Sie ist so tot

Anmerkung des Autors:

Der Prolog und die ersten fünf Kapitel wurden vollständig überarbeitet, um ein flüssigeres und angenehmeres Leseerlebnis zu bieten. Ich entschuldige mich für etwaige Unannehmlichkeiten, die dadurch entstanden sein könnten. Vielen Dank für Ihr Verständnis und viel Freude beim Lesen! (4. Februar 2025)

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"Das ist definitiv nicht der Weg, wie ich die 11. Klasse beginnen wollte."

Sumaya dachte dies, als ihr Rücken gegen das kalte Metall ihres Spinds prallte, die Erschütterung durch ihre Knochen ratterte und ein dumpfer Schmerz sich zwischen ihren Schulterblättern ausbreitete. Um sie herum summte der Flur mit Stimmen – Spinde wurden zugeschlagen, Schüler murmelten, einige blieben stehen, nur um zuzusehen. Nicht weil sie das Spektakel genossen, sondern weil einzugreifen bedeutete, sich selbst in Gefahr zu bringen. Und niemand war so mutig.

Nicht gegen Amanda Prescott.

Die selbsternannte Königin der Schule stand vor ihr, ein grausames Lächeln umspielte ihre glänzenden Lippen.

Ihre gefärbten blonden Wellen fielen über ihre Schulter, als wäre sie in irgendeiner Art Shampoo-Werbung und nicht in diesem schwach beleuchteten Korridor, wo sie den Henker spielte. Sie wickelte eine Haarsträhne um ihren manikürten Finger, ihre grauen Augen glänzten vor Belustigung.

"Was ist los, Sumaya? Du bist uns aus dem Weg gegangen."

Sumaya presste ihre Lippen zusammen. Ihnen aus dem Weg zu gehen war eine Untertreibung. Sie hatte Fluchtwege geplant, war aus dem Klassenzimmer gesprintet, sobald die Glocke läutete, hatte die längsten, unbequemsten Wege genommen, nur um ihnen aus dem Weg zu gehen. Aber es war nie genug. Egal wie sorgfältig sie plante, sie fingen sie immer.

Wie Wölfe, die ihre Beute jagen.

Amandas Kumpane, Jenna und Bree, standen an ihrer Seite, ihre Präsenz schloss sich wie eine enger werdende Schlinge.

Jenna, groß und schlank, lehnte lässig an den Spinden und inspizierte ihre Nägel mit übertriebener Langeweile. Ihr kastanienbraunes Haar, glatt und gerade, umrahmte ein scharfes Gesicht, ihre braunen Augen glänzten mit einer raubtierartigen Belustigung, die Sumaya einen Schauer über den Rücken jagte.

Bree hingegen stand mit verschränkten Armen da und strahlte eine andere Art von Bedrohung aus. Kleiner, aber athletisch, hatte sie eine Statur, die auf eine Bereitschaft hindeutete, handgreiflich zu werden. Ihre dunkelbraunen Locken umrahmten ihre mokkabraune Haut, und ihre scharfen haselnussbraunen Augen flackerten vor Irritation.

Und dann war da Sumaya.

Selbst als sie in die Ecke gedrängt an ihrem Spind stand, stach sie auf eine Weise hervor, die sie sich nicht wünschte. Ihr schwarzes Haar, lang und seidig, fiel über ihre Schultern, leicht zerzaust vom Tag. Ihre smaragdgrünen Augen, so lebendig, dass sie unter der schwachen Flurbeleuchtung fast leuchteten, starrten mit bewachter Trotzigkeit nach vorne. Sie trug einen einfachen marineblauen Hoodie und eng anliegende Jeans, die Art von Outfit, das dazu gedacht war, sie einfügen zu lassen – aber das war unmöglich.

Amanda trat einen Schritt näher, der Duft ihres Designerparfüms dick und erstickend.

"Das ist nicht sehr nett, weißt du," sagte Amanda gedehnt. "Wir haben dich in den Ferien vermisst, und du hast unsere Gefühle verletzt, indem du einfach so davongelaufen bist."

"Ich wusste nicht, dass ihr welche habt," wollte Sumaya sagen, aber sie biss sich auf die Zunge.

Amanda Prescott war nicht nur ein gemeines Mädchen – sie war die Tochter des Bürgermeisters.

Und das bedeutete Macht. Kontrolle. Unantastbar.

Die Schüler wussten es. Die Lehrer wussten es. Niemand wollte auf ihrer schlechten Seite landen. Sumaya hatte diese Lektion auf die harte Tour gelernt. Letztes Jahr, als alles begann, die wenigen Klassenkameraden, die es gewagt hatten, für sie einzustehen? Am nächsten Tag verloren ihre Eltern auf mysteriöse Weise ihre Jobs.

Und sie zu melden? Nutzlos. Denn –

Ein scharfes Fingerschnippen vor ihrem Gesicht riss sie aus ihren Gedanken.

"Schalte jetzt nicht ab," tadelte Amanda, ihre Stimme triefte vor Belustigung. "Was, hast du uns in deinem Kopf verflucht?"

Sie trat näher. "Komm schon, Sumaya. Du kennst das Spiel."

Sumaya presste ihren Kiefer zusammen und blieb still. Sie hatte vor langer Zeit gelernt – sie suchten nicht nach Antworten. Zu reagieren machte die Dinge nur schlimmer.

