Kapitel2: Pfad ins Ungewisse

1 – Das vergessene Wissen

Der eisige Wind schnitt durch die Dunkelheit wie eine scharfe Klinge. Schnee peitschte über die zerklüfteten Gipfel, während sich Raito und seine Begleiter langsam durch das unbarmherzige Gebirge kämpften. Die Kälte kroch durch ihre Kleidung, biss sich in ihre Haut, aber niemand sagte ein Wort.

Raito spürte, wie seine Finger trotz der Handschuhe langsam taub wurden. Er konnte kaum glauben, dass sie wirklich hier waren – in einer Region, die selbst auf alten Karten kaum verzeichnet war.

„Noch eine Stunde bis zur Höhle", murmelte Haru, während er seinen Schal enger um den Hals wickelte. Sein Atem stieg in weißen Wolken auf.

„Hoffentlich kommen wir lebend an", murmelte Renji und zog seine Kapuze tiefer ins Gesicht.

Raito hörte kaum zu. Seine Gedanken hingen immer noch an dem, was passiert war.

Kuro war zwischen den Welten gefangen.

Warum?

„Warum hast du gesagt, dass nur ich ihn zurückholen kann?" fragte Raito schließlich und hielt inne. Seine Worte verschwanden fast im tosenden Wind.

Haru blieb stehen. Der Schnee knirschte unter seinen Füßen, als er sich umdrehte.

„Weil du es schon einmal getan hast."

Raito blinzelte. „Was?"

Haru sah ihn mit ernster Miene an. „Deine Kraft – das Licht. Es ist nicht einfach nur eine Waffe gegen die Schatten. Es ist der Schlüssel zwischen den Welten."

Raito schüttelte den Kopf. „Dann… warum weiß ich nichts davon?"

Haru sah für einen Moment zu Boden, dann hob er den Blick. Seine Augen wirkten wie zwei Spiegel, in denen sich Erinnerungen verbargen, die Raito nicht kannte.

„Weil man es dir verschwiegen hat."

Ein kaltes Gefühl kroch Raito den Rücken hinauf.

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2 – Der Tempel in den Wolken

Die Höhle lag verborgen hinter einer massiven Felswand, als wäre sie von der Welt vergessen worden. Nur ein schmaler Spalt war zu sehen, gerade groß genug, um sich hindurchzuquetschen.

„Hier entlang", sagte Haru knapp und schob sich als Erster durch den engen Eingang.

Raito folgte ihm, gefolgt von Renji und den anderen. Der Gang dahinter war finster und roch nach altem Stein. Ihre Schritte hallten in der Stille wider.

Plötzlich entzündeten sich entlang der Wände von selbst Fackeln. Ein flackerndes, blaues Licht breitete sich aus und enthüllte uralte Symbole, die sich wie Schlangen über die Wände zogen.

„Irgendjemand erwartet uns", murmelte Renji, seine Hand glitt unbewusst zum Schwert an seiner Hüfte.

Der Gang mündete in eine riesige Halle.

Hohe Säulen, von denen einige halb zerbrochen waren, ragten in die Höhe. Die Decke lag im Dunkeln, als hätte der Tempel keinen Himmel.

In der Mitte des Raumes stand ein massiver Altar aus schwarzem Stein.

Raito trat vorsichtig näher. „Was ist das?"

Haru folgte ihm und legte eine Hand auf die kühle Oberfläche des Altars. „Die letzte Erinnerung an die alte Welt."

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, begannen die Runen auf dem Stein aufzuleuchten. Ein goldenes Licht breitete sich aus, formte Linien in der Luft, die sich langsam zu einer Gestalt zusammenfügten.

Ein Mann mit langem, silbernem Haar erschien. Seine Augen waren so kalt wie das Eis draußen.

„Ryuujin…", hauchte Haru.

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3 – Das Erbe der Schatten

„Mein Name ist Ryuujin", sagte die Gestalt mit ruhiger Stimme. Seine Worte hallten in der Halle wider, als würde der Tempel selbst sprechen. „Ich bin der Wächter dieses Ortes."

Raito spürte eine unheimliche Aura, die von der Erscheinung ausging. Es war, als würde Ryuujin jeden ihrer Gedanken durchdringen.

„Dann sag uns, wie wir Kuro retten können", forderte Raito.

Ryuujin musterte ihn einen Moment, dann hob er langsam die Hand.

„Euer Freund wurde nicht zerstört. Er wurde verbannt, weil er etwas in sich trägt, das nicht für diese Welt bestimmt ist."

„Was meinst du damit?" fragte Takeshi misstrauisch.

„Die Dunkelheit hat ihn nicht verschlungen. Sie hat ihn aufgenommen – weil er ein Teil von ihr ist."

Stille.

Raitos Herz schlug schneller.

„Du lügst."

Ryuujin schüttelte den Kopf. „Nein. Ihr habt die Schatten gesehen. Sie suchen nach etwas – oder besser gesagt nach jemandem. Sie suchen nach Kuro."

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4 – Die Wahl

„Wenn Kuro wirklich Teil der Dunkelheit ist, heißt das, er ist… verloren?" fragte Kaito leise.

„Nicht, wenn ihr ihn zuerst findet", sagte Ryuujin.

Raito kniff die Augen zusammen. „Und wo sollen wir suchen?"

Ryuujins Augen leuchteten auf. „Dort, wo die Dunkelheit ihren Ursprung hat."

Ein neues Bild erschien im Licht: eine Stadt, versunken im Nebel, umgeben von riesigen Ruinen. Verfallene Türme ragten in den Himmel, während dunkle Schatten durch die Straßen huschten.

„Die verlorene Stadt Shinkai", flüsterte Haru.

„Dort liegt die Wahrheit", bestätigte Ryuujin. „Doch seid gewarnt – nicht jeder, der dorthin geht, kehrt zurück."

Raito spürte, wie seine Hände sich zu Fäusten ballten.

„Dann sollten wir keine Zeit verlieren."

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5 – Dunkle Vorzeichen

Sie verließen den Tempel mit einem neuen Ziel – doch etwas stimmte nicht.

Als sie den Gang zurückgingen, bemerkte Raito eine seltsame Stille. Kein Wind. Kein Geräusch.

„Irgendwas ist faul…", murmelte Renji.

Plötzlich zuckte Haru zusammen.

„Runter!" schrie er.

Etwas schoss aus der Dunkelheit.

Ein schwarzer Schatten raste auf sie zu, schneller als der Wind.

Raito konnte nur reagieren – seine Hand schnellte nach vorn, ein gleißendes Licht explodierte aus seinen Fingerspitzen.

Der Schatten wich zurück, zischte, bevor er sich in die Dunkelheit zurückzog.

„Was… war das?" fragte Kaito schwer atmend.

Haru stand langsam auf. Sein Gesicht war bleich.

„Sie wissen, dass wir kommen."

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Fortsetzung folgt…