Willst du meine Augäpfel verbrennen?

Lina erwachte unter Tränen. Sie presste die Hand gegen ihre Brust und krallte sich an ihr Herz. Sie hasste diese Träume. Sie hasste den Anblick seiner Liebe in seinem Gesicht. Sie hasste die Verehrung, die er ihr entgegenbrachte.

Als Lina ihm ihr Herz überließ, dachte sie, er würde es behüten, doch er zerdrückte es. Ihre Liebe zerschellte, verbrannte und das, was blieb, waren Asche, die im Winde tanzten und ins Meer fielen.

"Was erinnert er sich noch?" murmelte Lina, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und war wütend darüber, dass sie schon wieder wegen ihm geweint hatte.

Egal, wie oft sie die Träume sah, der Schmerz blieb stets präsent. Er war wie ein Messer, das sich in ihr Herz bohrte, ihr das Blut aussaugte und noch tiefer eindrang, als sie an diesem Schmerz starb.

Lina hatte kaum Zeit, den Traum zu entschlüsseln, als sie unten einen lauten Schrei hörte. Sie zuckte zusammen. Der Schrei hätte genauso gut Fenster zerschmettern können. Was zum Teufel?

Keine Sekunde später hörte sie hastige Schritte auf der Treppe und das Zersplittern von Vasen.

"Lina, Lina!" rief Milo und stieß die Tür zu ihrem Schlafzimmer auf. In seiner zitternden Hand hielt er das Flachbildtelefon seiner Mutter. Er hatte es ihr aus der Hand gerissen, als sie laut aufschrie.

"Es ist acht Uhr morgens, Milo", stöhnte Lina und ließ sich zurück aufs Bett fallen.

"Es ist zwei Uhr nachmittags. Wach verdammt nochmal auf", tadelte Milo sie und zog die Decke weg. Doch sie war wie in einem gemütlichen Burrito in die Decke gehüllt.

"Also gut, dann mach ich es eben selbst." Milo stampfte zum Fenster und schob die Verdunklungsvorhänge zurück. Sofort hörte er ihr Zischen und Protestieren.

"Mach die Vorhänge zu, das Licht stört meinen Schönheitsschlaf!" sagte Lina und drückte ihr Gesicht ins Kissen, damit er ihre Tränen vom Schlafen nicht sah.

"Du bist schon hässlich genug, also kann der Schönheitsschlaf auch nicht mehr helfen!" entgegnete Milo, schnappte sich ein Kissen von ihrem Bett und schlug damit nach ihr.

"Komm schon, wach auf, bevor Mama reinkommt!" rief Milo.

Lina setzte sich sofort auf.

"Igitt ..." unterbrach sich Milo und zeigte mit einem angewiderten Gesichtsausdruck eine Grimasse.

Milo starrte sie an. "Welche Vogelart hat denn sein Nest in deinen Haaren gemacht?"

Lina warf ihm einen strafenden Blick zu. Sie schleuderte das nächstgelegene Kissen gegen seinen Kopf.

"Hah!" schrie Milo. "Nicht getroffen—"

Sie warf ein weiteres. Das Kissen traf ihn an der Stirn und er taumelte zurück.

"Ich habe keine Zeit für deine kindischen Kissenkämpfe", beschwerte sich Milo. "Verhalte dich deinem Alter entsprechend, große Schwester! Mit einundzwanzig und noch solche Kissen werfen?!"

Lina seufzte. "Benimm dich deinem Alter entsprechend und hör auf mit dem Theater. Mein Trommelfell tut weh von deinem Geschrei."

Müde rieb sich Lina die Augen, als wären sie verklebt. Sie gähnte laut und streckte sich, was Milo zu einem protestierenden Aufschrei veranlasste.

"Dein Atem stinkt so sehr, ich glaube, da kommen Fliegen raus", sagte Milo und schob ihr Gesicht weg.

"Als ob deiner besser wäre", erwiderte Lina und schlug nach seiner Hand. Sie kroch zurück ins Bett und umklammerte müde das Kissen.

"Was ist los?" fragte Lina endlich, deutete müde auf sein Telefon. Sie wollte einfach ihr Leben verschlafen. Es waren Winterferien. Konnte sie nicht mal eine Pause haben?

"Oh Mist, das hätte ich fast vergessen", sagte Milo und näherte sich schnell dem Bett. "Schau dir das an."

Milo hielt ihr das hell erleuchtete Handy ins Gesicht.

