Nicht die bevorzugte Hochzeitsnacht

Reth sah sie immer noch stirnrunzelnd an, während sie auf eine Antwort wartete. Doch anstatt zu antworten, nahm er ihre Hand, küsste ihre Knöchel und sagte: "Elia, du magst anders sein als wir, aber du gehörst zu uns. Ich habe beobachtet, wie der Wolf in dir einen Plan gefasst und ihn durchgezogen hat. Ich habe gesehen, wie das Pferd in dir weitergemacht hat, auch wenn du erschöpft warst. Und ich habe den Löwen in dir brüllen hören. Ignoriere das Gelächter und die Fragen meines Volkes. Sie haben nur noch nicht genau genug gesehen, um zu erkennen, was ich erkenne. Du wirst deinen Platz hier finden. Du wirst eine hervorragende Königin sein."

"Aber... warum ich?"

Reth seufzte. "Die Opfer habe ich nicht gewählt, Elia. Du kannst jedes Anima fragen, sie werden dir das Gleiche sagen – die Clans entscheiden, jeder auf seine Weise. Und die Wahl der reinen Einen fällt immer dem stärksten Clan zu, der unter dem des Königs steht. Ich konnte nicht wissen, dass du heute Abend im Kreis sein würdest, aber als ich dich dort sah... hätte es an mir gelegen, ich hätte dich gewählt." Es war die Wahrheit, doch es brachte nur eine tiefere Verwirrung in ihre Miene, und ein kleines V formte sich zwischen ihren Brauen.

"Aber... warum?"

Reth zuckte mit den Schultern. "Wer kann das schon erklären, außer dem Schöpfer? Einige Menschen sind füreinander bestimmt. Heute Abend haben wir gelernt, dass wir es sind. Ich kann nicht ergründen, warum… Ich kann dir nur sagen, dass ich mir sicher bin."

"Das hast du heute Abend festgestellt?" fragte sie, Hoffnung in ihrer Stimme.

"Du nicht?" fragte er leise, überrascht von der Zärtlichkeit, die sich in seiner Brust ausbreitete, als könnte sie ihm mit einer falschen Antwort wehtun.

"Ich dachte, es wäre nur der Rauch. Ich dachte, er ließ uns alle… gut fühlen."

Er schüttelte den Kopf. "Ich habe an dutzenden Zeremonien teilgenommen und hunderte Frauen berührt – mit dem Rauch und ohne ihn. Diese Gewissheit hatte ich noch nie zuvor gespürt. Nie hatte ich Schwierigkeiten, mich zu beherrschen."

Sie runzelte die Stirn und er fragte sich, was er Falsches gesagt hatte.

"Welche Kontrolle hast du verloren?" fragte sie.

Reth lachte erneut. "Ein guter Freund musste mir die Hand auf die Schulter legen, um mich davon abzuhalten, dich aus der Umklammerung all dieser Männer zu reißen. Er spürte, wie nah ich dem Abgrund war. Er sagte, so fühlte er sich, als er und seine Frau zusammenkamen. Es ist ein Zeichen von… Richtigkeit."

Sie nickte und etwas in ihr entspannte sich. Reth wartete, ließ sie über alles nachdenken, was sie erlebt hatte. Als ihr Blick wieder zu seinem aufstieg, hielt er den Atem an.

"Sind wir jetzt verheiratet?" fragte sie mit heiserer Stimme.

Reth atmete tief durch und presste seine Hände auf die Oberschenkel, um sie nicht zu ergreifen. "Ja."

Als er das sagte, wanderte ihr Blick zu seinem Mund und ihr Verlangen entfachte erneut. Reth wollte aufbrüllen, doch er hielt sich ganz ruhig. Er wollte sie nicht erschrecken. Sie sollte kommen wie ein Reh im Wald, das sich vorsichtig und wachsam vorantastet.

Ihre Augen glitten wieder seinen Hals hinunter und über seine Brust, dort, wo ihre Hand ruhte. Seine Haut kribbelte, als sie ihn dort einmal streichelte. Dann verschloss sie erneut den Blickkontakt mit ihm.

Reth konnte kaum atmen. Es war immer die Wahl der Frau – immer. Doch er war nicht sicher, ob ihre Zeichen die gleichen waren wie die einer Anima-Frau.

Tatsächlich wusste er, dass sie es nicht waren. Eine Anima-Frau hätte sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf ihn gestürzt. Er hatte gehört, dass menschliche Frauen viel vorsichtiger waren – sie lebten in einer Welt, wo ihnen oft die Wahl genommen wurde. Ein Gedanke, der Reth dazu brachte, in etwas beißen zu wollen.

Nein, er konnte sie nicht drängen. Er musste ihr die Entscheidung selbst überlassen.

Sie senkte erneut den Blick, beobachtete, wie ihre Hand erst über seine Brust strich, dann weiter nach oben glitt und seinen Hals umschloss, was ihn inständig hoffen ließ, sie möge ihn küssen. Doch dann sah sie ihm wieder in die Augen und… nichts.

