Ein Blind Date

Anne ließ die Schultern hängen, den Blick gesenkt. Ja, sie war Denis dankbar gewesen – dankbar für jenen Tag, als er sie vor den wütenden Schlägen ihrer Mutter wegzog und sie wie ein Ritter in glänzender Rüstung beschützte. In ihrem naiven Herzen hatte sie ihn zu ihrem Retter gekrönt, der sie in die friedliche, glückliche Zukunft führen würde, von der sie immer geträumt hatte. Aber dieser Traum war nun zerbrochen.

„Er hat mich betrogen", sagte Anne grimmig. Als sie sich daran erinnerte, wie Denis sich auf Tanias Seite gestellt hatte, kochte ihr Blut. „Er ist zurück bei seiner ersten Liebe. Und obendrein hat er sie schwanger gemacht."

„Warte—was? Tania? Sie ist zurück?" rief Audrey ungläubig aus.

Anne nickte.

Audrey warf das Kissen beiseite. „Dieser Mistkerl", spuckte sie aus. „Er hat sich tatsächlich mit Tania versöhnt? Hat er vergessen, wie sie ihn vor drei Jahren abserviert hat?"

„Ehrlich gesagt ist es mir egal", sagte Anne tonlos. Ihre Stimme war frei von dem Schmerz, den man erwarten würde.

Audrey warf ihr einen besorgten Blick zu. „Anne... geht es dir gut?" Ihre Stimme wurde sanfter, das Feuer in ihren Augen erlosch. „Du musst nicht so tun, als ob. Wenn du weinen willst, dann weine. Halte es nicht zurück."

„Weinen?" Annes Lippen verzogen sich zu einem sardonischen Lächeln. „Warum sollte ich weinen? Ich habe schon genug wegen diesem Mann geweint. Jetzt? Ich will einfach nur meine Freiheit genießen."

Audrey wurde noch besorgter. Sie dachte, ihre Freundin sei zutiefst verletzt. Das war kein Frieden; es war Taubheit, die Art, die ein in stiller Qual ertrinkendes Herz verbirgt.

„Anne", murmelte Audrey und nahm ihre Hand. „Du hast ihn jahrelang geliebt. Es ist normal, dass du am Boden zerstört bist. Lass es raus. Schrei, weine, wirf Sachen, wenn es sein muss. Verdammt, verfluche ihn, wenn es hilft."

„Audrey, hör auf, so dramatisch zu sein." Anne winkte abweisend mit der Hand und unterbrach das besorgte Gerede ihrer Freundin. „Mir geht es gut, wirklich. Ich habe genug Zeit mit Denis verschwendet. Ich bin es leid, wegen einer Beziehung zu weinen, die es nie wert war. Ich habe Besseres mit meinem Leben zu tun."

Aber je mehr Anne versuchte, unberührt zu klingen, desto tiefer wurde Audreys Sorge. Sie kannte Anne zu gut. Diese erzwungene Gleichgültigkeit, diese hohle Entschlossenheit – das war der Überlebensmodus.

„In Ordnung, in Ordnung", seufzte Audrey und hob kapitulierend die Hände. „Keine Tränen. Du hast die richtige Entscheidung getroffen. Denis verdient dich nicht, und was diese Schlampe Tania betrifft", schnaubte sie und warf dramatisch ihre Haare zurück, „scheiß auf die beiden. Sollen sie zusammen verrotten."

Ihre Lippen verzogen sich plötzlich zu einem strahlenden, schelmischen Lächeln. „Wie wäre es, wenn wir heute Abend in eine Bar gehen?"

Anne dachte eine Weile nach. Sie war seit Ewigkeiten nicht mehr in einer Bar gewesen – nicht seit sie zugestimmt hatte, Denis' Freundin zu werden.

Damals war ihre Welt leise geschrumpft und drehte sich ausschließlich um seine Bedürfnisse, seine Vorlieben, sein Glück. Sie hatte sich eingeredet, dass sein Glück ihr eigenes war, und opferte kleine Teile von sich selbst, bis sie die Frau im Spiegel kaum noch erkannte.

Aber schließlich erkannte sie, wie falsch sie lag. Sie wollte für sich selbst leben. Jeden Moment zurückgewinnen, den sie verloren hatte.

Ihr Handy vibrierte, der Bildschirm blinkte mit einem eingehenden Anruf.

