Rette die Prinzessin!

Daphne hatte - glücklicherweise - nicht die Chance zu antworten. Noch bevor sie ihre Gedanken ordnen konnte, donnerte eine Serie von Klopfgeräuschen an der Tür, die sie von der Außenwelt trennte, und ließ Daphne zusammenzucken, wo sie saß.

Atticus' Kopf drehte sich blitzschnell zur Tür, auf seinem Gesicht lag ein finsterer Ausdruck.

"Wer wagt es, meine Hochzeitsnacht zu stören?", donnerte er. Wenn Blicke töten könnten, wusste Daphne, dass niemand die Person retten könnte, die soeben an ihre Schlafzimmertür geklopft hatte.

"Eure Hoheit!" Eine panische Stimme war draußen zu hören. "Wir haben Eindringlinge im Schloss!"

Atticus verdrehte genervt die Augen in Richtung der Tür. "Das ist alles? Ich dachte, es wäre ein Notfall."

Hoffnung keimte in Daphnes Herz auf. Eindringlinge? Nein, es musste eine Rettungstruppe sein, die gesandt wurde, um sie zu retten, nachdem sie festgestellt hatten, dass sie nicht rechtzeitig ankam.

Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in diesem verfluchten Königreich lächelte sie aufrichtig.

An der Tür waren Kampfgeräusche zu hören, aber König Atticus wirkte nur verärgert.

"Das ist ein Zeichen, dass unser Bund nicht vom Himmel gesegnet ist", stellte Daphne spitz fest, während sie vom Bett sprang und mit dem Leuchter in der Hand an den Rand des Raumes huschte. "Du hättest wissen müssen, dass das Entführen einer königlichen Braut Folgen haben würde."

"Komm zurück hierher. Es ist gefährlich", forderte Atticus, eine echte Falte grub sich in seine Stirn – weit entfernt von seiner sonst so überheblichen Miene. Es erfüllte sie mit Genugtuung, dass er endlich nach allem, was er ihr angetan hatte, eine Art Unannehmlichkeit erlebte.

"Nein danke", sagte sie überlegen und erfreute sich an der plötzlichen Wendung der Ereignisse. Seit sie in Vramid angekommen war, hatte König Atticus immer die Oberhand. Endlich hatte Daphne das Gefühl, einen Schritt voraus zu sein.

"Steh nicht so da", warnte Atticus, doch es war bereits zu spät.

Ein lautes Krachen hallte durch den Raum. Ein maskierter Mann hatte die Glasscheibe des Fensters zerschlagen und sprang durch die entstandene Öffnung. Seine Augen schweiften durch den Raum, seine Augenbrauen waren tief zusammengezogen, bis sein Blick auf Daphne fiel, die sichtlich zitterte.

Daphne schrie auf und zuckte beim scharfen Geräusch des zerbrechenden Glases zusammen, in voller Erwartung, von Glasscherben überschüttet zu werden. Zu ihrer Überraschung kamen die Scherben nie bei ihr an.

Sie öffnete ein wachsames Auge und sah, wie mehrere Scherben in der Luft schwebten.

König Atticus hatte seine Hand ausgestreckt, sein Gesicht war zu einem Knurren verzogen. Der kleine Obsidianstein in seinem silbernen Ring leuchtete, schien geradezu zu glimmen. Das war die Quelle seiner Macht. Und offensichtlich war er so mächtig, dass er Objekte einfach in Bewegung einfrieren konnte, als wäre es nicht anspruchsvoller als das Heben eines Fingers.

Daphne war erleichtert, dass er sie davor bewahrt hatte, geschnitten zu werden, aber dann erinnerte sie sich, dass sie ohne ihn gar nicht in einer solchen Lage gewesen wäre.

Zudem bestätigte diese eindrucksvolle Machtdemonstration wieder einmal, was sie bereits vermutet hatte. Der Machtunterschied zwischen ihnen war so groß, dass Daphne keine Chance hatte, ihm allein zu entkommen. Die Magie, die er so mühelos anwandte, konnte sie selbst nach jahrelanger vergeblicher Anstrengung nicht einmal ansatzweise beherrschen.

