Ein stilles Gelübde

Anne fand sich schwebend in Wolken wieder. Der Himmel erstreckte sich endlos in alle Richtungen, gemalt in blassen Gold- und Elfenbeintönen. Es war friedlich und surreal – wie ein Traum.

Der Schmerz in ihrem Körper war verschwunden, ersetzt durch eine seltsame Leichtigkeit. Sie schaute sich staunend um. "Bin ich tot?"

"Anne." Eine Stimme schwebte von hinten auf sie zu.

Anne drehte sich um. Eine Frau stand dort, strahlend und ätherisch, gehüllt in ein fließendes weißes Gewand, das wie Mondlicht schimmerte. Ihr Gesicht war heiter, ihre Augen warm vor Zuneigung.

"Wer bist du?"

Die Frau lächelte nur.

Annes Blick schweifte über die endlose Weite der Wolken. "Wo bin ich? Was ist das für ein Ort?" Sie schaute zurück zu ihr. "Kann ich bei dir bleiben?"

Die Frau trat näher. "Mein Kind, du kannst nicht hier sein. Du musst zurückgehen."

Anne schüttelte den Kopf. "Ich will nicht zurück. Niemand kümmert sich um mich. Alle sind grausam. Diese Welt ist voller Bosheit und Verrat. Lass mich hier bei dir bleiben. Bitte."

Das Lächeln der Frau schwand nie. Sie streichelte Annes Haar. "Du musst für dich selbst leben. Finde dein Glück." Sie trat ein wenig zurück und stieß sie dann nach unten.

Anne stolperte, ihr Herz zuckte vor Schrecken. "Nein, verlass mich nicht," schrie sie, mit den Armen rudernd, als eine unsichtbare Kraft sie nach unten riss.

Die Gestalt der Frau wurde kleiner, verblasste im Licht über ihr. "Du wirst wahre Liebe finden," hallte ihre Stimme schwach nach. "Schätze sie, wenn sie kommt."

Aber Anne hörte die Worte kaum. Panik erfasste sie, als sie schneller fiel, der Wind an ihren Ohren vorbei peitschte. Sie schrie, griff nach allem, woran sie sich festhalten konnte, aber da war nichts – nur der endlose Fall.

Mit einem Ruck landete sie und fand sich direkt vor der Tür von Denis' Büro stehend wieder. Sie stand da, atemlos und zitternd.

Anne blinzelte, desorientiert. War es ein Traum gewesen? Eine Vision? Oder etwas mehr?

"Ich bin schwanger. Es ist dein Kind." Diese Worte hallten in ihren Ohren. Sie blinzelte ungläubig, ihre Augen schnellten zu der vertrauten Szene vor ihr, die sie erst vor kurzem miterlebt hatte.

'Bin ich nicht gestorben?', fragte sie sich im Geiste, während sie an sich herabsah. Sie hielt immer noch die Kuchenschachtel, die sie gekauft hatte, um ihren Geburtstag mit Denis zu feiern.

Die Erinnerung an kalten Asphalt, grelle Scheinwerfer und den Geschmack von Blut überflutete ihre Sinne. Aber jetzt war nichts – kein Schmerz, keine Blutergüsse.

"Es ist das Ergebnis dieser Nacht."

Annes Kopf schnellte hoch. Die gleichen Worte. Die gleiche Umgebung. Der gleiche Verrat entfaltete sich vor ihren Augen. Alles wiederholte sich, als hätte sich die Uhr zurückgedreht.

'Was passiert hier? Bin ich wiedergeboren?' Ihre Finger umklammerten die Kuchenschachtel fester, als die Erkenntnis sie traf. Das Schicksal hatte ihr eine zweite Chance gegeben.

Anne wollte nicht wieder getötet werden. Ihr Gesicht verhärtete sich. Sie würde nicht weinen. Sie würde nicht betteln. Und sie würde sicherlich nicht wie eine Närrin dastehen und zusehen, wie sie sie erneut zerstörten.

