Die Wahrheit hinter den Gerüchten

Die Eindringlinge stürmten auf König Atticus zu, in der Absicht, ihn mit ihren Angriffen zu überwältigen. Atticus streckte jedoch nur träge seinen Hals, wie ein Panther, der zum Sprung ansetzt.

"Achtung!" schrie Daphne als Warnung, doch es war bereits zu spät.

Die Eindringlinge hatten keine Ahnung, wozu ihr neuer Gatte wirklich fähig war, obwohl sie schon einen kleinen Einblick in seine Macht bekommen hatten. Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung seines Fingers warf Atticus den Mann, dessen Rippen er gebrochen hatte, direkt in den Kronleuchter, der über ihrem Bett hing. Die goldenen, gebogenen Spitzen durchbohrten seinen Körper, als wäre er ein zum Schlacht festgebundenes Schwein.

Der Eindringling röchelte verzweifelt, versuchte um Hilfe zu schreien, aber brachte nur blutiges Husten zustande. Mehr Blut floss aus seinen Wunden und befleckte die Bettlaken.

"So hatte ich mir das Blutvergießen in dieser Hochzeitsnacht nicht vorgestellt", meinte Atticus missbilligend und starrte die Blutflecken an, als würden sie ihn persönlich beleidigen. "Nun müssen die Bediensteten die Laken wechseln."

Daphne erschauderte bei diesem Anblick, aber ihr neuer Ehemann war noch nicht fertig. Die beiden anderen Männer versuchten weiterhin verzweifelt, ihren Mann zu töten, und sie stolperte dabei, als sie versuchte, ihnen auszuweichen.

Offensichtlich war es diesen Eindringlingen egal, ob sie sie im Zuge ihres Versuchs, den König zu töten, niedertrampelten!

Obwohl ihr Verlobter dieses Rettungsteam gesendet haben musste, schien ihr Wohlbefinden offensichtlich keine Priorität zu haben! Tatsächlich bekam Daphne das seltsame Gefühl, dass sie nur eine Nebensache war, die Männer konzentrierten sich darauf, Atticus zu töten, anstatt sie zu retten.

Sie musste sich selbst retten. Daphne drückte sich gegen die Wand und begutachtete den Abgrund unter dem Fenster.

Nein, das kam nicht in Frage. Es war ein weiter Fall und sie konnte nicht fliegen. Wenn sie scharf nach unten sah, konnte sie einen reglosen Körper erkennen, dessen Hals unnatürlich zur Seite abknickte. Sie hatte nicht vor, sich zu ihm zu gesellen.

Daphne drehte sich eilig um, nur um Atticus zu sehen, wie er ihren Köpfen mit seinem Fuß ein standhielt, ihre Gesichter zu einem stillen Schrei erstarrt.

"Nun … wohin mit euch beiden?" fragte er zwanglos, ohne eine Antwort zu erwarten. "Es ist bedauerlich, dass ich nur einen Kronleuchter habe."

"Unter meinem Bett? Nein, das ist zu schmutzig. Das haben meine Staubhasen nicht verdient", überlegte Atticus. "Der Kaminsims? Oder der Frisiertisch? Vielleicht wenn ich einem von euch den Kopf abschlage, könnte ich ihn dort aufstellen … Liebste, welchen Kopf möchtest du beim Haarekämmen anstarren?"

"Atticus!" schrie Daphne. "Ich will keine Köpfe! Lass sie gehen."

"Gut", sagte Atticus mit einem Achselzucken und schnippte mit den Fingern.

Es gab zwei identische Knackgeräusche, als beide Hälse gleichzeitig brachen.

Daphne keuchte entsetzt. Dieser Mann, ihr Ehemann, hatte gerade zwei Männer mit einem Finger schnippen getötet, als würde er Kerzen auspusten.

"Ich habe gesagt, du sollst sie gehen lassen!" rief Daphne.

"Ja, ich habe sie zu ihrem göttlichen Urteil in den Himmel geschickt", sagte Atticus unbekümmert.

"Du weißt genau, dass ich das nicht gemeint habe", zischte Daphne.

