Faksimile eines griechischen Gottes

Tanias Blick fiel auf ihre Taille, wo sein dicker, muskulöser Arm lag. Die Art, wie seine Arme sich um sie legten, war so, als würde er einen kostbaren Schatz umklammern. Es fühlte sich beschützend an...

Seltsamerweise war es angenehm, seinen Duft nach Salz und Nebel zu spüren. Der kräftige Körper hinter ihr bewegte sich ruhig im Schlaf. Sein Herzschlag glich einem sanften Wiegenlied, und sie widerstand dem Drang, wieder einzuschlafen. Es verwunderte sie, dass ihre Seele sich mit einem unbekannten Gefühl regte, das sie in all ihren siebzehn Sommern zuvor nie gefühlt hatte.

Doch das Gefühl schwand, als die Erkenntnis über sie kam. Sie musste so schnell wie möglich von hier fort, ohne den stärksten Mann zu wecken, den sie je getroffen hatte. Sie war solche Berührungen nicht gewohnt, da sie ein Leben als Sklavin geführt hatte. Wurde sie früher von einem Mann berührt, dann mit einer Peitsche oder einem Stock zur Bestrafung. Wurde sie früher von einem Mann berührt, dann, um ihr einen Teil ihrer Seele zu rauben, nach einem dunklen Zauber. Wurde sie früher von einem Mann berührt, dann floss nur Blut aus ihren Nasenlöchern oder Ohren, aus ihrem Mund oder ihrer Haut. Ein Schauer lief über ihren Rücken. Sie versuchte, nicht zu nachzudenken und zu vergleichen. Nicht alle Männer waren gleich, aber auch nicht alle Männer waren verschieden.

Ihr Blick wanderte wieder zu dem Arm, der fest um sie gewickelt war. Sie hob den schweren Arm an und stellte fest, dass ihr Kleid unter seinem Gewicht lag. Sie drehte sich um, um es hervorzuziehen. Um sich zu befreien, musste Tania ihm ins Gesicht sehen.

In ihren kühnsten Träumen hätte sie sich keinen so herrlichen Mann wie ihn vorstellen können. Er war das Abbild eines griechischen Gottes. Wie konnte er eine solche Vollkommenheit erreichen? Atemberaubend attraktiv, breitschultrig mit einer Haut wie bronzener Samt. Schlafend hinter ihr, strahlte er Stärke und königliche Würde aus. Selbst im Schlaf gebot er Respekt und Autorität. Sein nachtblaues Haar fiel über seine Stirn und berührte zärtlich die Haut seines säulenartigen Halses. Ihr Blick fiel auf seine leicht geöffneten Lippen, und sie merkte, dass sie den Atem anhielt. Seine Lippen hatten die perfekte Form einer Rose. Sie war so gefesselt, dass ein keuchender Atem aus ihr herausbrach und ihr Herz so schnell schlug, dass sie befürchtete, es könne im Nebenzimmer gehört werden. Und er umschlang sie vollständig.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie sie in diese Lage geraten war, doch in ihren verschwommenen Erinnerungen erinnerte sie sich daran, im Dunkeln von einem Wächter gepackt worden zu sein. Sie presste ihre Lippen zusammen.

Verstehen.

"Calman's Hörner!", hauchte sie. Tania schüttelte ihren Kopf, um ihre Betäubung zu vertreiben. Sie musste sich so schnell wie möglich loswinden, ohne zu viel unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Mit aller Kraft hob sie seinen Arm hoch. Eingeklemmt unter einem solch schweren Mann, wand sie sich so gut wie möglich, doch das Herauswinden erwies sich als enorme Anstrengung. Wie ein kleiner Vogel im Käfig unter einem großen, bösen Wolf. Nach einigen Versuchen befreite sie sich, ließ seinen Körper auf die Laken fallen. Der Mann stöhnte im Schlaf; Tania erstarrte in Angst. Wenn er jetzt erwachte, würde er sie dem König übergeben und ihr würde der Tod drohen. Soviel zur erhofften Freiheit.Sie beobachtete ihn aufmerksam, wie er immer tiefer in seinen Schlaf versank, während sie wie angewurzelt auf ihrem Platz ausharrte. Am Rand des Bettes spürte sie ein Ziehen – ihr Kleidersaum hatte sich unter ihm zusammengezogen. Bei Calman's Hörnern! Sorgfältig zog sie ihren Rock wieder gerade, bei jedem Stöhnen, das von seinen Lippen kam, hielt sie inne, und als sie fertig war, schwang sie ihre Füße vom Bett und erhob sich.

Nervös wie ein Hase blickte sie nach draußen. Die Fensterflügel standen offen, und eine sanfte Meeresbrise ließ die dünnen Vorhänge flattern. Sie näherte sich dem Fenster. Draußen war finstere Nacht. Irgendwo unter ihr leuchteten erlöschende Lampen schwach in die Dunkelheit.

Sie ließ ihren Blick über die Umgebung schweifen, schätzte ihren Standort ein. Ihr neuer Verbündeter hatte gesagt, dass es am Ende des Flures einen Ausgang gab. Mit diesem Wissen kalkulierte sie, während sie aus dem Fenster schaute, dass sie sich mindestens im dritten Stock befand. Jeder Atemzug entwich ihr. Der Mond, eine abnehmende Sichel, war im Begriff unterzugehen. Sie hatte kaum noch Zeit, um ihre Mission abzuschließen. Jetzt konnte sie nur noch fliehen. Denn wenn sie jetzt nicht flüchtete, würde sie diesen Ort niemals verlassen.

Tania hob ihre Sandalen auf und schlich auf Zehenspitzen zur Tür. Sie drückte den Griff herunter und öffnete sie leise. Als sie hinaustrat, dachte sie daran, dass der Mann, der auf dem Bett zusammengefallen war, Prinz Rigel sein könnte. Statt zu gehen, wagte sie noch einen Blick auf sein Gesicht, auf Anzeichen dafür, dass er der Avatar eines Gottes sein könnte. Sie musterte ihn gründlich. Nichts verriet seine Identität. Kein Glanz umgab ihn, kein seltsames Licht ging von seiner Stirn aus, wie Menkar es immer behauptet hatte.

Er sah ... völlig normal aus. Das konnte nicht sein. Wenn er der Avatar eines Gottes gewesen wäre, müsste da etwas anderes an ihm sein, etwas Göttliches. Oder? Was sie nicht ahnte, war, dass der Mann ein notorischer Trinker war.

Tania presste die Zähne aufeinander und huschte dann eilig aus dem Zimmer. Zu ihrer Erleichterung war der Mann, wer er auch sein mochte, nicht aufgewacht; zu ihrem Kummer würde sie aber die Strafe von Menkar zu spüren bekommen. Ihr Körper bebte. Menkar wusste, wie man sie grausam züchtigte.

Ein Gefühl aufsteigenden Schreckens kroch ihr den Rücken hinauf. Sie überlegte kurz, was schlimmer wäre – im Palast im Königreich Draka zu bleiben oder ins Zisterzienserkloster zurückzukehren. Sie lachte kurz auf. Hatte sie überhaupt eine Wahl? Menkar besaß etwas von ihr, das sie niemals aufgeben könnte. Sie atmete grob aus und konzentrierte sich wieder auf ihre bevorstehende Aufgabe, diesem Ort zu entfliehen. Sie schärfte ihre Sinne, um die Gefahren zu erahnen, die vor ihr lauern könnten.