Hinweis: Zane erzählt die Geschichte nicht nach, diese ersten Absätze sollen den Lesern helfen, seine Sichtweise besser zu verstehen.
Zane~
Die scharfe Abendluft biss in meine Haut, als ich die Autotür öffnete. Das dumpfe, rhythmische Geräusch des Verkehrs erfüllte die Stille um mich herum. Alexander, mein kostbarer Junge, hatte sich wieder in seine Wolfsgestalt verwandelt, nachdem er mich angefleht hatte, Natalie nicht zurückzulassen. Sein kleiner Körper zitterte in meinen Armen, sein dunkles Fell drückte sich gegen meine Brust, und sein leises Wimmern hallte in meinem Kopf wider.
"Ich bin hier, mein Sohn," flüsterte ich durch unsere Gedankenverbindung und streichelte sanft sein Fell.
Ich wusste nicht, was mich in der heruntergekommenen Unterkunft erwartete. Ich wusste nur, dass ich Alexanders verzweifelte Bitten nicht ignorieren konnte. Ich näherte mich dem verfallenen Gebäude, dessen zerbrochene Fenster und abblätternde Farbe von jahrelanger Vernachlässigung zeugten. Der schwache Schein einer einzelnen Glühbirne flackerte über dem Eingang und warf unheimliche Schatten auf die rissigen Wände.
Als ich die Tür aufstieß, traf mich der Gestank von Schimmel und Verzweiflung wie eine Welle. Das Innere war schlimmer als ich es mir vorgestellt hatte - staubbedeckte Böden, überfüllte Betten und hohlwangige Bewohner, die mir kaum einen Blick schenkten.
Dann sah ich sie. Natalie.
Sie kniete auf dem Boden, Tränen liefen über ihr Gesicht, während sie eine Gruppe gleichgültiger Fremder anflehte, ihrem Freund zu helfen. Ihre kleine Gestalt wirkte unter dem schwachen Licht noch zerbrechlicher, ihre Hände zitterten, als sie Garricks Arm umklammerte.
"Bitte," schluchzte sie, ihre Stimme brach. "Es geht ihm immer schlechter. Irgendjemand - helft mir, ihn zu retten."
Ich konnte nicht anders - ein trockenes Lachen entfuhr mir und durchschnitt die drückende Stille des Raums.
"Bist du immer so dramatisch, oder ist heute ein besonderer Abend?" sagte ich sarkastisch.
Ihr Kopf fuhr herum, ihre großen, tränengefüllten Augen trafen auf meine. Einen Moment lang wirkte sie wie betäubt, ihr Atem stockte. Erleichterung überzog ihre Züge, als ihr Blick zu Alexander in meinen Armen wanderte.
"Du - du bist zurückgekommen?" flüsterte sie ungläubig.
Ich ging in die Hocke, auf ihre Augenhöhe, mein Blick bohrte sich in ihren. Sie wirkte so verloren, so verzweifelt, aber ich war nicht überzeugt. Irgendetwas an ihr stimmte nicht.
Alexanders Stimme durchbrach meine Gedanken, sein flehender Ton hallte in meinem Kopf wider.
"Papa, hilf ihr."
Ich seufzte tief, meine Entschlossenheit bröckelte unter dem Gewicht des Vertrauens meines Sohnes.
*********
Der sterile Geruch von Desinfektionsmitteln und das leise Summen der Leuchtstoffröhren erfüllte den Warteraum des Krankenhauses. Natalie saß mir gegenüber, ihre Augen rot und geschwollen vom Weinen. Trotz der Versicherungen des Arztes, dass es Garrick gut gehen würde, konnte sie nicht aufhören.
Ihr Schluchzen ging mir auf die Nerven. Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und beschloss, das Weinen mit direkten Worten zu durchbrechen.
"Warum lebst du in einem Obdachlosenheim?" fragte ich scharf. "Wo sind deine Eltern? Dein Freund? Dein Ehemann?"
Sie sah erschrocken aus, ihr Blick schnellte zu meinem. Einen Moment lang wirkte sie wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
"Ich - ich habe niemanden dieser Art," sagte sie leise, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
Ich hob eine Augenbraue, meine Skepsis war offensichtlich. "Du erwartest, dass ich das glaube? Keine Eltern? Kein Freund? Kein Ehemann?"
"Meine Eltern sind vor langer Zeit gestorben," antwortete sie mit zitternder Stimme. "Und ich habe weder einen Freund noch einen Ehemann."
Lügnerin.
Glaubte sie wirklich, ich sei ein Narr? Ihr Geruch verriet sie. Sie roch stark nach einem Alpha Wolf - frisch, intensiv, unverkennbar. Das war keine schwache Erinnerung oder entfernte Bindung. Wer auch immer sie markiert hatte, war lebendig und wohlauf, und die schiere Dreistigkeit ihrer Leugnung nagte an meiner Geduld. Sie log, und wenn es etwas gab, das ich mehr hasste als Verrat, dann war es Täuschung.
