Zurückgelassen

Melanie starrte auf ihr Spiegelbild, während ihre Finger gedankenverloren mit dem Ehering an ihrer Hand spielten. Das Metall fühlte sich kälter an als sonst, sein einst tröstliches Gewicht erschien ihr nun wie eine Last. Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie sich weiter betrachtete. Sie war eine erstklassige Närrin, das war sie.

Sie atmete tief ein und zog mit einer einzigen Bewegung die Schublade vor ihr auf. Ihre Hand zögerte kurz, bevor sie nach dem darin versteckten Umschlag griff. Sie war diejenige gewesen, die ihn versteckt hatte, in dem Glauben, so tun zu können, als existiere er nicht, als würde sie ihn nie brauchen. Aber die Wahrheit hatte die Angewohnheit, sich wieder einzuschleichen, egal wie sehr sie ihr ausweichen wollte.

Sie verdiente einen Preis für ihre Fähigkeit, den Kopf in den Sand zu stecken. Spencer hatte sich verändert. Oder vielleicht war er schon immer so gewesen, und sie hatte es einfach nie gesehen. Vielleicht hatte sie es nicht sehen wollen. Sie war von Liebe verblendet gewesen.

Mit einem langsamen Atemzug entfaltete sie vorsichtig die Notiz aus dem Umschlag und überflog die vertrauten Worte.

"Betrachte dies als einen Gefallen. Wenn du die Wahrheit über deinen Ehemann erfahren willst, sieh es dir an."

Ihr Blick wanderte zu dem USB-Stick, der unberührt am Boden der Schublade lag, seit dem Tag, an dem sie ihn erhalten hatte. Sie hatte ihm nicht einmal einen Gedanken geschenkt und ihn einfach hier vergraben, in der Annahme, dass jemand wahrscheinlich nur Zwietracht zwischen ihnen säen wollte. Aber jetzt... Sie müsste sich das auf jeden Fall ansehen.

Bevor sie wieder nach dem USB greifen konnte, ließ sie ein scharfes Klopfen an der Tür zusammenfahren. Mit pochendem Herzen schob sie die Notiz zurück in die Schublade und ließ den USB-Stick in ihre Handtasche gleiten, gerade als die Tür sich öffnete.

Spencer stand da, sein Gesichtsausdruck ungeduldig und mürrisch. Seine Krawatte hing locker um seinen Hals, und er fuhr sich mit der Hand durch sein perfekt gestyltes Haar, sichtlich verärgert.

"Komm schneller runter," murmelte er. "Ich muss ins Büro. Ich komme zu spät. Ich kann nicht zulassen, dass deine Unpünktlichkeit meinen ersten Eindruck bei allen ruiniert."

Melanie begegnete seinem Blick mit einem ausdruckslosen Gesicht, nicht willens, sich auf einen weiteren sinnlosen Austausch einzulassen. "Ich bin in einer Minute unten," sagte sie neutral. Ihre Unpünktlichkeit?

Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte sie sich wieder dem Spiegel zu, warf sich einen letzten Blick zu und griff dann nach ihrer Handtasche, bevor sie zur Tür ging. Doch bevor sie hinaustreten konnte, hallte die Stimme ihrer Schwiegermutter durch den Flur.

"Melanie!"

Sie schloss kurz die Augen, schluckte einen Seufzer hinunter und drehte sich in Richtung der Stimme. Konnte diese Frau sie jemals ausgehen lassen, ohne sie aufzuhalten? Mit gemessenen Schritten betrat sie das üppig eingerichtete Zimmer ihrer Schwiegermutter.

"Du gehst heute nicht ins Büro," verkündete die alte Frau und stellte ihre Tasse mit einem leisen Klirren ab. "Spencer ist zurück, und du wirst dort nicht gebraucht."

Melanie presste ihren Kiefer zusammen: "Ich muss gehen," sagte sie gleichmäßig. "Wenn auch nur, um Spencer alles zu übergeben." Obwohl sie nicht die Absicht hatte, nur die Dinge zu übergeben. Das Unternehmen gehörte nicht nur Spencer. Es war auch die harte Arbeit von ihr und ihrer eigenen Großmutter. Auf keinen Fall würde sie das alles aufgeben und zu Hause sitzen, um die persönliche Dienerin ihrer Schwiegermutter zu werden.

Ihre Schwiegermutter warf ihr einen scharfen Blick zu, sagte aber nichts weiter. Es war offensichtlich, dass sie der Meinung war, Melanies Platz sei im Haus, wo sie pflichtbewusst auf die Rückkehr ihres Mannes warten sollte, anstatt sich mit geschäftlichen Angelegenheiten zu befassen. Aber Melanie war darüber hinaus, sich darum zu kümmern, was die Frau dachte. Der einzige Grund, warum sie bis jetzt geschwiegen hatte, war ihre Liebe zu Spencer. Sie hatte gewollt, dass er in ein friedliches Zuhause zurückkehrt.

Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging hinaus, beschleunigte ihre Schritte in Richtung Eingangshalle, wo ihr Mann wahrscheinlich inzwischen ein Loch in den Teppich gelaufen hatte... Aber als sie den Eingang erreichte, hielt der Butler sie mit einem entschuldigenden Blick auf.

"Gnädige Frau, Mr. Collins ist bereits mit seinem Freund abgefahren," informierte er sie.

Melanie nickte, obwohl ihr Herz flackerte. Sie hatte drei Jahre auf den Mann gewartet. Und er konnte keine drei Minuten warten. "In Ordnung," sagte sie knapp. "Machen Sie ein anderes Auto für mich bereit."

Der Butler zögerte. "Gnädige Frau... die Autoschlüssel. Ihre Schwiegermutter hat sie vor einer Weile an sich genommen."

Melanie atmete scharf ein, Ärger wallte in ihr auf. "Natürlich hat sie das," murmelte sie leise. Sie hätte es wissen müssen.

Der Butler warf ihr einen mitfühlenden Blick zu, bevor er sich zurückzog und sie am großen Eingang ohne Transportmittel stehen ließ. Sie könnte zu Fuß gehen, aber da dies eine geschlossene Wohnanlage war und keine öffentlichen Verkehrsmittel hineingelassen wurden... würde es mindestens zwanzig Minuten dauern, in Absätzen zu laufen.

Gerade als sie über ihren nächsten Schritt nachdachte, erreichte das leise Brummen eines Motors ihre Ohren, gefolgt vom unverwechselbaren Quietschen von Reifen. Ein Motorrad hielt vor ihr, der Fahrer von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, ein Helm verbarg sein Gesicht.

Melanie stockte der Atem. Schon wieder. Er war es. Warum war er immer hier?

"Brauchst du eine Mitfahrgelegenheit?" Seine Stimme war vertraut—zu vertraut.

Ihre Finger umklammerten den Riemen ihrer Handtasche, während sie ihn anstarrte.