Bree schnaubte, ihre dunklen Augen verengten sich. "Warum sagt sie nichts?"

"Vielleicht hat sie endlich ihren Platz gelernt," höhnte Jenna.

Amanda neigte ihren Kopf und täuschte Besorgnis vor. "Oder vielleicht," flüsterte sie, "denkt unser kleiner Freak, dass sie jetzt besser ist als wir."

Dieses Wort. Freak.

Sumaya zuckte zusammen, Hitze prickelte auf ihrer Haut.

Sie wusste, warum sie sie quälten. Es war nicht nur zum Spaß – es war, weil sie nicht normal war.

Ihr Körper... heilte zu schnell. Zu perfekt.

Blutergüsse, die wochenlang halten sollten, verschwanden in Minuten. Schnitte verschlossen sich, als wären sie nie da gewesen. Als es das erste Mal passierte, fand sie es seltsam. Aber ihre Mutter nannte es ein Geschenk. "Die Götter lieben dich zu sehr, um eine einzige Narbe auf deiner Haut zu hinterlassen," hatte sie gesagt.

Aber für Amanda und ihr Rudel von Wölfen machte es sie zu einem Monster.

Und deshalb war es nutzlos, sie zu melden. Denn in dem Moment, in dem sie von hier wegging, würde keine einzige Schramme an ihrem Körper zurückbleiben.

Eine Hand stieß sie plötzlich. Hart. Sumayas Schulter knallte mit einem lauten Scheppern gegen die Spinde. Sie zuckte zusammen, gab aber keinen Laut von sich.

Jenna keuchte dramatisch auf. "Ups."

Bree kicherte. "Oh nein, ist sie verletzt?" Sie schmollte spöttisch, bevor ihr Gesicht sich zu einem boshaften Grinsen verzog. "Oh warte. Stimmt ja. Du wirst nicht verletzt, oder?"

Sumaya schaute auf, ihr Kiefer spannte sich an.

"Oh, sie starrt," kicherte Jenna und warf Amanda einen Blick zu.

"Ich starre nicht, du Idiotin. Darf ich nicht mehr aufschauen?" dachte Sumaya verbittert. Aber natürlich würde sie es nicht wagen, das laut zu sagen.

Amandas Grinsen vertiefte sich. "Schau uns nicht so an," spottete sie. "Es ist ja nicht so, als würden wir dir wirklich wehtun. Dein abnormaler Körper wird alles einfach heilen, richtig? Egal wie viel Schaden wir anrichten, es wird alles in einer Minute verschwunden sein."

Sie lachte, und wie auf Kommando stimmten Jenna und Bree ein, ihr Gegacker kratzte an Sumayas Nerven wie Fingernägel an einer Tafel.

Ihre Fäuste ballten sich an ihren Seiten, Nägel gruben sich in ihre Handflächen.

Sie konnte es ertragen. Das tat sie immer. Aber heute... heute zerbrach etwas in ihr.

Bevor sie es sich anders überlegen konnte, stieß sie Bree beiseite und rannte los.

"Hey!" Amandas scharfe Stimme hallte hinter ihr.

Ihr Herzschlag donnerte in ihren Ohren, als sie den Flur entlang sprintete und sich an herumstehenden Schülern vorbeischob. Es war ihr egal, wohin sie ging – nur dass sie weg musste.

"Warte, Freak!" Jennas Stimme hallte, Schritte polterten hinter ihr her.

"Wir werden dir nicht wehtun!" höhnte Bree, ihr Lachen durchsetzt mit Grausamkeit.

Sumaya hielt nicht an. Sie trieb ihre Beine härter an, brennend mit jedem Schritt, bis sie durch den hinteren Ausgang der Schule stürmte. Die kalte Abendluft traf sie wie ein Schlag, aber sie verlangsamte nicht.

Sie hatte kaum Zeit zum Nachdenken. Der Instinkt übernahm. Die Abkürzung – der einzige Weg, wie sie ihnen entkommen konnte – führte durch das gesperrte Gebiet hinter der Schule.

Sie bog nach links ab, dann nach rechts, ihre Augen fixierten den Stacheldrahtzaun am Rand des Schulgeländes. Ein verblasstes Warnschild hing daran: BETRETEN VERBOTEN.

Interessierte es sie? Nein.

Ihre Finger klammerten sich an den Zaun, ignorierten das Stechen, als die scharfen Kanten in ihre Handflächen schnitten. Sie zog sich hoch, schwang ihre Beine darüber und landete auf der anderen Seite mit einem harten Ausatmen.

Sie drehte sich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, wie Amanda, Jenna und Bree am Zaun zum Stehen kamen, ihre Gesichter verzerrt – nicht vor Wut, sondern vor Belustigung.

Amanda legte den Kopf schief, ein langsames, zufriedenes Grinsen breitete sich auf ihren Lippen aus.

"Sie ist tatsächlich da reingelaufen?" spottete Bree.

Jenna schnaubte. "Sie ist so tot."

Amanda sagte nichts. Sie verschränkte nur die Arme und sah zu, wie Sumaya im dunklen Wald hinter dem Zaun verschwand.

Ihr Lachen war das Letzte, was Sumaya hörte, bevor die Bäume sie ganz verschluckten.