicht schon längst schlafend im Bett liegen?" Dabei kam Marno ihr mit seinem Gesicht ganz nah.

Eine überdeutliche Anordnung, die besagte, sie solle sofort ins Bett verschwinden und erst wieder heraus kommen, wenn der nächste Morgen anbrach und ihre Gäste verschwunden waren.

So einfach gehorchte sie nicht.

„Liebster Vater, leider ist es mir nicht möglich zu schlafen, wenn unsere Gäste solch einen Krach veranstalten", beschwerte sich das Mädchen in einem lauten Ton.

Beldor zeigte sich nicht schockiert oder belästigt, wie ihr Vater wohl annahm. Eher amüsiert lachte er auf.

„Ein wirklich aufgewecktes Mädchen", erkannte er an. Dabei schenkte er ihr nun seine volle Aufmerksamkeit. „Wie alt ist das Töchterchen?"

„Sieben!", rief sie voller Stolz.

„Und wie lautet dein Name?"

„Alina", antwortete sie jetzt ganz brav, ohne zu verstehen, wieso der Mann am anderen Ende des Tisches sie verwundert ansah.

Und auch Marno verstand es nicht.

„Ist etwas nicht in Ordnung, Herr Richter?", erkundigte sich Marno bei seinem Gast.

„Doch, doch", meinte dieser. Er schluckte, ehe er seine Verwunderung erklärte. „Doch verratet mir, ob Ihr oder die Mutter dieses Kindes ein Verbündeter der Amazonen wart."

Immer noch verstand der andere Mann am Tisch nicht.

Für die Amazonen, deren Geschichte oder ihr Krieg interessierte sich Marno nicht. Alina war es, die näher an ihren Vater rutschte. Sie erinnerte sich noch schwach an Abende am Feuer. Meist schlief sie an der Seite ihrer Mutter aber manchmal konnte sie ihnen lauschen.

Wie sie von allem berichteten, auch die ganzen alten Geschichten. Eine gefiel ihr dabei am besten. Die um eine Verbündete im Namen.

„Alina, so hieß auch die Frau, auf die das berühmte Amazonendorf gründete", erklärte Beldor mit wenigen Worten.

Eine Diebin mit gutem Herzen, die in der Not ihr Lager den Armen öffnete.

Marno zuckte mit den Schultern.

„Vielleicht gefiel ihr der Name einfach nur", bekundete er seine Meinung. Ein kurzer Blick wanderte auf seine junge Tochter. „Ich habe diesen Namen nicht ausgewählt. Sollte er zu Problemen führen, könnte ich ihn noch ändern." Er drehte seinen Kopf zu dem Kind und warf dabei ein paar Namen ein, auf die sich das Mädchen schüttelte.

Nein, sie war Alina und das würde sie auch bleiben!

„Wir sollten zu meiner letzten Bitte kommen", schlug der Richter vor.

Die letzten Minuten hielt er sich zurück, doch jetzt wurde der Junge laut.

„Vater, ich will hier nicht zur Schule gehen!", entrüstete er sich. Dabei weckte er in Alina nur noch mehr den Eindruck eines verzogenen, reichen Bübchens, dass von ihr eine Lektion erwarten würde. „Ich soll zwischen diesem Bauernpack meinen Umgang mit einem Schwert erweitern? Das kannst du mir nicht antun!" Er sah verächtlich auf Marno. „Es sieht eh nicht so aus, als könnte ich hier meine Technik verbessern."

„Ja das sollst und wirst du!", stand für Beldor fest, der die Diskussion mit seinem störrischen Sohn leid war.

„Das wird er nicht", vertrat Marno seine Meinung. „Ich nehme meine Schüler erst mit 18 Jahren auf."

Eine von Marnos goldenen Regeln.

Seiner Meinung nach gehörten Kinder nicht an eine Waffe. Egal was jemand sagte oder tat. Seine einzige Ausnahme war Alina. Sein hübsches Findelkind, das er nicht an irgendeinen Gauner verlieren wollte, egal ob dieser es auf ihre schmalen Habseligkeiten abgesehen hatte oder auf anderes.

„Ich wäre bereit eine stattliche Summe da zu lassen, wenn ihr meinen Sohn unterrichtet."

„Nein!", blieb Marno stur, was den Richter nicht im Mindesten beeindruckte.

Sturheit und Hartnäckigkeit, der Wille alles zu erreichen, zeichnete den obersten Richter schon immer aus.

Er grinste überlegen. Fast so, als hätte er schon längst gewonnen, statt mitten im Kampf zu stecken.