Denis.

Anne starrte einen Herzschlag lang auf den Namen, drehte dann das Telefon um und ignorierte den Anruf.

„Weißt du was? Das ist eine gute Idee", strahlte sie. „Lass uns feiern gehen."

„Ja!" jubelte Audrey und sprang auf die Füße. Aber in ihren Augen lag ein verschlagener Glanz, ein schelmischer kleiner Funke, den Anne nicht bemerkte. ‚Es wird eine Überraschung für sie sein', dachte sie.

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Als die Sonne unter den Horizont sank, entführte Audrey Anne zum Der Eclipse – dem exklusivsten Nachtclub der Stadt. Von außen schimmerte das Gebäude unter Neonlichtern.

Anne zögerte am Eingang, aber Audrey zog sie mit einem aufgeregten Grinsen nach vorne. In dem Moment, als sie eintraten, wurde Anne von einer Sinnesüberflutung getroffen.

Ein tiefer Bass dröhnte durch die Luft, pulsierte im Takt mit den blitzenden, juwelenartigen Lichtern, die wie Glühwürmchen über die riesige Tanzfläche flackerten. Der Duft teurer Parfüms vermischte sich mit der rauchigen Reichhaltigkeit von gereiftem Whiskey und etwas leicht Exotischem.

Alles an diesem Ort schrie nach Luxus, von den plüschigen Samtsitzen bis zu den goldenen Akzenten entlang der Bar.

Anne zupfte am Saum ihres bescheidenen Kleides und fühlte sich plötzlich unsicher inmitten der mühelos glamourösen Menge. Frauen in Designerkleidern mit himmelhohen Absätzen glitten über den Boden, als gehöre er ihnen, während Männer in maßgeschneiderten Anzügen in privaten Lounges saßen.

„Audrey", flüsterte Anne nervös und griff nach der Hand ihrer Freundin. „Warum hast du mich hierher gebracht? Wir hätten auch einfach in eine lokale Bar gehen können."

„Entspann dich", murmelte Audrey und schenkte ihr ein ermutigendes Lächeln. „Du wirst diesen Ort mögen. Vertrau mir."

Anne schaute sich unruhig um. „Aber es sieht teuer aus. Ein einzelnes Getränk hier kostet wahrscheinlich mehr als mein ganzes Monatsgehalt."

Audrey lachte und hakte ihren Arm bei Anne ein. „Mach dir keine Sorgen. Ich habe diesen Monat einen Bonus bekommen – wir können ein bisschen verschwenderisch sein. Außerdem..." Ihre Lippen kräuselten sich zu einem schelmischen Grinsen. „...habe ich einen Plan."

Der verspielte Glanz in Audreys Augen ließ Annes Magen vor Unbehagen verkrampfen. „Welchen Plan?" fragte sie misstrauisch.

Audrey winkte ab und führte sie bereits tiefer in den Club. „Komm schon. Erst setzen, dann Fragen."

Bevor Anne protestieren konnte, zog Audrey sie zu einer gemütlichen Ecknische. Zwei Männer saßen bereits dort und nippten lässig an ihren Getränken. Beide sahen scharf aus – einer in einem knackigen marineblauen Blazer, der andere in einem schwarzen Hemd mit geöffneten oberen Knöpfen.

„Hallo, Jungs!" zwitscherte Audrey und winkte mit beiden Händen, als wären sie alte Freunde. „Habt ihr etwas dagegen, wenn wir uns zu euch setzen?"

„Natürlich nicht", sagte der im Blazer und rutschte weiter auf dem Sofa, um Platz zu machen. Sein Freund tat es ihm gleich und klopfte auf den freien Platz neben sich.

Anne zögerte. Sie verstärkte ihren Griff um Audreys Arm. „Bist du dir sicher?" fragte sie mit gedämpfter Stimme. „Mit fremden Männern in einem Club sitzen? Kennst du sie überhaupt?"

Audrey lachte über ihre Bedenken. „Entspann dich. Ich kenne sie." Sie zog sie auf den weichen Sitz hinunter.

Anne saß steif da, die Hände fest in ihrem Schoß gefaltet. Alles daran fühlte sich überstürzt, erzwungen an. Sie blickte zum Ausgang und überlegte, ob sie einfach gehen und ein Taxi rufen sollte.