"Au!" Lina schob es weg und hielt sich die Augen zu. "Warum ist denn die Helligkeit so hoch eingestellt? Willst du mir die Augäpfel verbrennen?"

"Ugh, du bist so... ugh!" sagte Milo und reduzierte schnell die Helligkeit des Handys, dann zeigte er es ihr erneut. "Sieh dir diese Schlagzeile an. Sieh sie dir an!"

"Ich mache, ich mache", sagte Lina, öffnete ihre Augenlider. Als sie es las, riss sie das Handy aus seiner Hand."Was zum Teufel!", rief Lina und klopfte hastig auf den Bildschirm, als könnte das die Schlagzeile zum Verschwinden bringen.

"Lina Yang betrügt die begehrtesten Erben des Landes?!", las sie laut vor.

Lina wurde bei dem schrecklichen Titel bleich und überprüfte die Quelle, nur um zu entdecken, dass es sich um die angesehenste Zeitungsagentur handelte.

"Ach, lass gut sein." Lina warf das Telefon aufs Bett und ließ sich auf den Rücken fallen.

Lina war erschöpft. Zuerst die Nachricht von ihrem Date mit Everett im Museum, und jetzt das hier?

Milo schob ihr das Telefon wieder ins Gesicht. "Sieh dir die Fotos an, Schwester. Sieht schrecklich aus, und mit schrecklich meine ich, dass deine Winkel auf diesen Bildern einfach furchtbar sind…"

"Lass sehen," sagte Lina und zog das Telefon wieder an sich. Sie warf einen Blick auf das skandalöse Foto und schleuderte es zurück zu Milo.

"Oh Gott, erlöse mich," flüsterte Lina und vergrub ihr Gesicht im Kissen.

Jetzt verstand Lina, was Kaden gestern meinte – man solle sich auf den nächsten Tag vorbereiten. Wer hat es zugelassen, dass diese Bilder von ihr veröffentlicht wurden?

"Ich werde es nicht tun, aber Mama und Onkel könnten dich umbringen," flüsterte Milo und warf einen Blick auf die Liveberichte über die fallenden Aktien der Yang-Unternehmensgruppe.

"Schau dir das an, du hast es irgendwie geschafft, dass unsere Aktien zum ersten Mal seit..."

RING! RING!

"Oh mein Gott!" Milo schrie auf und warf das Telefon weg, als hätte es ihn verbrannt. "Es ist Großvater!"

Lina atmete tief durch die Nase und aus. Es war Zeit, sich der Situation zu stellen. Sie setzte sich auf, nahm den nächsten Haargummi vom Nachttisch und band sich die Haare nach oben. Es hatte keinen Sinn, sich vor den Nachrichten zu verstecken.

"Gib her," sagte Lina.

Milo zögerte nicht. Er warf Lina das Telefon zu, als wäre es eine tickende Zeitbombe.

"Guten Morgen, Großvater", begrüßte Lina mit fröhlicher Stimme.

"Es ist zwei Uhr nachmittags und du hast den Mumm, guten Morgen zu sagen?" sinnierte Lawrence und lehnte sich auf seiner großen Ledercouch zurück.

Lawrence hatte gerade mit seinem ältesten Sohn telefoniert. Dieser herzlose Mann.

"Nun, es war ein guter Morgen, bis ich die Aktienkurse sah," sagte Lawrence trocken. "Was wirst du wegen der Nachrichten tun? Bald müssen wir einen Artikel veröffentlichen."

Lin

Lina blieb der Atem stehen. Sie fühlte, dass dies ein Test ihres Großvaters war, um zu sehen, wie gut sie die Situation ohne Vorbereitung und unter all diesem Druck meistern würde.

"Du meinst also... es ist eine Falle von allen Seiten," erklärte Lina.

"Exakt."

Lina wog ihre Optionen ab. Die Aktien der Yang Enterprise hatten gelitten. Ihr Ruf stand auf dem Spiel. Die Ehre ihrer Familie wurde beschmutzt. Das würde sie ruinieren, wenn sie es schleifen ließe. Keine Menge an Dementis würde ändern, dass sie angeblich zwei Erben gleichzeitig betrog.

"Ich werde mit Everett reden und eine Stellungnahme von ihm verlangen," sagte Lina schließlich.

"Hah, gute Idee," dachte Lawrence nach. "Schade, dass du verschlafen hast und dein Onkel die Entscheidung schon für dich getroffen hat."

Lina blinzelte. "Was?"