Er steckte sein Schwert wieder zurück an den Platz, wo es hingehört wenn man herumläuft. Dann sah er mich an und streckte seine Hand zu mir aus.
„Sie haben gut gekämpft. Wie heißen Sie?“
Ich nahm seine Hand an. Sein Griff wurde plötzlich fester, als er mich mit einem Ruck auf meine Füße zog. Mein Körper schwankte noch leicht. Ich sagte:
„Ich bin Fremocy. Trainierst du mit dem Schwert? Das wäre voll cool“, sagte ich zögernd.
„Weiß nicht, ob das zählen würde.“
Ich zog meinen eisernen Helm aus und hielt ihn unter meinem linken Arm fest, als er mich anzuschauen schien. Für einen Moment lag eine unangenehme Stille in der Luft.
Wie kann er das denn bitte schön nicht wissen? So was ist doch klar und deutlich!
Aber das ist doch jetzt erst mal egal, denn …
Wo bin ich hier? Ich war gerade noch im Klassenraum, und dann war ich von einem zum anderen Moment hier – mitten in einem Duell. Wie, als ob ich träume, aber der Schmerz fühlte sich echt an. Und in Träumen hätte ich erst keinen gespürt oder wäre spätestens am Ende des Kampfes aufgewacht.
Also … was mache ich hier, auf diesem riesigen Feld, inmitten eines Duells?
Warte – ist das wie in diesen Serien? Nein, oder?
Es kann doch nicht sein. Wie auch – das sollte ja unmöglich sein.
Aber ich habe doch endlich jemanden gefunden, den ich lieben kann.
Ich schaff das schon irgendwie. Ich habe schließlich eine zweite Chance bekommen – die sollte ich nicht verschwenden. Schließlich haben die Hauptcharaktere hauptsächlich ein geiles Leben – selbst wenn nicht, haben sie immerhin ein spannendes.
Ich nahm meinen Helm wieder nach vorne und betrachtete meine Spiegelung in der hochpolierten Rückseite des Helms, den ich gerade noch anhatte.
Wo er sich noch viel leichter anfühlte als jetzt in beiden meiner Hände.
Mein Gesicht war im Prinzip fast gleich im Vergleich zur ursprünglichen Welt.
Meine Haare hatten immer noch die gleiche Farbe, aber das war auch schon das Einzige, was an ihnen gleich war. Sie sind viel länger, und die Hälfte ist nach hinten gekämmt worden.
Mein Gesicht hatte aber auch ein paar Unterschiede, die man nur beim genauen Hinschauen sieht – wie eine kleine Narbe am rechten Auge, die durch die an dieser Stelle nicht nach hinten gekämmten Haare verdeckt wird. Zusätzlich leuchten meine orangen Augen hier auch etwas heller, glaube ich zumindest.
Als ich zu Ende war mit dem Betrachten meiner selbst, sah ich, wie der Junge vor mir mich komisch anstarrte.
Jetzt, wo er seinen Helm auch abgesetzt hatte, sah man sein Gesicht in seiner ganzen Pracht.
Seine rubinroten Augen sahen mich mit einem gequälten Blick an – ich muss wohl ganz schön enthusiastisch beim Gesicht-Entdecken gewesen sein.
Seine Haare, die ihm bis zu den Schultern gingen, waren grau mit einem Hauch Grün. Sie flossen in leichten Wellen seinen runden Kopf hinunter, prallten auf seinen Schultern auf und spalteten sich in alle Richtungen, wo sie dann endeten.
Wenn man so neben ihm stand, dann bemerkte ich erst, wie klein er wirklich war – und das, obwohl er im Kampf so überwältigend groß wirkte.
„Ist schön hier, auf diesem Feld, ne? So … friedlich. Oder findest du das etwa nicht, Fremocy?“
„Jaja.“
„‚Jaja‘ heißt: Leck mei…“
Was ist das? Das sind die Erinnerungen des früheren Körpers.
In diesem Moment schwammen tausende von Ereignisse des früheren Körpers in Form von Erinnerungen in mein Gedächtnis. Hunderte von ihnen sind allein von einer Person, die immerzu im absoluten Schatten lag. Allein durch die Erinnerung an ihn zuckt mein Körper zusammen. Was auch immer es ist – es verheißt nichts Gutes.