Was für eine jämmerliche Prinzessin sie doch war. Selbst ihre eigene kleine Zauberkraft wurde durch seine bloßen Hände zunichtegemacht."Prinzessin!", rief der maskierte Eindringling. "Wir sind hier, um..."

"Ihr seid hier, um was zu tun?" schaltete sich Atticus ein, mit einem spöttischen Lächeln im Gesicht.

Mit einer einfachen Bewegung seines Handgelenks lenkte er die Glasscherben auf den Eindringling. Die Scherben gehorchten und schnitten wie tausend Dolche durch die Luft.

Dem Eindringling gelang es, einigen auszuweichen, aber er kam definitiv nicht unbeschadet davon. Es war zwar nichts Tödliches, aber er hatte bereits Schnittwunden auf der Haut, und purpurne Linien sickerten in den dunklen Stoff seiner Kleidung.

Der Eindringling spürte, dass er ernsthaft unterlegen war, und griff nach etwas unter seinem Schal. Unter dem dünnen Stoff befand sich ein klarer Stein. Als der Mann ihn berührte, begann der Stein hell zu leuchten.

Ein schriller, hoher Ton ertönte, der Daphne sofort dazu veranlasste, sich die Ohren zuzuhalten.

Innerhalb von Sekunden tauchten drei weitere maskierte Männer auf. Ihr Erscheinen veranlasste Daphne, einen unsicheren Schritt zurückzutreten. Atticus musste eine Glasscherbe übersehen haben, denn im nächsten Moment schoss ein scharfer Schmerz durch ihr Bein, der von ihrer Fußsohle ausging. Als Daphne nach unten blickte und das Scharlachrot ihres Blutes sah, wusste sie, dass sie sich geschnitten hatte.

Unwillkürlich verließ ein Zischen ihre Lippen, ein Geräusch, das von ihrem Schmerz herrührte. Es erregte sofort Atticus' Aufmerksamkeit, der sich herumdrehte, bis er die Wunde an ihrem Fuß sah. Augenblicklich vertiefte sich sein Stirnrunzeln.

"Prinzessin", sagte einer der Eindringlinge, "wir sind auf Anweisung des Kronprinzen hier..."

"Was für eine verdammte Nervensäge", spuckte Atticus aus.

"Was?" Einer der Eindringlinge hatte sich stumm zu Wort gemeldet, was Atticus' verächtlichen Blick auf sich zog.

"Falls ihr vier Schwachköpfe es nicht wusstet", sagte er, "es soll meine Hochzeitsnacht sein."

Mit diesen Worten hob Atticus eine Hand und streckte sie in die Richtung desjenigen, der gesprochen hatte. Sofort klammerten sich die Gliedmaßen des Mannes fest an seinen Körper, als würde er von einem straffen Seil zusammengehalten werden. Sein Körper wurde starr, unter Atticus' vollständiger Kontrolle.

Der nächste Mann hob eine Hand, ein silberner Schimmer kündigte eine Klinge an. Als Atticus das bemerkte, kniff er die Augen zusammen. Er bewegte seine Hand scharf in Richtung des zerbrochenen Fensters und ließ den ersten Mann mit einem Schrei hinausfliegen.

Sobald der Mann verschwunden war, streckte Atticus seine andere Hand nach dem zweiten Mann aus. Das scharlachrote Licht des zweiten Angreifers wurde schnell ausgelöscht. Statt ihn hinauszuschleudern, ballte Atticus diesmal seine Faust.

Der Körper des Mannes wurde zusammen mit den Handbewegungen des Königs und Daphnes entsetztem Aufschrei zerquetscht. Durch das Brechen der Rippen des Mannes waren mehrere Knackgeräusche zu hören, begleitet von einem schmerzhaften Glucksen des Opfers. Doch die ganze Zeit über blieb Atticus unbeirrt.

"Schnappt ihn!" Die beiden anderen Eindringlinge stießen einen einheitlichen Kampfschrei aus, als sie mit ihren Waffen auf den König zustürmten.

"Erbärmlich", murmelte Atticus nur. "Wenn ihr den Tod so sehr herbeisehnt, werde ich euch persönlich in die Hölle bringen."