Kapitel 13: Die Prophezeiung

Weit weg in einem Land

Verborgen durch mächtige Magie

Gebar ein Wolf eine Hexe

Eine Hexe, die teils Wolf war

Eine Hexe, die ihre Heimat verlor

Ein Wolf ohne Rudel

Tiefe Magie von innen

Wird die verborgene Insel schützen

Höre mich, mein kleiner Wolf

Eines Tages wirst du dich an mich erinnern

Schlaf jetzt, mein kleines Kind

Du wirst an einem Vollmondtag erwachen

*KRACH* Das Geräusch zerbrechenden Glases weckte Elize auf.

"Geh weg." stöhnte Elize mit geschlossenen Augen.

"Oh, du bist wach!" zwitscherte eine unbekannte Stimme.

Elize öffnete verschlafen ihre Augen und setzte sich auf. Sie war zurück in Aileens Haus. Aber diesmal lag sie auf einer Couch mit einem halben Dutzend Gesichtern, die auf sie herabblickten.

"Ähh? Warum seid ihr alle noch nicht verschwunden?" fragte sie verwirrt.

Normalerweise verschwanden die Menschen in ihren Visionen, wenn der Schmerz aufhörte.

Da waren Frauen jeden Alters und jeder Größe, wobei die älteste am Rand der Couch saß, auf der Elize saß, sich niederkauerte mit einem Stock in der Hand und etwas kaute. Die jüngste schien etwa sechs Jahre alt zu sein und kletterte auf den Küchenschrank und warf dessen Inhalt Stück für Stück herunter. Ein weiteres Glasgefäß zerbrach, als es der Hand des Kindes entglitt und auf den Boden fiel.

Einige der Frauen spotteten über ihren Kommentar. Die anderen lachten und beschäftigten sich im Haus. Eine bestimmte Frau mit glattem blondem Haar, das bis zu ihrem Hintern floss, ging mit einem Lächeln auf Elize zu.

"Hallo. Du musst Elize sein." sagte sie mit hoher

Stimme.

Ein weiteres Glasgefäß traf den Boden und zerschellte. Elize zuckte leicht zusammen. Wer sind diese Leute und warum ist da ein Kind auf dem Schrank?

Die Frau kicherte. "Mach dir keine Sorgen um Pheobe. Sie wird es reparieren, wenn alles kaputt ist."

"Hä?" fragte Elize, ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Frau gerichtet, die vor ihr stand.

"Es tut mir leid, dass ich mich nicht vorgestellt habe. Ich bin Agatha." sagte die Frau, legte ihre rechte Hand auf ihre Brust und verbeugte sich leicht.

"Kenne ich dich?" fragte Elize und schaute sich um, "Und wer sind all diese Leute? Warum hält niemand das Kind auf?"

Die Frau namens Agatha lächelte.

"Mach dir keine Sorgen um Pheobe, sie ist eine Hexe und so ist jeder in diesem Haus." erklärte sie.

Elize dämmerte es, als sie sich an die Feuerbotschaft erinnerte, die Aileen ihr hinterlassen hatte, bevor sie ging.

"Ohh...Hallo dann. Ihr müsst für die Zeremonie hier sein." sagte Elize und lächelte die unheimlich schöne Frau, die vor ihr stand, unbeholfen an. Sie sah nicht älter als zweiundzwanzig aus.

Agatha strahlte sie an und setzte sich neben sie auf die Couch. Großartig. Jetzt saß Elize zwischen einer sehr alten Hexe und einer sehr enthusiastischen.

"Ja! Ich bin aus dem Hexenzirkel in New Orleans." sagte Agatha aufgeregt und lehnte sich auf der Couch zurück.

"Ich bin neu in der Hexenzirkel-Sache. Ich habe keinen eigenen." Elize zuckte mit den Schultern, als sie antwortete.

"Oh, das ist okay, Schätzchen. Einige von uns sind für höhere Zwecke geschaffen." Sie zwinkerte Elize zu.

Genau in diesem Moment begann sie es wieder zu hören.

Weit weg in einem Land

Verblasst durch mächtige Magie

Gebar ein Wolf eine Hexe

Eine Hexe, die teils Wolf war...

