Vielleicht weiß sie es

Adeline stand unter Schock. Sie hätte genauso gut verstummen können. Es gab nichts, was sie zu sagen wagte.

Elias war Seine Königliche Hoheit.

Plötzlich ergab das Gespräch von gestern Abend einen viel tieferen Sinn. Die Person, die sie töten sollte, stand nun direkt vor ihr. Und er wusste von ihren Plänen.

"Was ist los, kleine Adeline? Hat die Katze deine Zunge gestohlen?" neckte Elias. Seine andere Hand fuhr weiter sachte über ihre Wange, so wie man ein Haustier streicheln würde. Sein Griff um ihre Taille wurde fester, beinahe verspielt.

"Du bist sonst so gesprächig," fuhr er in einem tiefen und beruhigenden Ton fort. Ihr ganzer Körper zitterte in seinem Griff, was ihn umso mehr belustigte. Mit den richtigen Worten würde sie in seinen Händen zu Wachs werden.

"E-Elias...", stammelte sie. "Nein, ich... ich meine, Eure Majestät..."

"Schhh, Liebling", beruhigte er sie. Sein Atem streifte ihre Lippen, während ihre Hand, fast unbewusst, seinen Arm umfasste, auf der Suche nach einem Anker.

"Ich kann praktisch hören, wie dein Herz einem Infarkt entgegenrast", sagte er ironisch.

Elias wollte sie nur ein wenig aufziehen. Er hatte nicht vorgehabt, sie derart zu erschrecken. Doch fragte er sich, ob sie wirklich Angst vor ihm hatte. Trotz des Wissens um seinen Rang hielt sie sich immer noch an ihm fest.

"Ich... ich habe nur...", setzte sie an.

Elias wartete geduldig, dass sie fortfuhr. Sie hatte den Kopf gesenkt und vermied es, seinen Blick zu erwidern.

"Wirst du mich umbringen?", brachte sie schließlich hervor.

Das Zucken von Elias' Lippen war kaum zu sehen. "Nun, du hast gestern versucht, mich zu töten. Es ist nur recht und billig, dass ich den Gefallen erwidere, findest du nicht auch, liebste Adeline?"

Adelines Mund öffnete sich, dann schloss sie ihn wieder, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Schließlich ließ sie ihre Hände sinken und stieß ihn von sich. Doch er rührte sich nicht. Ihre Bestürzung war offensichtlich, doch er hielt sie weiterhin fest.

"Ich... ich habe meine Gründe gehabt, dich zu töten."

"Das ist das erste Mal, dass jemand seinen Hass auf mich so offen zeigt", stellte Elias amüsiert fest. Es gab viele, die ihn verachteten, doch keiner wagte es, dies zu bekennen. Wer noch einen Tag leben wollte, hielt lieber den Mund. Nicht umsonst war er als tyrannischer König bekannt. Aber wusste seine kleine Geliebte das auch?

Offensichtlich nicht.

Sie strampelte nicht töricht in seinen Armen, noch bettelte sie um Vergebung, obwohl er sie bisher nur dreimal hatte betteln sehen. Das erste Mal als Kind, das zweite Mal nach der durchzechten Nacht und das dritte Mal gestern, wegen der Kette in seinen Händen.

"Ich wollte nur... ich wollte nur meine Freiheit", flüsterte sie.

"Ich könnte dir deine Freiheit mit einem Fingerschnippen geben."

Adeline sah sofort auf. Ihre Augen wurden weit vor Unglaube und Neugierde. Wie der Blick eines Rehs, das seinen Jäger beobachtet, war sie atemlos vor Erwartung.

Ihre Aufmerksamkeit galt nur ihm.

Elias beugte sich hinab und lächelte sie an. Doch es mangelte seinem Lächeln an Wärme und Freundlichkeit. Wie konnte es auch Zuneigung geben, wo er doch vorhatte, sie in seinem kleinen Käfig festzuhalten?

"Wie...?" fragte sie, Unsicherheit schwang in ihrer Stimme mit.

"Lebe mit mir im Schloss."

"Als... als Dienstmädchen?"

Elias warf ihr einen ungläubigen Blick zu. "Ich habe genug davon und brauche keine verwöhnte kleine Prinzessin als Dienstmädchen."

"Dann...", Adeline stockte.

Sie hätte sich gewünscht, seine Worte würden schmerzen, doch sie berührten ihr fragiles Herz kaum. Sie hatte schon Schlimmeres gehört.

"Überleg es, Little Fawn. Welchen Nutzen hätte ich von einem schönen und willigen Mädchen?" Elias berührte eine ihrer feinen Haarsträhnen, die wie gesponnenes Gold glänzten. Er zog sie spielerisch an seine Lippen und sah ihr dabei in die Augen.