„Ich verstehe, dass ihnen die Schule sehr viel bedeutet. Wie man erkennt, birgt sie sehr viele Kosten. Die Einnahmen werden kaum den Unterhalt für die Schüler decken oder eure Familie nähren. Wohl eher früher als später würdet ihr die Schule aufgeben müssen, um wenigstens eurem Töchterchen ein angenehmes Leben bieten zu können. Ich biete nun meine Hand an, dieser Schule ein solches Ende ersparen zu können."

Durch Marnos Gesicht zogen sich tiefe Falten, wie immer, wenn er an die Situation seines kleinen Traumes dachte. Wie eine Seifenblase drohte sie jeden Moment unter allem Druck zu zerplatzen.

Dabei war der alte Ritter gar nicht mal untätig. Sogar König Ylias suchte er auf, in Hoffnung auf eine milde Spende. Ohne Erfolg. Dass jetzt dieser Mann ihm solch ein Angebot unterbreitete, rüttelte an seinen goldenen Regeln. Sogar die kleine Alina verstand, dass sie unbedingt eine Lösung brauchten, um dieses Leben weiter zu führen.

Am Ende gab er sich dem Drängen des Richters geschlagen.

„Ich werde es tun! Ich unterrichte den Jungen, solange es König Ylias erlaubt."

„Vater, ich bleibe nur hier, wenn mich irgendeiner von diesen Bauern im Schwertkampf besiegt", knurrte der Junge von gerade mal 10 Jahren. Jeden ihrer Schüler körperlich bei Weitem unterlegen.

Aber wenn er eine Lektion wollte, würde sie ihm diese gerne selbst geben. Bittend sah das Mädchen zu ihrem Vater auf. Alina brannte darauf diesem eingebildeten Jungen zu zeigen, dass ihn selbst ein Mädchen besiegen konnte.

Noch mochte sie gegen die älteren Schüler nicht ankommen, wenn diese im Kampf geübt waren. Aber dieses Bübchen war nur etwas größer als sie, da musste das doch möglich sein.

„Der König wird sicher nichts dagegen haben." Beldor wirkte zuversichtlich, auch nachdem er auf seinen störrischen Sohn schaute. „Würde es euch etwas ausmachen ein paar der Schüler zu rufen, um meinen Sohn zu zeigen, dass es darunter talentierte Jungen gibt. Mein kluger Sohn ist da etwas eigen."

Aus dem Blick des anderen Mannes sprach deutlich, dass er diesem verzogenen Balg eine Tracht Prügel wünschte, nicht aber seine Schüler zu wecken. Laut würde er es nie vor dem Richter zugeben.

Bevor er sich fügte, warf er noch keinen kurzen Blick auf seine junge Tochter, die gerne selbst das Schwert ergriffen hätte.

Ihr Vater bestand immer noch darauf, dass sie mit einem Holzschwert trainierte, obwohl sich ihr Talent selbst jetzt zeigte. Nur manchmal konnte sie sich zu den Schülern schleichen und mit ihnen und einem richtigen Schwert üben.

Selbst dort beeindruckte sie so manchen der Jungs.

Wenn ihr Vater das nur einsehen würde.

Betrübt sank ihr Kopf auf die Tischplatte, von der aus sie den Jungen ganz genau betrachtete, der einfach nur da saß. Stur und grimmig drein schauend. Selbst nachdem sein Vater ihm das Schwert gebracht hatte, rührte er sich noch nicht.

Er wollte nicht hier sein und Alina war es recht, wenn er nach einer Demütigung verschwand.

Sie blies nach oben, wo eine Strähne ihres honigblonden Haares einfach keinen anderen Platz finden wollte. Wartend darauf, dass ihr Vater zurückkam.

 ***

Wenig später betrat Marno das Haus wieder, ihm folgend drei Jungen. Der jüngste gerade 20, der älteste 25. Sie alle kannten ihren Lehrer und auch dessen Tochter ganz genau. Dass sie aber nur hergerufen wurden wegen eines verzogenen Buben, hielten sie erst für einen großen Witz.

Keiner von ihnen stand gerade, so wie es der Lehrer von ihnen verlangte. Damit sie sich als seine besten Schüler präsentierten. Von den Jungs sollte einer sogar in die Leibgarde eines Adeligen aufgenommen werden, während die anderen beiden für das Heer ihres Königs vorgesehen waren.

Einer von den Jungs trat einen Schritt heraus.

„Alter, wir kämpfen doch nicht gegen ein Kind!" Der Junge lachte. Schon zeugte Marno davon, wie grob er in der Erziehung seiner Schüler vorging.

