POV: Narūn
Langsam aber sicher wussten wir, dass es eine Falle gewesen sein musste.
Die Gegend war zu ruhig. Zu still. Keine Händlerstimmen, keine Spuren anderer Reisender. Und die Route selbst? Perfekt für einen Hinterhalt: ein schmaler Weg durch felsiges Gelände, mit dichten Baumgruppen zur Rechten und einem steilen Abhang zur Linken.
Ich ritt neben Khar, mein Blick immer wieder nach oben gerichtet. Die Felsen dort oben waren wie Zähne – perfekt für Schützen. Perfekt für einen plötzlichen Tod.
„Spürst du das auch?" fragte ich leise.
Khar nickte. „Es ist zu leise. Kein Wind. Keine Vögel. Nichts."
Ich schloss die Hand fester um den Griff meines Schwertes. „Bereite die Männer vor. Wenn etwas passiert, halten wir die Linie, rücken zurück zur Engstelle, und lassen sie kommen."
Er verschwand zwischen den Reihen. Ich sah mir die Karawane an: drei Wagen, fünf Händler, zehn bewaffnete Wachen. Und wir – eine Truppe von zwanzig Söldnern, nicht alle erfahren, aber bereit.
Dann, genau in dem Moment, als die Sonne hinter dem Hügelkamm verschwand, passierte es.
Ein Pfeil traf das erste Pferd.
Chaos brach aus.
Schreie. Splitterndes Holz. Die vorderen Wachen fielen, noch bevor sie wussten, was sie traf.
Ich brüllte: „Deckung! Zieht die Wagen zusammen!"
Khar hatte bereits zwei Pfeile abgeschossen, bevor ich den ersten Angreifer sah – vermummte Gestalten, mit gekrümmten Klingen und dunklen Augen. Banditen? Nein. Zu organisiert. Zu koordiniert.
Söldner. Wie wir.
Nur angeheuert für den anderen Zweck.
Sie kamen aus drei Richtungen, versuchten uns einzukesseln. Doch ich hatte den Plan bereits im Kopf. Ich rief nach dem Rückzug zur Engstelle – einem schmalen Abschnitt zwischen zwei Felsen, wo sie ihre Überzahl nicht ausspielen konnten.
Wir kämpften uns zurück. Meter um blutigen Meter.
Ich verlor drei Männer. Khar wurde am Arm getroffen, kämpfte trotzdem weiter. Ich selbst nahm einen Hieb an der Seite hin, der meine Rüstung zerriss.
Doch wir erreichten die Engstelle. Und dort, wo sie uns zahlenmäßig überlegen waren, wurde ihre Zahl bedeutungslos.
Khar nahm Stellung auf dem Felsen über uns ein und deckte uns mit Pfeilen. Ich hielt die Front, mein Schwert schwer von Blut und Wut.
Sie kamen in Wellen. Und sie fielen in Wellen.
Am Ende… war es still.
Der Boden war rot. Der Staub schmeckte nach Eisen. Und wir standen noch.
Von den zwanzig Männern hatten wir nur zwölf zurückgebracht. Die Karawane war zerstört. Der Auftraggeber? Tot.
Aber wir lebten.
Und mehr noch:
Wir hatten überlebt.
Die Schwarze Kompanie hatte ihre erste Falle überstanden.
Und in Vallegrad würden sie davon hören.
Nicht, weil wir gesiegt hatten. Sondern weil wir nicht gefallen waren.
Und das war der erste Schritt zur Furcht.
Zur Legende.
Zu Ogodai.
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POV: Narūn
Der Plan zur Rache musste erstellt werden. Denn wenn wir jetzt nicht unsere Stärke zeigen, dann werden wir niemals zu den Besten gehören – und niemals zu Legenden werden.
Sie hatten uns testen wollen.
Nun würden sie lernen, was passiert, wenn man die Schwarze Kompanie herausfordert.
Mit Khar an meiner Seite und dem Blut unserer gefallenen Männer im Herzen begannen wir zu planen.
Wir würden zurückschlagen.
Nicht blind, nicht wütend – sondern gezielt. Strategisch. Brutal.
So wie es Ogodai verdient.
Und wir würden es in aller Öffentlichkeit tun.
Nicht im Schatten. Nicht im Flüsterton.
Jeder in Vallegrad sollte sehen, wozu wir fähig waren.
Denn wenn alle Augen auf uns gerichtet sind, wird der nächste Schritt, uns zu verraten, doppelt so schwer.
Wer uns angreift, muss wissen:
Rache kommt. Sichtbar. Laut. Unvergesslich.
Doch bevor der Plan ausgeführt werden kann, müssen wir unsere Reihen stärken.
Zwölf Männer waren übrig. Zwölf mutige Krieger – aber nicht genug.
Vallegrad war voller Träumer, Gefallener, Suchender.
Wir würden sie rekrutieren.
Neue Männer. Neue Frauen. Neue Blutlinien für Ogodai.
Die Rekrutierung begann am nächsten Morgen. Im Viertel der Schmiede, auf dem Übungsplatz, in den Tavernen. Wir suchten nach Stärke. Nach Entschlossenheit. Nach Wut.
Denn nur wer das Feuer kennt, kann es weitertragen.