Die nächsten Erinnerungen kamen in meinen Kopf.
„Was kannst du eigentlich? Talent für nichts – nicht einmal die Magie, die du besitzt!“
„Mama… was ist denn? Was hab ich falsch gemacht?“
Sie sieht mir tief in die Augen, legt ihre Hand auf meinen Kopf und sagt:
„Du hast nichts falsch gemacht. Eher haben die Götter einen Fehler gemacht, dich mit Talentlosigkeit zu versehen.“
Ihr sanfter Ausdruck wurde langsam wieder zu einem zornigen – doch jetzt nicht gegen ihren Sohn, sondern gegen das Schicksal, das ihrem Sohn kein normales Leben erlaubt.
Als die unangenehme Erinnerung zu Ende war und sich aus meinem Kopf löste, kam direkt die nächste hinterher.
Doch anstatt einer klaren Erinnerung kam nur eine unaushaltbare Übelkeit über mich, die mich leicht taumeln ließ.
Es waren die Schultage in dieser Welt. Aber es waren keine normalen Erinnerungen – es war nichts anderes als Folter.
Sie zogen ihm alle Haare Stück für Stück, Stück für Stück, Stück für Stück aus dem Kopf, heilten ihn wieder – und taten es dann wieder. Und wieder. Und wieder.
Bis er irgendwann einfach akzeptiert hatte, was passierte.
Und das taten sie mit jedem, wirklich jedem Körperteil – außer seinem Gedächtnis.
Denn er sollte es ja nicht vergessen.
Jetzt weiß ich, woher diese Narbe an meinem Auge kommt.
Als die letzte Erinnerung kam, war es nur ein einziger Satz:
„Fürchte dich vor dem Karnifer – dem, der den Teufel sucht und jeden Dämon auf seinem Weg tötet“, sagte der Junge neben mir, als wir schon auf dem Weg zu meinem Zuhause waren.
„Was war das denn jetzt? Das kam ja aus dem Nichts.“
In der Ferne sollte schon mein Zuhause zu erkennen sein. Doch es wirkte viel kleiner als in meinen Erinnerungen – aber es war immer noch riesig und stach über den Rest der Häuser der kleinen Stadt hinaus, die Teil des kleinen Königreichs am unteren Rand des Kontinents Tarres ist.
Also ist unsere Familie die am weitesten entfernte adlige Blutlinie von der Hauptstadt Tura, die in einer neutralen Zone in der Mitte des Kontinents liegt.
Dadurch haben wir nicht viel Handel und gleichzeitig weniger Geld als der Rest der Adligen.
Dann kommt auch noch dazu, dass ich kein Talent für irgendetwas habe – wodurch nicht einmal der Erhalt des Anwesens garantiert ist.
Als ich näher komme, sehe ich die beige-farbene Bekleidung der Wände und die kleinen Figuren an den Säulen, die das hohe Vordach tragen.
In den Händen der kleinen goldenen Figuren glimmt eine kleine Kugel aus purem Licht – anscheinend inaktiv, da es Tag ist und gerade gutes Wetter herrscht.
Als wir nach einem kurzen Moment vor der Tür standen, die drei Meter in die Höhe ragt, wurde mir etwas schlecht.
Was, wenn sie erkennen, dass ich nicht ihr Sohn bin?
Würden sie mich dann entlarven?
Als die Tür aufging, waren es nicht meine Eltern oder Bediensteten – sondern eine mir unbekannte Frau, die mich ansah und ohne irgendeine Beachtung direkt zu dem Jungen neben mir schaute. Ihre Miene verbesserte sich sofort, als sie seinen siegreichen Ausdruck in sein gesicht sah. Sie war groß mit ihre Schwerpunkt nach vorne gesetzt. Ihre roten Haare fließen nur ungewollt die seiten ihres kopfes runter. Ihre Statur schmal aber Present in selbst den breitesten von Raumen.
„Du hast gewonnen. Okay, gut. Hab dich schließlich höchstpersönlich trainiert.“