'Du hast mich in meinem früheren Leben getötet, Tania,' dachte Anne. 'Aber ich werde dir diese Chance diesmal nicht geben.' Ohne ein Wort drehte sie sich um und schlich leise davon. Sie warf die Kuchenschachtel in einen nahegelegenen Mülleimer und ging die Straße hinunter, unbekümmert vom Nieselregen.

Obwohl sie beschlossen hatte, ihn loszulassen, tat es immer noch weh. Sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten.

'Warum weine ich wegen diesem Mann?', dachte sie verbittert und wischte sich über die Wangen. 'Er ist es nicht wert.'

Der Schmerz in ihrer Brust wurde stärker, aber sie zwang sich, ihren Rücken zu strecken. Sie hatte genug geweint, genug geliebt und genug verloren.

Mit einem Blick die Straße hinauf und hinunter suchte Anne nach einem Taxi, aber das Wetter hatte die Straßen von vorbeifahrenden Autos geleert. Mit einem resignierten Seufzer zog sie ihren Mantel enger um sich und ging weiter.

Zwei Gestalten stolperten aus dem Schatten eines geschlossenen Geschäfts, ihr Lachen hallte wider.

"Hey," lallte einer. "Schau dir diese Schönheit an. Ganz allein und durchnässt. Sollten wir ihr helfen?"

Sein Begleiter kicherte und taumelte vorwärts. "Ja, wir wollen nicht, dass sie sich erkältet."

Sie lachten und näherten sich ihr.

Annes Herz zog sich zusammen, als Panik durch ihre Adern schoss. Jeder Instinkt schrie sie an zu rennen. Sie drehte sich um und beschleunigte ihren Schritt. Aber die Männer waren schneller.

"Wohin läufst du?" höhnte einer, schnitt ihr den Weg ab und blockierte ihren Pfad.

Anne stolperte zurück, ihre Brust hob und senkte sich heftig. "Geh mir aus dem Weg," schnappte sie.

Der größere Mann grinste. "Es regnet, Schätzchen. Keine Taxis in der Nähe. Warum kommst du nicht mit uns? Wir halten dich warm." Bevor sie reagieren konnte, packte er ihr Handgelenk und zog sie an seine Brust.

"Lass mich los!" schrie Anne und kämpfte gegen seinen eisernen Griff.

Der Mann lachte nur, sein Atem stank nach Alkohol, als er sich näher lehnte und den Duft ihres regenfeuchten Haares einatmete.

Annes Magen drehte sich vor Ekel. Verzweifelt rammte sie ihr Knie nach oben und traf ihn direkt in den Schritt.

"Argh!" Sein Lachen verwandelte sich in ein schmerzerfülltes Heulen. Er krümmte sich zusammen, hielt sich fest, während er rückwärts taumelte. "Du Schlampe! Du bist tot!"

Der andere Kerl zog ein Messer heraus und stürzte sich auf sie. Anne wich kaum aus, Adrenalin überwand ihre Erschöpfung. Sie stieß ihn beiseite und sprintete die Straße hinunter, ignorierte den stechenden Schmerz, als das Messer ihre Hand streifte.

"Bleib stehen!" brüllte der Mann, beide nun in wütender Verfolgung.

Regentropfen prasselten auf ihr Gesicht, verschwommen ihre Sicht, als sie vorwärts stolperte, nach Luft schnappend. Ihre Beine schrien vor Protest, ihre Brust brannte bei jedem Atemzug, aber sie wagte es nicht, langsamer zu werden.

Blut tropfte von ihrer Hand, obwohl Anne es kaum registrierte. Alles, was sie wollte, war, ihnen zu entkommen. Sie rannte so schnell sie konnte.

Dann entdeckte sie einen Mann, der neben einem eleganten Auto stand und die Tür offen hielt, während jemand einstieg.

Hoffnung entflammte in ihrem Herzen. Mit pochendem Herzen trieb Anne ihren erschöpften Körper härter an.

"Hilfe," rief sie. "Bitte helfen Sie mir."