„Willst du uns nicht vorstellen, Audrey?" fragte der Mann, der gerade gesprochen hatte.

Audrey grinste, als hätte sie auf diesen Moment gewartet. „Oh! Richtig. Das ist meine beste Freundin, Anne." Sie warf Anne einen spielerischen Blick zu. „Frisch Single und sehr verfügbar. Sie hat gerade ihren Arschloch-Freund abserviert und ist offiziell hier, um Spaß zu haben."

Annes Augen weiteten sich vor Schock. Sie hatte nicht erwartet, dass Audrey das sagen würde. „Audrey!" zischte sie, und ihre Wangen erröteten. Bevor sie weitersprechen konnte, streckten beide Männer ihre Hände nach ihr aus.

„Ich bin Eric."

„Ich bin Raoul."

Anne erstarrte, ihr Blick huschte zwischen den beiden Männern hin und her. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihnen die Hand schütteln oder weglaufen sollte.

„Anne, sei nicht so nervös", neckte Audrey und drückte beruhigend ihre Schulter. „Sie sind gute Kerle. Eigentlich..." Sie lehnte sich vor, ihre Stimme sank zu einem Flüstern, „...suchen beide nach einem Blind Date."

„Ein Blind Date!" rief Anne aus und erkannte, warum ihre Freundin sie hierher gebracht hatte. „Du hast mich für ein Blind Date hergebracht!"

Audrey zuckte mit den Schultern, völlig uneinsichtig. „Sei nicht böse. Ich wollte dich nur aufheitern. Ernsthaft, scheiß auf Denis. Such dir einen dieser Typen aus und lass dich mal gehen."

Anne öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber bevor sie konnte, sprach Raoul.

„Ich werde dich gut behandeln und dich den Schmerz vergessen lassen." Er streckte eine Hand nach ihr aus. „Darf ich um diesen Tanz bitten, schöne Dame?"

Anne blinzelte, völlig sprachlos.

„Anne, komm lieber mit mir", mischte sich Eric geschmeidig ein. „Wenn dir dieser Ort nicht gefällt, bringe ich dich woanders hin. Wohin du willst." Auch er streckte seine Hand nach ihr aus.

Annes Augen huschten zwischen ihnen hin und her, und sie fühlte sich in einem unerwarteten Dilemma gefangen.

Audrey grinste unterdessen von einem Ohr zum anderen. „Oh, das ist niedlich", sagte sie gedehnt, stützte ihr Kinn auf ihre Handfläche und beobachtete, wie sich die Szene entfaltete. „Sie versuchen beide, dich zu beeindrucken. Also, Anne, wen willst du für das heutige Date auswählen?"

Annes Kopf schnappte zu Audrey, ihr Blick scharf wie eine Klinge. Wenn Blicke töten könnten, wäre Audrey zwei Meter unter der Erde gewesen.

„Du—" begann Anne, aber bevor sie ihre Wut entfesseln konnte, durchschnitt eine vertraute tiefe Stimme den Lärm.

„Du bist hier und flirtest mit diesen Typen. Hast du nicht gesagt, du würdest heiraten?"

Alle Köpfe drehten sich zur Quelle der Stimme und sahen Denis nicht weit von ihnen entfernt stehen, der mühelos Arroganz ausstrahlte, sein durchdringender Blick auf Anne gerichtet. Seine Lippen kräuselten sich zu einem spöttischen Lächeln, als er vorwärts schritt.

„Du wusstest, dass ich hier sein würde. Also bist du absichtlich aufgetaucht und hast diese kleine Show abgezogen – nur um meine Aufmerksamkeit zu bekommen."

Annes Blut kochte, sobald sie ihn sah. Sie öffnete den Mund, um zu kontern, aber Audrey spuckte: „Sie ist nicht mehr deine Freundin. Sie kann flirten, daten oder tun, was zum Teufel sie will. Und sie sucht definitiv nicht nach deiner Aufmerksamkeit."

Denis schnaubte, sein Grinsen vertiefte sich. „Oh, wirklich?" Sein Blick wanderte zurück zu Anne und forderte sie heraus. „Das ist interessant, denn erst heute Morgen hat sie mir gesagt, sie würde heiraten. Und doch ist sie hier, in einem Nachtclub, auf der Suche nach einem Date. Wenn es nicht um mich geht, worum dann?"