Das Markieren war in unserer Welt nichts, was man auf die leichte Schulter nahm. Unter Werwölfen war es heilig - eine Bindung, die mit Einverständnis und Ehrfurcht geschmiedet wurde, nicht aus einer Laune heraus. Einen Menschen, einen Vampir oder sogar eine Hexe zu markieren, erforderte ausdrückliche Zustimmung, ein tiefes Verständnis seiner Bedeutung. Es war nicht nur ein Biss oder eine Narbe; es war ein Anspruch, eine ewige Verbindung. Ohne Einwilligung zu markieren? Das war ein Verbrechen, das von den königlichen Vollstreckern bestraft wurde.
Also hatte Natalie ihre Einwilligung gegeben. Sie hatte sich markieren lassen, in vollem Bewusstsein dessen, was es bedeutete. Doch hier stand sie, verbreitete Lügen, leugnete die Existenz ihres Gefährten, als bedeute die Bindung nichts. Für mich war das schlimmer als eine Ablehnung - es war Entweihung.
Selbst wenn sie einem Fremden gegenüber nicht die Wahrheit offenbaren wollte, hätte sie zumindest eingestehen können, dass sie nicht ungebunden war. Wie konnte sie etwas so Tiefgründiges als selbstverständlich ansehen? Der Gedanke machte mich krank. Wenn ich auch nur einen Moment mit Emma wieder haben könnte, würde ich ihn mit jeder Faser meines Wesens schätzen. Aber Natalie? Sie vergoss Tränen über einen anderen Mann, während ihr Gefährte, durch die tiefste Magie, die wir kannten, an sie gebunden, wahrscheinlich irgendwo in Sorge um sie war.
War das nur Selbstsucht? Oder steckte etwas Dunkleres hinter ihren Lügen? Meine Gedanken wanderten zu meinem Onkel, Prinz Nathan. Manipulation war seine Waffe der Wahl. Könnte Natalie eine seiner Marionetten sein? Könnte sie geschickt worden sein, um in mein Leben einzudringen, meinen unschuldigen Sohn als Druckmittel zu benutzen? Meine Brust wurde eng bei dieser Möglichkeit. War das alles Teil eines ausgeklügelten Plans, mein Leben zu beenden und diesen elenden Mann auf den Thron zu setzen?
Die Erinnerung an Markus tauchte ungebeten auf. Mein Bruder, so gütig, so vertrauensvoll. Er war in seinen Tod gelockt worden von einem unschuldig aussehenden Mädchen unter dem Vorwand, Hilfe zu benötigen. Markus hatte die Lügen nicht erkannt, bis es zu spät war. Aber ich war nicht Markus. Ich würde nicht in dieselbe Falle tappen.
Dennoch waren mir die Hände gebunden. Alexander hatte eine Verbindung zu ihr aufgebaut. Ich konnte es mir nicht leisten, sie zu kappen - noch nicht. Aber das bedeutete nicht, dass ich nicht nach der Wahrheit graben würde.
Im Hotel traf ich Vorsichtsmaßnahmen. Ich buchte ein separates Zimmer für Natalie, mit der Absicht, sie auf Abstand zu halten. Alexander hatte jedoch andere Pläne. Er bestand darauf, bei ihr zu bleiben, seine großen, flehenden Augen machten deutlich, dass ich nicht ablehnen konnte. Mein Sohn war schon immer meine Schwäche gewesen.
Nachdem ich sie einquartiert hatte, zog ich mich in mein Zimmer zurück. Das Gewicht des Verdachts lastete schwer auf meiner Brust. Ich nahm mein Telefon und wählte die Nummer des Krankenhaus-Direktors. Das Gespräch war kurz, aber bestimmt.
"Ich bin bereit, Ihrer Einrichtung eine großzügige Spende zukommen zu lassen," sagte ich mit fester, autoritärer Stimme. "Im Gegenzug müssen Ihre Ärzte dem Mädchen, das ich morgen vorbeibringen werde, mitteilen, dass sich Garricks Zustand verschlechtert und er in eine andere Einrichtung verlegt werden muss. Habe ich mich klar ausgedrückt?"
Am anderen Ende gab es ein Zögern, aber Geld erwies sich wie immer als überzeugende Kraft. Der Direktor stimmte schließlich zu, und ich beendete das Gespräch, ein Lächeln umspielte meine Lippen.
Garrick würde mein Schlüssel sein, um herauszufinden, wer Natalie wirklich war.
Vorerst würde ich die Rolle des zuvorkommenden Gastgebers spielen. Aber Natalie hatte keine Ahnung, mit wem sie es zu tun hatte. Sie mochte sich für clever halten, aber ich würde ihr beweisen, dass Täuschung ihren Preis hat.
Ich war nicht paranoid; ich blieb nur wachsam.