"Nicht schon wieder." stöhnte Elize und bedeckte ihre Ohren. Sie schloss ihre Augen fest, als sie ihren Kopf auf ihre Knie legte und sich auf den beginnenden Schmerz vorbereitete.

Nichts.

Jemand klopfte ihr auf den Rücken. Elize öffnete langsam ihre Augen und drehte sich um. Eine Frau in ihren Dreißigern stand dort. Wunderschönes feuerrotes Haar fiel über ihre Schultern bis zu ihrer Taille. Klare bernsteinfarbene Augen funkelten schelmisch, als sie auf Elize herablächelte, ihre große Gestalt blockierte die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster fielen.

"Es schien, als ob Elize das Lied nicht mochte, das du gesungen hast, Irina." neckte Agatha die rothaarige Frau.

Beide lachten.

Elize starrte sie ausdruckslos an. Was bedeutet das? Woher kannte sie das Lied?

"Woher kennst du das Lied?" fragte Elize und starrte Irina eindringlich an.

Irina zwinkerte ihr zu. "Das ist ein kleines Geheimnis," sagte sie.

"Aber ich habe es gehört-" Elize hielt mitten im Satz inne. Sie wollte nicht zu viel preisgeben. Diese Leute waren Fremde. Apropos Fremde... wo war ihr Gefährte?

"Wenn du dich fragst, wo der heiße Typ ist, der dich hierher gebracht hat, er ist im Keller," sagte Agatha und las ihre Gedanken.

Elize sprang von der Couch auf. "Was?! Warum zum Teu-"

"Beruhige dich, ja? Nyala hat ihn dort hingebracht." erklärte Agatha und zeigte auf die alte Frau auf der Couch, die immer noch etwas kaute.

Elize funkelte die alte Hexe an. Sie gab ihr ein zahnloses Lächeln zurück und kaute weiter, auf ihren Stock gestützt.

"Seid ihr alle verrückt?! Warum würdet ihr ihn in einen Keller stecken?! Er ist mein-"

"Dein was, Elize?!" Elize wurde von einer donnernden Stimme unterbrochen. Aileen stand wütend in der Tür. Elize zuckte zurück.

"Aileen! Meine Lieblingstante!" Irina bewegte sich mit weit ausgebreiteten Armen auf Aileen zu. Sie bedeutete Agatha mit ihrer Handrückseite, Elize hinauszubringen.

"Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt zu fliehen," flüsterte Agatha, als sie Elize aus dem Wohnzimmer die Treppe hinauf zog.

Beide erreichten das Schlafzimmer, in dem Elize vor fast zwei Wochen aufgewacht war. Agatha verriegelte die Tür hinter ihnen. Elize riss ihre Hand aus Agathas Griff und ging zum Spiegel.

Sie war überrascht von ihrem Spiegelbild. Die blauen Flecken waren nicht mehr sichtbar und ihre Augenringe waren fast verschwunden. Elize sah wieder normal und gesund aus.

"Wie?" fragte sie und schaute immer noch in den Spiegel.

"Du kannst uns später danken." zwitscherte Agatha und ließ sich aufs Bett fallen.

"Ihr habt mir geholfen. Warum?" fragte Elize und drehte sich zu ihr um.

Agatha zuckte mit den Schultern. "Nun, dein Freund bestand darauf."

"Zack?"

"Ja, der Hund. Als er dich gestern hereinbrachte, warst du ziemlich mitgenommen. Irina und ich baten ihn, dich auf die Couch zu legen. Er hätte sich fast im Haus verwandelt, als wir versuchten, dich zu heilen. Ich würde ihm das nicht übel nehmen, aber leider kam Nyala genau in diesem Moment ins Haus. Sie sah sein Zeichen auf dir. Sie wurde so wütend, als sie deinen Zustand sah, dass sie ihn mit einem Zauber band und in den Keller brachte. Sei dankbar, dass es nicht Aileen war, die ihn fand."

"Aber er ist mein Gefährte! Er sollte nicht dort unten sein." beschwerte sich Elize.

Agatha seufzte. "Ja, das haben wir bemerkt. Ehrlich gesagt wussten wir, dass etwas nicht stimmte. Es waren Geisterschmetterlinge überall um dein Haus herum. Aber als wir gestern früher an deinem Haus klopften, antwortete niemand. Als er dich dann hereinbrachte, verstanden wir sofort, was passiert war."

