Kapitel 11-Tag 1

Aemon, der ursprüngliche Name von 277 vor den Experimenten, erwachte mit einem leichten Schwindelgefühl. Die Luft in ihrem Versteck war kalt und trocken, die Dunkelheit der alten Ruine drückte schwer auf ihn. Es dauerte einen Moment, bis sich seine Sinne wieder fingen. Dann erinnerte er sich: Die Flucht. Die Schreie. Das Tor, das sich gerade rechtzeitig geöffnet hatte.

Er bewegte langsam seine Finger, spürte die steife Kälte in seinen Knochen. Neben ihm lag Mara, in ihren zerschlissenen Klamotten zusammengerollt, ihre Atmung flach, aber gleichmäßig. Sie hatte überlebt – sie beide hatten überlebt.

Fürs Erste.

Aemon stützte sich auf die Arme und richtete sich vorsichtig auf. Durch die Risse in der Decke fiel fahles Morgenlicht auf den staubigen Boden. Der Gestank von altem Beton, verbranntem Metall und etwas Fauligem hing in der Luft, aber nichts davon war frisch. Es schien, als hätte kein Wesen ihr Versteck betreten.

Sein Blick wanderte durch den Raum. Zerfallene Wände, umgestürzte Regale, rostige Rohre, die aus den Wänden ragten wie gebrochene Knochen. Eine alte Lagerhalle, so tief in den Ruinen der Stadt verborgen, dass sie vielleicht eine Weile sicher war.

Vielleicht.

Er sah wieder zu Mara. Sie hatte sich nicht gerührt, aber ihr Körper zuckte leicht, als hätte sie schlechte Träume.

Aemon zögerte.

Dann sagte er leise: „Mara."

Sie zuckte erneut, riss dann die Augen auf. Reflexartig schoss ihre Hand nach vorne, griff nach einem imaginären Messer, das sie nicht hatte. Ihre Augen suchten hektisch die Dunkelheit ab, bis sie ihn erkannte.

„Wir leben noch", sagte er ruhig.

Mara blinzelte, dann nickte sie langsam. Ihre Schultern entspannten sich ein wenig, aber ihr Blick blieb wachsam.

„Wie spät ist es?" murmelte sie.

Aemon zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber die Sonne geht auf. Wir sollten los."

Mara setzte sich auf, rieb sich müde über das Gesicht. Ihr Haar hing wirr über ihre Wangen, sie sah erschöpft aus, blass. Aemon bemerkte, wie dünn sie war – ihre Wangenknochen standen hervor, ihre Arme waren mager, als hätte sie schon lange nichts Richtiges mehr gegessen.

Er selbst fühlte sich nicht viel besser. Sein Magen war leer, seine Kehle trocken. Wasser. Essen. Das musste ihre nächste Priorität sein.

Aber zuerst mussten sie hier raus.

„Wir bewegen uns zum Rand der Stadt", sagte er leise. „Dort gibt es vielleicht noch Vorräte. Und weniger… Dinge."

Mara nickte. Sie fragte nicht nach Alternativen, stellte keinen Widerspruch ein. Sie wusste genauso gut wie er, dass es hier keine gab.

Aemon stand auf, streckte vorsichtig die Glieder. Die Kälte hatte seine Muskeln steif gemacht, doch er zwang sich zur Bewegung. Sein Blick fiel auf den rostigen Metallträger, den er gestern als Waffe benutzt hatte.

Er hob ihn auf.

„Bereit?" fragte er.

Mara holte tief Luft und stand ebenfalls auf.

„Bereit."

Gemeinsam traten sie hinaus in die Straßen der toten Stadt.