Sogar der Junge am Tisch, machte jetzt große Augen, der von jedem bisher mit Samthandschuhen angepackt wurde. Ein Grund mehr für ihn, schleunigst das Weite zu suchen.

Immerhin war er von adeligem Blut. Er gehörte hier nicht her, zu diesen unzivilisierten Barbaren. Denn nichts anderes waren Bauern für Ero zu diesem Zeitpunkt. Diener, keine Kameraden.

Wie gerne hätte ihm Alina beim Abschied zugesehen.

Egal wie sehr sie das Gold benötigten, sie mochte den Jungen nicht, dem hier kein leichtes Leben einer großen Villa erwarten würde.

„Dann wirst du wohl keine Angst haben, dass du gegen ein Kind verlierst", knurrte Marno den Jungen an.

„Gegen das junge Bürschchen verliere ich sicher nicht!", war er überzeugt. Kurz darauf wandte er seinen Blick Alina zu, deren Augen kampfbereit funkelten. „Ich finde nur, du solltest dem kleinen Biest die Freude lassen."

Oh ja, das sollte er und genau für solche Momente besaß sie immerhin ihr eigenes, recht kleines Schwert. Es ruhte im Nebenraum.

Und kaum das sich Marnos Züge erweichten, eilte sie schon hinaus, um es zu holen.

„Meinetwegen", gab er sich geschlagen. „Aber Alina, halt dich zurück"

Die Schwerter lagen nicht offen im Raum, sondern wurden in einer Truhe verwahrt. Tief verborgen unter diversen Kleidern, die sie alle herausheben musste, bis sich auf dem Boden ein rotes Tuch offenbarte. Darin eingeschlagen lag ein Schwert mit leichter Klinge. Perfekt für das schwache Kind und seitdem ihr Vater es letztes Jahr erwarb ihr größter Stolz.

Erst nachdem sie die Kleider wieder verstaut hatte, trat sie zurück in den Raum.

Hier erwartete sie ein Junge, der ihr kaum eines Blickes würdigte. Kein Gegner, wie er ihn sich wünschte. Und ein Mann, der das Mädchen interessiert musterte. Beldor war gespannt darauf, wie sich das alles entwickeln würde. Nur dieses junge Mädchen hielt er kaum für eine echte Herausforderung, die sein Sohn gegenüberstehen würde.

Alina sah sich schon dabei, beide in Erstaunen zu versetzen.

„Ich kämpfe doch nicht gegen ein Mädchen!" Ero verzog nicht einmal seine Miene. Trotzig saß er am Tisch, den Kopf auf seinen aufgestützten Arm ruhend.

„Mein überaus begabter Sohn wird dann doch sicher nicht gegen sie verlieren", meinte Beldor, mehr in Spott auf Ero. „Jetzt steh auf und zeig dem guten Mann, was du schon alles kannst."

Es bedurfte mehrere Schnaufer, ehe er sich überhaupt daran machte, seinen verwöhnten Po vom Stuhl zu heben.

„Aber nicht, dass sie dann anfängt zu weinen." Er zog eine Grimasse für Alina, die nur ihre Backen aufblähte.

Sie würde schon nicht gegen diesen verzogenen Bengel verlieren. Wenn einer der Schüler als Sieger hervorging, war es eine Sache. Aber sich von diesem verwöhnten Kind besiegen zu lassen, kam nicht infrage.

Ihre Finger verkrampften sich um den Griff des Schwertes.

„Keine Sorge, sie zerbricht schon nicht", meinte einer ihrer Schüler. Zuerst beruhigend an den besorgten Richter gewandte, als sein Blick auf Alina fiel, wirkte er eher grimmig. „Die ist kein Mädchen, sondern ein Monster, hinterhältiger als so mancher Teufel."

Dabei waren es viele von ihnen, die zu Anfang ihrer Ausbildung Alina nett behandelten. Ein süßes Kind, das noch mit dem Schwert herumfuchtelte, als sei es ein Stock. Und jetzt waren sie so garstig zu ihr.

Alina schwor sich Rache.

Zuerst zeigte sie sich aber zufrieden, nachdem auf ein Lachen aller Jungs Marno eine Portion Ohrfeigen verteilte.

Gerechtfertigt, wie dessen Tochter fand.

Kaum stand Ero endlich vor ihr, vergeudete er keinen Moment weiterer Diskussion. Er sprang nach vorne, das Schwert in einem gezielten Schwung auf Alina zu, dem das Mädchen gekonnt auswich.

Sie war die Schüler gewohnt. Die älteren Jungs, mit weiter Reichweite, schnelleren und kräftigeren Bewegungen, sodass ihr dieser Kampf schon fast zu einfach erschien.