Sie errötete sofort.

"Als... als Geliebte?", quiekte sie ängstlich heraus.Elias fror ein. Sie war undurchdringlich wie eine Wand.

"Und wem würde das zugutekommen?", neckte er, während er ihr Haar zwischen seinen Fingern zwirbelte.

Adeline schluckte. Ihre Augen hafteten an seinen Fingern, während sie verzweifelt versuchte, nicht an jene Nacht zu denken. Er hatte behauptet, ein hervorragender Pianist zu sein. Seine Fertigkeit war überdeutlich zur Schau gestellt worden.

"Y-you?"

Elias lachte laut auf. "Klingt, als wäre das eher zu deinem Vorteil, Liebes."

Adeline schüttelte so heftig den Kopf, dass er befürchtete, das arme Ding könnte ihr einfach abfallen.

"Ich weiß nicht...", sinnierte er. "Jeden Morgen auf mein gutaussehendes Gesicht zu treffen, die Ekstase zu genießen, die ich dir bereite, und der Lust zu erliegen…"

Adeline stockte der Atem. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. War es verlottert von ihr, sich all das vorzustellen? Plötzlich tauchte ein Bild in ihrem Kopf auf. Sein muskulöser Körper presste sich an ihren, während sie vor Genuss wimmerte, der Schweiß rann über ihre ineinander verschlungenen Glieder.

"Es scheint, als würdest du es weit mehr genießen als ich", neckte er weiter.

Elias überlegte, ob er den einzigen Reinblütigen in dieser ganzen Welt, der Gedanken lesen konnte, töten sollte. Wenn er das Blut dieses Mannes tränke, würde Elias dessen Macht erben. Er würde alles tun, um zu erleben, was in ihrem Köpfchen vor sich ging.

"Ich wollte nur..."

"Bis zum Ende des Balls hast du Zeit, mir deine Pflichten in meinem riesigen Schloss zu schildern", erklärte Elias. Seine Finger strichen sanft über ihren Nacken, seine Knöchel spürten ihre weiche und geschmeidige Haut. Ein so hübscher Hals... es wäre eine Sünde, hineinzubeißen.

"Und wo finde ich dich dann?", fragte sie misstrauisch.

"Überall."

Adeline war verwirrt. Sie war von Elias so lange fasziniert gewesen, dass sie ihre anzügliche Lage vergessen hatte. Ihr wurde es erst bewusst, als er respektvoll einen Schritt zurücktrat.

"Ich verstehe nicht", sagte sie.

Elias zuckte nur mit den Schultern. Er drehte sich auf den Absätzen um und schlenderte davon.

"Elias."

Um ihretwillen hielt er inne.

"Meine Halskette."

Elias drehte seinen Kopf und zwinkerte ihr über die Schulter zu. "Sie wird mein sein."

Sie öffnete den Mund, um zu protestieren.

"—bis du dich entscheidest."

- - - - -

Adeline wollte nicht zum Ball zurückkehren. Tante Eleanor würde gereizt sein und Asher wäre verärgert. Sie hatte schon viel zu lange hier draußen verbracht. Doch in Elias' Gegenwart schien die Zeit stillzustehen. Wenn er da war, sah sie niemanden außer ihm. Es war, als sei er der Mittelpunkt ihrer Welt.

"Das ergibt keinen Sinn", murmelte Adeline.

Es schien, als kannte Elias sie schon als Kind. Aus irgendeinem Grund fühlte sie, dass auch sie ihn kannte. Adeline würde nicht einfach zulassen, dass ein Fremder sie berührte.

In ihrem benommenen Zustand musste sie ihn erkannt haben. Aus seinen Worten und seinem Versprechen schloss man nicht auf die Verbindung zwischen Mann und Frau.

"War er ... einer von Ashers Freunden?"

Adeline verwarf sogleich den albernen Gedanken. Wenn er ein Freund von Asher gewesen wäre, hätte sie sich an Elias erinnert. Außerdem zweifelte Adeline daran, dass Asher jemals einen Vampir, geschweige denn einen Reinblütigen dulden würde.

Es gab noch einen letzten Gedanken, der ihr in den Sinn kam.

Elias musste ein Freund ihres Vaters, Kronprinz Kaline, sein. Sie mussten auch enge Freunde gewesen sein, denn ihr Vater war ein beschützender Mann, der nie Jungen in ihre Nähe ließ.

"Ich sollte Tante Eleanor fragen. Vielleicht weiß sie etwas."