Die Stille zwischen ihnen dehnte sich, bis sie schließlich seufzte und ihre Hand zurück auf ihren eigenen Schoß legte. Es war, als hätte sie ein Licht ausgeschaltet. Alles an ihr verdunkelte sich und Reth empfand einen tiefen Schmerz darüber.

"Danke... danke, dass du dich um meine Gefühle kümmerst. Dass du mich in Sicherheit gebracht hast", sagte sie leise, obwohl Reth nun verwirrt war, weil sie traurig klang.Er ballte seine Hände wieder zu Fäusten, doch dieses Mal um sich selbst davon abzuhalten, sie zu ergreifen und zurück an seine Brust zu ziehen.

Was war schief gelaufen? Hatte er sie eingeschüchtert? Oder war sie einfach überwältigt?

"Bist du... müde?", fragte er unsicher.

Sie nickte traurig, ohne ihren Blick von ihren ineinandergelegten Händen im Schoß zu heben. "Ich denke, etwas Ruhe wäre gut", sagte sie.

Daraufhin erhob sich Reth, reichte ihr die Hand und führte sie ins Schlafzimmer, wo er ihr die Schlafplattform zeigte, die an seine angeschlossen, aber auf einer eigenen Ebene war. Ihren eigenen Raum.

Er glaubte, sie einen Moment lang sehnsüchtig zum Hauptbett hinaufblicken zu sehen, doch als er sich vergewisserte, hatte sie sich bereits den von ihm ausgewählten Fellen zugewandt.

Nur Minuten später lag sie darin gekuschelt, eine Hand unter dem Kinn, und schwärmte von der Weichheit der Felle und deren Wärme.

Reth sehnte sich danach, sie selbst zu wärmen, doch er begnügte sich damit, sie zuzudecken, ihr eine gute Ruhe zu wünschen und ging dann, um die Kerzen und Laternen auszublasen, die noch im Zimmer brannten.

Ihr Atem wurde fast sofort leise und regelmäßig. Und als er schließlich zwischen seine eigenen Felle schlüpfte, tat er dies mit einem Körper voll ungestilltem Begehren und einem Herzen, das aus den falschen Gründen schlug. Er lag da, den Blick auf die hohe Felsdecke gerichtet, einen Arm unter seinem Kopf, und ließ ein leises Knurren des Selbsthasses in seiner Kehle erklingen.

Sie hatte ihn gewollt. Sie hatte sich für ihn entschieden.

Doch sie hatte sich ihm noch nicht hingegeben.

Er erinnerte sich daran, dass sie ein Mensch war und mehr Zeit brauchte, um sich wohlzufühlen.

Doch tief im Inneren wusste er, dass irgendetwas nicht stimmte. Er wusste, dass er ihr Verlangen gespürt hatte, mehr als einmal. Und ihre Eifersucht, wenn andere Weibchen ihn berührten.

Nein, wenn sie sich nicht hingegeben hatte, dann war etwas nicht in Ordnung. Etwas, das sie noch immer erschreckte oder zur Vorsicht mahnte.

Er würde einfach Geduld haben müssen.

Er drehte sich dann zur Seite, um sie in der Dunkelheit zu beobachten – seine Löwenaugen hatten keine Probleme, den Frieden in ihrem Gesicht zu erkennen. Sein Herz schwoll vor dem Drang an, sie zu schützen und sie an einen Ort zu bringen, an dem sie so ausgeruht lächeln würde, wenn sie ihn ansah.

Doch als sie sich bewegte und dabei die Felle aufrüttelte, umwogte ihn ihr Duft.

Reth stöhnte leise.

Sein Verlangen nach ihr hatte fast schmerzhafte Ausmaße angenommen. Bevor er etwas tun konnte, was er bereuen würde – oder sie in Angst versetzen könnte –, schlug er seine Felle zurück, schnappte sich seine Hose und lief leise aus der Höhle, um ihrem Anblick und ihrem Geruch zu entfliehen, und um nicht in Versuchung geführt zu werden, nach ihr zu greifen.

Als er die Lichtung erreichte und abrupt stehen bleiben musste – er hatte die Wache vergessen –, entschuldigte er sich damit, dass er frische Luft brauchte, um den Kopf vom Rauch zu befreien. Aber die Männer kannten die Wahrheit und warfen ihm Blicke zu, bevor sie einander ansahen.

Mit erhobenem Kinn und geraden Schultern befahl er ihnen, über sie zu wachen, und verschwand dann zwischen den Bäumen. Doch als er außer Sicht war, ließ er seinen Körper hängen und verfluchte sich selbst dafür, dass er den Männern gezeigt hatte, dass er sie verlassen hatte.

Das war definitiv nicht die Hochzeitsnacht, die er sich stets für sein Leben vorgestellt hatte.

Aber immerhin, so erinnerte er sich, war es auch nicht die Hochzeitsnacht mit Lucine, die er befürchtet hatte.

Dafür sei dem Schöpfer gedankt.