Ein niedriger Schlag, über den sie sprang, dann ein Stoß nach unten direkt auf das Schwert zu. Sie zog ihre Klinge in einem kräftigen Schwung nach rechts.

Der Junge mochte kräftiger als sie sein, diesen Schlag, der ihm das Schwert schnell entwand, kam für ihn aber unvorhergesehen.

Es schlidderte über den Boden bis hin zum Richter, der überrascht die Augenbrauen hob.

„Sagtet ihr nicht, die Ausbildung am Schwert würde bei euch nicht an Kindern durchgeführt werden?" Er senkte sich hinab, dabei griff seine beringte Hand nach dem Schwert des eigenen Sohnes. Kurz darauf hob er den Blick wieder, interessiert an dem Mädchen, das jetzt zurück an den Tisch gekehrt war. Darauf und direkt vor sich liegend das Schwert.

„Ich bin nur ein besorgter Vater, der möchte, dass sich sein Kind verteidigen kann, egal ob mit Waffe oder Fäusten." Während dieser Worte fuhr seine von Narben gezeichnete Hand durch das lockige Haar des Mädchens.

Auch wenn sie nicht durch Blut verbunden waren, konnte er nicht stolzer auf das Kind sein. Am liebsten hätte er Alina fest in seine Arme geschlossen, sie vor allem Bösen in der Welt beschützt. Aber er wusste, dass ihm das nicht möglich war. Umso wichtiger erschien ihm diese Begabung zu fördern.

Bis sie einen Gemahl fand, dem es wirklich möglich war, sie vor allem zu schützen, was ihr Herz mit Kummer füllen könnte.

Die Schüler verließen mit einem höflichen Wort des Grußes an ihren nächtlichen Gast das Haus.

„Ein wirklich außergewöhnliches Mädchen", fand Beldor. Schon damals fiel ihr sein interessiertes Lächeln auf. Prüfend um jede noch so verräterische Spur eines einstigen Lebens.

Weder heute noch damals verstand sie, was er in ihr suchte.

„Trainiert meinen Sohn und ich kümmere mich um alles Weitere. Was die Könige betrifft und finanzielle Angelegenheiten."

 ***

Seit diesem Tag vergingen viele Jahre, die Ero an ihrer Seite verbrachte. 

Für sie dagegen wurde es zur letzten Nacht, die sie im Haus ihres Vaters verbrachte. Schon am nächsten Morgen jagte er sie heraus, wo sie aus Trotz zuerst im Stall nächtigte, ehe sie ihre Hütte bezog.

Zuvor war sie nie alleine, sondern konnte zu ihrem Vater, wann immer sie in der Nacht Angst hatte oder böse Träume sie quälten. Sie sagte nie etwas, oder wie sie die plötzlich verschlossene Tür verstörte.

Dafür besaß sie noch ihre Stute Belena, die sie manchmal tröstete.

Ero stellte sich wenig später als ein ausgezeichneter Schüler heraus. Talentiert, klug und ehrgeizig.

Zu allem Überfluss entwuchs aus dieser kurzen, ersten Begegnung auch der Wunsch beide Kinder zueinander zu führen. Seinen jüngsten Sohn und das vorlaute Mädchen.

Beldor hatte einen Narren an dem blonden Mädchen gefressen.

Er überschüttete sie mit schönen Kleidern und was ihm gerade gefiel, auch wenn sie nichts damit anzufangen wusste. Seine einzigen Besuche galten ihr, nicht dem Sohn, was die Differenzen zwischen beiden nur noch mehr schürte. Ero kam sich dabei verlassen vor. Immerhin war er für seine Eltern bis dahin ein kleiner Prinz, der Zeit seines Lebens verwöhnt wurde.

Zu Anfang beobachte Marno alles mit Skepsis. Er missbilligte das sogar. Doch sie wurden schnell Freunde.

Nach einiger Zeit unterstütze Marno ihn sogar bei seinen Plänen mit beiden Kindern.

Seit diesem Zeitpunkt hatte sich so wenig verändert. Und Alina mochte es sogar. Nicht das Drängen, sie möge Ero doch noch ihr Herz schenken. Aber alles andere.

Die Freundschaft zwischen Marno und Beldor. Der Richter, der seine Wunschschwiegertochter wie ein eigenes Kind annahm. Ihre Freundschaft zu Ero, mit den kleinen Sticheleien. Nichts davon musste sich für sie ändern.

Und doch bestimmte der Lauf der Zeit seinen eigenen Weg, dem sich so mancher nicht entziehen vermochte.