Nenn mich Gabriel

Der Sturm tobte weiter, während Amelie durch die Nacht rannte, ihr Atem kam in abgehackten Stößen, während der unerbittliche Regen gegen ihre Haut peitschte.

Ihre Kleidung klebte an ihrem durchnässten Körper, und ihre Lungen brannten von der verzweifelten Flucht.

Hinter ihr war das Herrenhaus des Rudels längst in der Ferne verschwunden, doch das Echo der Heuler und der donnernden Schritte der Wölfe verstummte nie.

Die Krieger jagten sie, unnachgiebig in ihrer Verfolgung, egal wie viele Straßen sie überquerte oder in wie viele Gassen sie sich duckte.

Sie hatte Alex geglaubt, als er ihr sagte, sie könne gehen. Törichterweise hatte sie gedacht, sie könne endlich dem Gefährtenbund entkommen, der ihr nichts als Leid gebracht hatte.

Aber sie hatte nie damit gerechnet, dass er seine Krieger hinter ihr herschicken würde - um sie zu töten.

Das Mal, das er ihr einst auferlegt hatte, war verschwunden, doch der brennende Schmerz in ihrer Brust blieb, eine grausame Erinnerung an die Liebe, die sie an ein Monster verschwendet hatte.

Sich gegen die kalte Steinmauer einer engen Gasse pressend, spähte Amelie durch die Lücke zwischen zwei Gebäuden, ihr Herz schlug heftig. Schwere Schritte kamen näher, begleitet von einer höhnischen Stimme.

"Komm raus, Amelie. Es hat keinen Zweck wegzulaufen. Wir werden dich in Stücke reißen, also warum machst du es dir nicht leicht? Wenn du dich jetzt ergibst, machen wir es vielleicht schnell."

Sie biss sich hart auf die Lippe und presste eine zitternde Hand auf ihren Mund, um ein Keuchen zu unterdrücken.

"Sie ist schwanger. Glaubst du wirklich, dass es richtig ist, eine Frau mit Kind zu töten?" Eine andere Stimme sprach, sanfter, aber mit Schärfe durchsetzt.

Amelies Magen verkrampfte sich, und ihre Hände umfassten instinktiv ihren Bauch. Woher wussten sie das? Wie hatte Alex ihr Geheimnis entdeckt?

"Die Befehle sind klar", schnappte der erste Krieger. "Tötet sowohl Amelie als auch die ungeborene Brut."

Eine kalte Welle des Terrors überkam sie.

Alex wollte sie tot sehen. Er wollte ihr Kind tot sehen.

War er schon immer so grausam gewesen? Oder hatte sie einfach das Monster hinter seiner charmanten Fassade nicht erkannt?

Sie konnte es sich nicht leisten, gefangen zu werden.

Hektisch um sich blickend, zwang sie ihre Beine zur Bewegung, schlich vorwärts, bevor sie in einen verzweifelten Sprint verfiel.

"Da ist sie!"

Einer der Krieger verwandelte sich in seine massive Wolfsgestalt, seine glühenden Augen auf sie fixiert.

Mit aller verbliebenen Kraft stürzte sie vorwärts, ihr Atem stockte, als sie einen einsamen Wagen unter den leuchtenden Straßenlaternen vor sich entdeckte. Es war ihre einzige Hoffnung - ihre letzte Chance zu überleben, der einzige Weg, ihr ungeborenes Kind zu schützen.

Zwei Männer standen daneben - einer hielt einen Regenschirm, der andere stieg gerade aus dem Fahrzeug.

Sie zögerte nicht und dachte auch nicht weiter nach.

Sie warf sich dem Mann entgegen, der gerade seinen Fuß auf den nassen Asphalt gesetzt hatte, und klammerte sich an ihn, als wäre er ihr letzter Rettungsanker.

"Helfen Sie mir", flüsterte Amelie, ihr Gesicht bedeckt mit Regentropfen.