Der Mann im Auto streckte seinen Hals heraus, nur um eine Frau zu sehen, die auf ihn zueilte.

Die beiden Männer hielten an, als sie die Szene sahen. Sie traten zurück und flohen.

Ihre Beine gaben nach, als sie das Auto erreichte, eine Hand klammerte sich zur Unterstützung an die offene Tür. "Helfen Sie mir, bitte. Diese Typen..."

Bevor sie ihren Satz beenden konnte, fegte Dunkelheit wie eine grausame Welle über sie hinweg, und ihre Knie gaben nach.

"Hey..." Augustine bewegte sich ohne nachzudenken, seine Arme streckten sich gerade rechtzeitig aus, um ihren schlaffen Körper aufzufangen. "Gustave, hilf ihr hinein."

"Herr." Gustave eilte um das Auto herum und hob Anne vorsichtig auf den Rücksitz. Sie sank gegen Augustine, ihr Kopf ruhte an seiner Brust.

"Gib mir ein Handtuch," befahl Augustine.

Gustave griff in das Handschuhfach und zog ein ordentlich gefaltetes Handtuch heraus, reichte es nach hinten. Er startete den Motor und fragte: "Wohin, Herr?"

Augustine blickte einen Moment lang auf die Frau in seinen Armen hinab und sagte: "Zu mir nach Hause."

"Verstanden." Das Auto fuhr davon.

Augustine wischte sanft die Regentropfen von ihrem Gesicht, seine Berührung uncharakteristisch zärtlich. Er strich feuchte Haarsträhnen von ihren Wangen. "Warum bist du so?" murmelte er, sein Blick wurde weicher.

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Das Auto glitt vor einem eleganten, modernen Haus sanft zum Stehen. Gustave stieg zuerst aus und eilte, um die hintere Tür zu öffnen.

Augustine nahm sie in seine Arme und trug sie hinein. "Ruf den Arzt."

Gustave nickte, zog bereits sein Telefon heraus, während er folgte.

Augustine trug Anne direkt in sein Zimmer und legte sie vorsichtig aufs Bett.

Anne regte sich, ihre Stirn runzelte sich, als das Bewusstsein langsam zurückkehrte.

"Du bist wach," sagte Augustine leise und ließ sich auf die Bettkante sinken.

Anne öffnete hektisch die Augen und sah einen Mann neben sich. Sie geriet sofort in Panik. "Zurück," rief sie aus und krabbelte zum Rand des Bettes.

Augustine blinzelte, für einen Moment überrascht. Dann huschte ein Anflug von Belustigung über sein Gesicht. "Du hast mich schon vergessen? Vor nicht allzu langer Zeit hast du mich angefleht, dich zu retten."

Anne erstarrte, als die Erkenntnis in ihr dämmerte. Es war tatsächlich der Mann, den sie um Hilfe gebeten hatte.

"Keine Sorge. Ich nutze keine hilflose Frau aus." Er stand auf und schob seine Hände in die Taschen. "Du bist hier sicher."

Seine Worte beschämten sie noch mehr. "Ich... Es tut mir leid," stammelte sie und senkte den Blick. "Mein Verstand war vernebelt. Ich habe dich nicht erkannt."

Augustine erhob sich. "Keine Entschuldigung nötig. Mach dich einfach sauber und wechsle deine Kleidung. Ich habe bereits einen Arzt gerufen. Er wird bald hier sein."

Er drehte sich zum Gehen.

"Danke," sagte sie, "dass du mich gerettet hast."

Er hielt inne, seine Haltung versteifte sich. Einige verschwommene Bilder blitzten in seinem Hinterkopf auf. In seinem früheren Leben hatte er sie versehentlich mit seinem Auto angefahren und getötet. Diese Schuld trug er immer noch in seinem Herzen.

"Hmm," summte er leise. "Zieh dich schnell um. Erkälte dich nicht."

Er ging hinaus, sein Blick verhärtete sich. 'Egal was passiert, ich werde dich diesmal beschützen,' gelobte er still.