"Oh, also warst du es, die an die Tür hämmerte. Aber warte - Geisterschmetterlinge? Wie Geister toter Schmetterlinge?" Elize war verwirrt.

Agatha lachte. Ihr Lachen war angenehm und beruhigte Elize sofort.

"Geisterschmetterlinge, Dummerchen, sind keine toten Schmetterlinge," erklärte Agatha mitten im Lachen.

Elize rollte mit den Augen. "Was auch immer."

"Sie sind die Geister verstorbener Hexen aus deiner Familie, die bis zu den ersten Hexenzirkeln zurückreichen. Sie erscheinen nur, wenn eine Hexe vor ihrer Zeit stirbt. Sie wachsen in der Anzahl um solche Menschen herum und spüren das Austreten von Magie aus ihren Körpern."

"Ohh. Also sind sie wie ein schlechtes Omen?" fragte Elize, jetzt neugierig.

"Weit gefehlt. Die Geister versuchen, dich zu erreichen und zu heilen, jedes Mal, wenn du verletzt bist. Wir sahen die blauen Flecken an dir. Du hast ziemlich lange durchgehalten. Und zum Glück hat dein Gefährte dich zu uns gebracht, bevor die Dinge außer Kontrolle gerieten."

Elize nickte und ging im Zimmer auf und ab. Sie hoffte, dass es Zack gut ging. Wenn ihm etwas zugestoßen wäre, würde sie diese alte Hexe Glied für Glied zerreißen, dachte Elize.

"Wir sahen, dass du sein Zeichen trugst. Es muss den Wolf in dir ausgelöst haben. Die Geister liehen dir ihre Magie jedes Mal, wenn der Wolf von innen an dir kratzte. Aber eine so große Anzahl von ihnen um deinen Platz herum würde nur auf eines hindeuten. Ich denke, Irinas Vermutung war richtig." sagte Agatha und lächelte die Hexe an, die vor ihr stand.

"Was ist es?"

Agatha antwortete, als sie auf dem Bett aufstand: "Du, meine liebe Elize, bist die Hexe, auf die wir gewartet haben. Die letzte Hexe aus dem verlorenen Hexenzirkel von Ruah Yareach."

"Die was?" Elize verstand nicht, wovon die Frau vor ihr sprach. Sie kann keinen eigenen Hexenzirkel haben. Sie wuchs allein auf, eine Hexe unter Menschen, die auf sie herabsahen.

"Ruah Yareach. Technisch bedeutet es so etwas wie 'Geist des Mondes'. Sie waren der mächtigste Hexenzirkel, der je lebte. Jedes einzelne Mitglied des Hexenzirkels galt als tot, bis du aufgetaucht bist. Die Prophezeiung lebt."

"Welche Prophezeiung?" fragte Elize verblüfft. Jeder Tag stellte eine neue Hürde für sie dar, seit sie einen Fuß auf die Insel gesetzt hatte.

"Die, die du in deinem Kopf gehört hast. Die, die Irina vorhin gesungen hat." sagte Agatha, ein langsames Lächeln bildete sich auf ihrem schönen Gesicht.

"Woher wisst-" Elize wollte wissen, woher sie davon wussten, aber sie hielt mitten im Satz inne. Natürlich würden sie es wissen. Sie waren Hexen, die mehr über sie wussten als sie selbst.

"Weiß Aileen es?" fragte Elize, jetzt angespannt.

"Nicht ganz. Sie hat deinen Zustand oder die Geisterschmetterlinge nicht gesehen. Aber ich denke, sie hat eine Ahnung, da du halb Wolf bist und so."

Erleichterung erfüllte Elize. Sie wollte sich jetzt nicht mit der ganzen Biss-Sache bei Aileen auseinandersetzen. Sie musste ihren Gefährten aus dem Keller holen. Wenn Aileen es wüsste, würde sie ihn bei lebendigem Leib häuten.

"Ähm, Agatha?" fragte Elize und schaute Agatha hoffnungsvoll an.

"Ja, Schätzchen?"

"Kannst du mir helfen, meinen Gefährten hier rauszuholen?"

Agatha strahlte sie an. "Natürlich! Wofür sind Freunde da?!"

Elize lächelte. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich gut mit Agatha verstehen würde.