Der Mann sah sie mit hochgezogener Augenbraue an, nicht interessiert daran, ihr zu helfen.

Die verzweifelten und atemlosen Worte purzelten von ihren Lippen. "Schlafen Sie mit mir." Das war der einzige Weg, der ihr einfiel, um sich und ihr ungeborenes Kind zu retten.

Seine Finger spannten sich an ihren Armen, als sie spürte, wie sich sein Körper unter ihrer Berührung versteifte, sein Duft unbekannt, aber seltsam beruhigend inmitten des sie umgebenden Chaos. Der Regen prasselte weiter, während sich die Stille zwischen ihnen dehnte.

Es war ein waghalsiges Spiel. Aber es war ihr einziger Weg zu überleben.

"Bitte, helfen Sie mir", flehte sie, ihre Stimme zitternd, als sie es endlich wagte, zu ihm aufzublicken.

Und dann - war sie verloren.

Seine Augen waren von violetter Farbe. Eine so seltene und faszinierende Farbe, dass sie für einen flüchtigen Moment vergaß, warum sie sich in seine Arme geworfen hatte. Er war atemberaubend gutaussehend, wie eine göttliche Gestalt, direkt aus dem Himmel gemeißelt.

'Reiß dich zusammen!' schalt sie sich selbst. Dies war nicht der Moment, einen Fremden zu bewundern. Sie brauchte seine Hilfe, brauchte ihn, um sie hineinzubringen, bevor die Krieger sie fanden.

Nie in ihren kühnsten Träumen hätte sie sich vorgestellt, dass sie sich einem fremden Mann an den Hals werfen und ihn anflehen würde, sie aufzunehmen. Aber die Verzweiflung hatte ihr keine andere Wahl gelassen.

"Fräulein, Sie sollten-" begann der Mann mit dem Regenschirm, aber er wurde mit einem einzigen Blick des Fremden mit den violetten Augen zum Schweigen gebracht. Die Macht in seinem Blick ließ den anderen Mann sofort zurückweichen, sein Mund schnappte zu.

Dann erfüllte die tiefe, samtige Stimme des Mannes, der sie hielt, den Raum zwischen ihnen.

"Wenn Sie einwilligen, mit mir zu schlafen, wann immer ich es wünsche."

Ein Schauer lief ihr bei seinen Worten über den Rücken. Es lag keine Zögerung in seinem Ton, keine Spur von Scherz. Er meinte jedes einzelne Wort.

"Natürlich", zwang sie sich zu einem Lächeln, obwohl ihr Herz heftig gegen ihre Rippen hämmerte. "Ich verspreche es. Ich werde tun, was Sie wollen. Bitte, lassen Sie uns hineingehen, Mister."

Er musterte sie einen langen Moment, bevor er endlich antwortete: "Nennen Sie mich Gabriel."

Bevor sie reagieren konnte, hob er sie hoch und trug sie mühelos wie eine Braut. Ihr Atem stockte, als ihre Lippen fast seine Wange streiften, die plötzliche Nähe raubte ihr jegliche Worte, die sie hätte formen können.

Dann kamen die Heuler.

Sie versteifte sich, ihr Körper zitterte, als sie ihr Gesicht an Gabriels Brust vergrub und sich fest an seinem Blazer festhielt.

Die Krieger waren hier.

"Hey! Habt ihr zwei eine Frau hier vorbeilaufen sehen? Sie war ganz nass und-"

Die bekannte, grausame Stimme ließ ihren Magen sich zusammenziehen. Er war nah - zu nah.

Sie krallte ihre Finger fester in Gabriels Kleidung und betete, hoffte, dass sie sie nicht erkennen würden.

"Ist diese Frau-"

"Sie irren sich", unterbrach Gabriel in einem geschmeidigen, aber befehlenden Ton.

"Die Frau in meinen Armen ist meine Gefährtin."

Amelies Augen weiteten sich vor Schock, ihr Kopf ruckte hoch, als sie seinen Blick erwiderte.

Warum log er?