Die Schwarze Kompanie würde wachsen.
Und wenn wir bereit sind – dann wird die Stadt unsere Rache sehen.
POV: Narūn
Die Nachricht kam ohne Absender. Kein Siegel, keine Unterschrift. Nur ein sauber gefaltetes Stück Pergament, das eines Morgens unter der Tür unserer Kommandantur lag.
> „Wenn ihr wissen wollt, wer euch verraten hat – kommt allein. Dämmerung. Gasthaus zum Goldenen Dorn. Kellerraum."
Ich starrte lange auf die Zeilen. Die Worte waren einfach, aber die Botschaft war klar: Jemand wusste, was geschehen war. Und jemand wollte reden.
Khar war sofort dagegen. „Es ist eine Falle", sagte er. „Wenn sie dich dort töten, ist alles vorbei."
„Wenn ich nicht gehe", antwortete ich ruhig, „zeigen wir Schwäche. Und Schwäche bringt uns nicht zur Legende."
Ich packte mein Schwert, wickelte es in Leinen und ging allein. Ohne Farben. Ohne Wappen.
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Das Gasthaus lag im alten Hafenviertel – heruntergekommen, schmutzig, voller Seeleute und Männer, die mehr Geheimnisse trugen als Zähne im Mund hatten. Der „Goldene Dorn" war ein Ort für stille Abmachungen, verlorene Münzen und gebrochene Schwüre.
Niemand beachtete mich, als ich durch die verrauchte Schankstube trat. Ich war nur ein weiterer Schatten.
Die Wirtin – eine alte Frau mit glasigem Blick – nickte mir zu und deutete wortlos zur Treppe, die in den Keller führte.
Die Holzstufen knarrten unter meinen Stiefeln. Unten roch es nach altem Wein, feuchtem Stein und Blut – nicht frisch, aber auch nicht alt genug, um vergessen zu sein.
Ich trat in den Raum. Eine einzige Laterne brannte, warf lange Schatten an die Mauern.
Am Tisch saß ein Mann. Mittvierziger. Gepflegt. Kein Söldner. Kein einfacher Händler. Nein – jemand, der es gewohnt war, im Hintergrund zu stehen und Fäden zu ziehen.
Sein Blick war ruhig, berechnend. Seine Haltung entspannt – zu entspannt.
„Du bist gekommen", sagte er, ohne aufzustehen.
„Natürlich bin ich gekommen", antwortete ich kalt. „Wenn mir jemand ein Messer in den Rücken rammt, will ich wissen, wer den Griff gehalten hat."
Er lächelte. Es war kein freundliches Lächeln.
„Du hast überlebt. Das war… nicht vorgesehen. Aber beeindruckend."
Ich trat näher, meine Hand auf dem Griff meines Schwertes, noch immer unter der Leinentuchhülle verborgen.
„Du weißt, warum ich hier bin."
„Natürlich", sagte er. „Du willst Gerechtigkeit."
Ich beugte mich leicht nach vorne, mein Blick fest auf seinen.
„Nein. Ich will eine Botschaft senden."
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Nur das leise Tropfen von Wasser irgendwo hinter den Mauern war zu hören.
„Also gut", sagte er schließlich. „Du willst wissen, wer uns bezahlt hat. Wer euch ausgeliefert hat. Wer die Schwarze Kompanie auslöschen wollte."
„Ich will Namen", sagte ich. „Und ich will Gründe."
Er seufzte. „Ihr wart zu schnell. Zu sichtbar. Ihr habt die falschen Leute beeindruckt – und die falschen herausgefordert. Manche in Vallegrad… mögen keine neuen Kräfte, besonders keine, die sie nicht kontrollieren können."
„Also war es die Handelsgilde?"
Ein kurzes Lachen. „Nicht offiziell. Und nicht alle. Aber einige einflussreiche Mitglieder. Vielleicht. Vielleicht auch nicht."
Ich trat einen Schritt näher. „Gib mir einen Namen. Einen einzigen. Und ich lasse dich mit allen Knochen den Raum verlassen."
Er schwieg. Dann sagte er leise:
„Lorim Vasken. Ratsmitglied. Einer der Älteren. Er hat den Kontakt zu den anderen Söldnern vermittelt. Er wollte sehen, ob ihr das Zeug habt. Oder ob ihr nur ein weiterer Name seid, der in den Schatten stirbt."
Ich nickte langsam.
Dann zog ich mein Schwert.
Nicht schnell. Nicht wütend. Einfach nur konsequent.
Der Mann zuckte nicht. „Also war das das Letzte, was ich sehen werde?"
Ich sah ihn an. „Nein. Aber es ist das Letzte, was du verstehst."
Ich schlug nicht zu töten. Ich wollte keine Leiche. Ich wollte eine Narbe.
Eine Erinnerung.
Ich ließ ihn bluten – nicht tödlich, aber tief. Dann beugte ich mich zu ihm hinab.
„Erzähl es ihnen. Allen. Die Schwarze Kompanie lebt. Und wir wissen jetzt, wie dieses Spiel funktioniert."
Ich wischte mein Schwert ab und ging zur Tür.
„Ach, und eins noch", sagte ich über die Schulter.
„Sag Lorim… wir kommen."