Der kalte, modrige Geruch des Verstecks schlich sich in 277s Lungen. Es war ein schwacher Trost, dass sie zumindest für einen Moment in Sicherheit waren, aber er wusste, dass das nicht lange anhalten würde. Das Gebäude, in dem sie sich versteckten, war alles andere als stabil – und die Welt draußen war alles andere als sicher.
Er saß in der Dunkelheit, ein wackliger Stuhl unter seinem Gewicht. Der Boden unter ihm war hart, der Dreck klebte an seiner Haut. Es war kaum mehr als ein Haufen Trümmer, doch es war der einzige Ort, an dem sie sich in diesem Moment sicher fühlen konnten. Die Geräusche der Nacht hatten sich langsam gelegt. Kein Rasseln mehr. Kein Kratzen. Nur die Stille des verfallenden Gebäudes, das irgendwann auch unter der Last seiner eigenen Dunkelheit zusammenbrechen würde.
Seine Augen suchten den Raum ab, die dunklen Ecken, die Schatten. Und dann fiel sein Blick auf Mara.
Sie lag am Boden, zusammengerollt wie ein Kind, ihre zerfetzten Klamotten schmutzig und vom Blut vergangener Kämpfe getränkt. Ihr Gesicht war bleich, die Augen geschlossen, aber nicht im Schlaf. Sie war zu erschöpft, zu geschlagen, um zu träumen.
Mara war alles, was von der Menschlichkeit übrig geblieben war – ein zerbrechliches Wesen, das immer noch zu leben versuchte, während die Welt um sie herum zerfiel. Ihre blassen Wangen waren von der Kälte rot gefärbt, das dunkelbraune Haar war wild und zerzaust, aber es gab noch einen Funken in ihr. Ein Funken, der sie weitermachen ließ.
Er wusste, dass sie mehr als nur die Überlebende eines schrecklichen Experiments war. Die Narben auf ihrem Körper sprachen von mehr als nur physischer Qual. In ihren Augen lag eine Tiefe, die von etwas anderes zeugte – von Erlebnissen, die zu schrecklich waren, um sie zu benennen.
„Du solltest schlafen", murmelte 277, obwohl der Gedanke, selbst Ruhe zu finden, ihm immer noch fern war. Schlaf war in dieser Welt ein Luxus, den er sich selten gönnte. Zu viele Gedanken. Zu viele Ängste. Die Dunkelheit war ein ständiger Begleiter, und er hatte gelernt, dass sie nie wirklich verschwand.
Doch Mara reagierte nicht. Ihre Schultern hoben sich schwach, dann sanken sie wieder ab. Sie war zu weit entfernt, als dass sie ihm in diesem Moment wirklich zuhören konnte.
Er selbst legte sich hin, wenn auch nur halb. Der Boden war ungemütlich, aber er wollte nicht mehr stehen. Und irgendwie war es leichter, den Dämonen in seinem Kopf zu ignorieren, wenn er die Augen schloss. Der Dämon lauerte immer, und sein düsteres Flüstern war wie ein stetiger Tropfen, der gegen das Trommelfell prallte, immer wieder, bis er sich nicht mehr sicher war, was real war und was nur Halluzinationen.
„Du wirst sie irgendwann verlassen", hatte der Dämon gesagt. „Es gibt keine andere Wahl. Die Welt wird das verlangen."
Er schluckte. Aber er ignorierte den Dämon. Mara lag jetzt in einem Zustand der Erschöpfung, ihre Atmung ruhig, aber flach. Sie hatte mehr durchgemacht, als jeder Mensch ertragen sollte, und doch hatte sie überlebt. Sie war nicht wie die anderen – sie war nicht von diesem Wahnsinn durchzogen, der die meisten anderen Menschen in dieser Welt zu blutrünstigen Kreaturen gemacht hatte. Sie war … das, was übrig blieb. Und vielleicht war das genug, um zu überleben.
„Morgen", murmelte er leise zu sich selbst, während er die Augen schloss. „Morgen werden wir weitermachen. Wasser. Nahrung. Etwas, das uns einen Tag länger am Leben hält."
Doch während seine Gedanken auf das nächste Ziel ausgerichtet waren, konnte er sich nicht abschütteln, was in seinem Kopf herumschwirrte. Die Wahrheit war, dass sie vielleicht nie mehr in die alte Welt zurückkehren können. Diese Welt hatte nur noch das Hier und Jetzt zu bieten. Vielleicht war morgen schon zu spät.
Er hörte, wie Mara sich im Schlaf bewegte, wie sie sich unruhig in den Falten ihrer Kleidung wälzte. Ein leises Stöhnen entrang sich ihren Lippen, doch sie blieb im tiefen Schlaf gefangen.
Und so erwischte es auch ihm und seine Augenlieder fielen zu.