Kapitel 9 Fähigkeiten
Nach dem Pfeiltreffer hat Luck für einen Moment das Gefühl, als würde eine fremde Macht durch seinen Körper fließen. Die brennende Schmerzen verschwinden, und als er auf seine Haut blickt, sieht er nur ein schwaches, pulsierendes Licht – keine Wunde. Dann hört er ein leises Flüstern, als würde jemand direkt in seinen Kopf sprechen, aber die Worte sind undeutlich.
Plötzlich erscheint eine unverständliche Nachricht vor seinen Augen:
„Fähigkeit freigeschaltet: [UNBEKANNT]"
Sein Herz rast. Was war das? Wer oder was hat ihn getroffen? Und warum ist er unversehrt?
Noch während er darüber nachdenkt, hört er Schritte. Sein Vater kehrt zurück. Luck atmet tief durch und zwingt sich, ruhig zu bleiben. Er darf nichts anmerken.
„Alles in Ordnung?" fragt sein Vater, als er näher tritt.
Luck nickt. „Ja, ich hab nur auf dich gewartet."
Sein Vater schultert das erlegte Wild und mustert ihn kurz, doch dann zuckt er mit den Schultern. „Na dann, lass uns nach Hause gehen."
Auf dem Rückweg schweigt Luck. Er ist sich sicher, dass etwas passiert ist, etwas, das er nicht versteht. Die Nachricht. Das Flüstern. Die plötzliche Heilung.
Und die Gestalt auf dem Baum.
Wer war das? Und was wollte sie von ihm?
Ich schritt neben meinem Vater her, das Rauschen der Blätter im Wind begleitete uns. Die Sonne stand tief am Himmel und tauchte den Wald in ein sanftes, goldenes Licht.
„Du hast dich gut geschlagen heute", sagte mein Vater schließlich, während er das Wild über der Schulter trug. „Für dein erstes Mal war das ziemlich beeindruckend."
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich habe einfach beobachtet, was du gemacht hast."
Er lachte. „Gute Beobachtungsgabe ist die halbe Miete. Aber irgendwann musst du deinem Instinkt vertrauen, nicht nur deinen Augen."
Ich nickte nur. Meine Gedanken waren woanders. Die mysteriöse Gestalt, der Pfeil, das Flüstern – all das ließ mich nicht los. Doch ich durfte mir nichts anmerken lassen.
Nach einer Weile brach er erneut das Schweigen. „Du warst heute ziemlich ruhig. Ist alles in Ordnung?"
„Ja", sagte ich schnell. „Ich bin nur müde."
Er sah mich kurz prüfend an, bevor er sich abwandte. „Dann solltest du heute Nacht gut schlafen. Morgen geht's früh raus – das Wild muss verarbeitet werden."
Ich murmelte eine zustimmende Antwort, doch meine Gedanken kreisten längst um etwas anderes.
Als wir schließlich unser Haus erreichten, begrüßte uns meine Mutter mit einem warmen Lächeln. „Da seid ihr ja endlich! Ich hoffe, ihr habt nicht den halben Wald umgepflügt."
„Nein, nur einen kleinen Teil", erwiderte mein Vater mit einem Grinsen und legte die Beute auf die Seite.
Ich sagte nichts und ging direkt in mein Zimmer. Ich hatte keine Zeit für Smalltalk – ich brauchte Antworten.
Kaum hatte ich die Tür geschlossen, begann ich, meine Bücher durchzusehen. Ich suchte fieberhaft nach irgendeinem Hinweis – auf arkanen Pfeile, mysteriöse Heilkräfte, Systemnachrichten.
Seite um Seite blätterte ich durch, las über alte Magier, verlorene Künste und verborgene Kräfte. Doch nichts davon passte zu dem, was mit mir geschehen war.
Ich lehnte mich zurück und starrte die Decke an.
Was war mit mir passiert? Und warum hatte es sich so angefühlt, als hätte mich dieser Pfeil nicht verletzt, sondern… verändert?
Die nächsten Tage vergingen in merkwürdiger Unruhe. Ich versuchte, mich normal zu verhalten, so zu tun, als wäre nichts geschehen, doch in meinem Inneren kreisten meine Gedanken nur um den Pfeil, das SYSTEM und die Frage, was genau mit mir passiert war.
Ich hatte in jedem Buch gesucht, das ich finden konnte - doch nichts. Kein einziges Wort über ein SYSTEM, keine Hinweise auf arkanen Pfeile, die jemanden heilen anstatt verletzen. Die einzige Erwähnung von Arkankräften beschrieb sie als unkontrollierbare, fast vergessene Magie, die einst von den mächtigsten Magiern genutzt wurde. Doch nichts davon passte zu dem, was ich erlebt hatte.
Und dann passierte es.
Ich war in der Küche und half meiner Mutter beim Schneiden von Gemüse. Ich war mit den Gedanken woanders, als die Klinge abrutschte und sich tief in meinen Finger schnitt. Ich zuckte zusammen, erwartete den Schmerz, das Blut. Doch es kam nichts.
Vor meinen Augen schloss sich die Wunde in wenigen Sekunden, als wäre nichts geschehen.
Ich erstarrte.
Mein Herz begann schneller zu schlagen. Ich hatte es mir also nicht eingebildet - mein Körper heilte sich selbst.
Ich versteckte meine Hand schnell in meiner Tasche und murmelte eine Ausrede, bevor ich mich aus der Küche entfernte. In meinem Zimmer angekommen, streckte ich die Hand aus und betrachtete sie.
Da war nichts - keine Narbe, nicht einmal ein Anzeichen, dass ich mich geschnitten hatte.
„Was... bin ich?" flüsterte ich.
Mein Blick fiel auf einen Dolch, der auf meinem Tisch lag. Ich wusste, dass ich es testen musste. Vorsichtig setzte ich die Klinge an meinen Arm und zog eine kleine Linie über meine Haut.
Wieder dasselbe.
Die Wunde verschwand, als wäre sie nie da gewesen.
Mein Magen zog sich zusammen. War das die Fähigkeit, die ich erhalten hatte?
Heilung? Hatte der Pfeil mich nicht verletzt, sondern mir diese Kraft gegeben?
Aber das SYSTEM hatte gesagt: Fähigkeit freigeschaltet: [UNBEKANNT]. Es hatte nicht „Heilung" gesagt.
Das bedeutete, dass es vielleicht noch mehr gab.
Ich begann, bewusst auf meine Umgebung zu achten, auf alles, was sich seltsam anfühlte. Doch abgesehen von der Heilung schien nichts anders zu sein. Keine plötzlichen Veränderungen, keine Anzeichen einer weiteren Fähigkeit.
Aber eine Frage ließ mich nicht los: Wie weit reichte diese Heilung?
Wenn ich mich selbst regenerieren konnte - gab es Grenzen? Würde es auch bei schlimmeren Verletzungen funktionieren? Oder war es etwas anderes als normale Heilmagie?
Ich musste es herausfinden. Aber nicht hier, nicht im Haus, wo mich jemand beobachten konnte.
Ich musste einen abgeschiedenen Ort finden.
Und dann musste ich testen, wozu ich wirklich in der Lage war.