"Dann hättest du dich klarer ausdrücken sollen", erwiderte Atticus, seine Augen funkelten. "Und ich sehe keinen Grund, warum du Mitgefühl für diese Eindringlinge haben solltest."'"Sie waren meine Retter!", schrie sie. Doch plötzlich erkannte sie die aussichtlose Lage ihrer Situation; ihre letzte Hoffnung auf Rettung war wie mit einem Fingerschnipsen ausgelöscht worden.

"Mein Sonnenschein, du kannst doch nicht so naiv sein", sagte Atticus, und er sah seltsam enttäuscht aus. "Wie könnte diese armselige Truppe als Retter einer Prinzessin gelten? Das ist beleidigend, sogar für dich."

"Vielleicht war das alles, was mein Verlobter in dieser kurzen Zeit organisieren konnte!" entgegnete Daphne. "Es ist ja nicht so, dass du ihm viel Zeit gelassen hättest!"

"Hörst du dir überhaupt zu? Kann es sein, dass Kronprinz Nathaniel aus dem blühenden Königreich Raxuvia es sich nur leisten kann, ein fünfköpfiges Team zu entsenden, um seine Verlobte zurückzuholen? Wärst du meine Verlobte, wäre ich selbst ausgeritten, anstatt so eine wichtige Mission diesen kläglichen Attentätern zu überlassen. Ist dir sein Herz denn wirklich so fremd?" forderte Atticus heraus, seine Augen funkelten vor Empörung.

"Attentäter? Woher willst du das wissen?" Daphne konzentrierte sich vorrangig auf diesen Punkt. Sie wollte nicht an die Herzklopfen erregende Vorstellung denken, dass Atticus losgeritten wäre, um sie aus der Patsche zu holen. Er war ihr Ärger. Sie befand sich wegen ihm in dieser Misere!

Atticus entfernte mühelos eine der Masken des toten Mannes. Er neigte den Kopf, sodass Daphne ein kleines schwarzes Mal hinter seinem Ohr erkennen konnte. Es hatte die Form einer Schlange.

Ein Schauer überkam sie.

Wie konnte ihr Verlobter etwas mit ihnen zu tun haben?

"Siehst du dieses Zeichen? Das beweist, dass er zum Orden der Schlangen gehört. Sicherlich hast du schon von ihnen gehört."

Daphne nickte, betroffen und verstummte. Es war zwar für Prinzessinnen unüblich, etwas über Attentätergilden zu wissen, aber Daphne hatte gehofft, dass diese Menschen am Rande des Gesetzes einen Weg kennen würden, mit ihrer... Unfähigkeit umzugehen.

So hatten sich Mitglieder ihrer Familie einst an diese und ähnliche Gilden gewandt, in der Hoffnung, dass jemand in der Unterwelt eine Methode wüsste, ihr die Magie nutzbar zu machen, wie es ihr von Geburt an zugestanden hätte.

Das war allerdings erfolglos.

Und so kam der königliche Beschluss, dass diese Prinzessin keine Bereicherung mehr darstellte.

"Daher", fuhr Atticus fort, "musst du einsehen, dass sie ganz sicher keine ehrenwerten Menschen sind, die dein 'liebender' Verlobter zu deiner Rettung geschickt hat."

Er ging an den Leichen vorbei, wich ihnen mühelos aus, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Als er sich Daphne näherte, wich sie instinktiv zurück. Schon ein einzelner Schritt genügte, um ihr in dem Fuß, den sie sich geschnitten hatte, einen stechenden Schmerz zu bereiten, als zucke ein Blitz ihren Körper hinauf.

Unwillkürlich zischte Daphne auf. Sie hatte sich selbst an den Schnitt nicht mehr erinnert.

"Du hast dich durch das Glas am Fuß verletzt", bemerkte Atticus und rümpfte die Nase. "Diese Männer haben offensichtlich nicht an dein Wohl gedacht."

Als Daphne erneut versuchte, sich zu bewegen, gab Atticus ungeduldig ein Zungenklicken von sich.

"Sei still. Du fügst dir nur weiteren Schmerz zu."

Behutsam fasste Atticus nach Daphnes Fuß. Er griff nach dem Glasstück, das sich in ihrem Fleisch verfangen hatte, und stabilisierte mit einer Hand ihr Bein. Seine Berührung war sanft und warm, ein erschreckender Kontrast zu dem gewalttätigen Ungeheuer, das gerade eben vier Männer auseinandergenommen hatte.

"Das wird schmerzhaft."