Eine Wahrheit

Melanie fühlte sich innerlich kalt. Selbst als die Vorstandsmitglieder weiter redeten und plauderten und den Brüdern Willkommensworte entgegenwarfen, hörte sie sie kaum. Ihre Stimmen waren nur ein fernes Summen, bedeutungsloses Geräusch gegen den Sturm, der in ihrem Kopf tobte. Ihre gesamte Aufmerksamkeit blieb auf das gerichtet, was sie kurz vor dem Betreten gesehen hatte.

Ein hohler Schmerz setzte sich tief in ihrer Brust fest, und alles, was sie tun wollte, war zu gehen – unbemerkt davonzuschleichen und eine dunkle, ruhige Ecke zu finden, wo sie sich zusammenrollen und das Gewicht von allem auf sich erdrücken lassen konnte. Sie wollte weinen, um die Zerschmetterung ihrer ersten Liebe trauern, den Verrat, der eine tiefe, klaffende Wunde hinterlassen hatte, und den Verlust ihres unschuldigen Selbst, das sie nie wieder zurückgewinnen konnte. Aber sie würde es nicht tun. Noch nicht.

Dafür würde später Zeit sein – wenn sie den Luxus der Einsamkeit hatte. Jetzt musste sie sich zusammenreißen. Sie musste sich auf das konzentrieren, was wichtig war: Spencer davon abzuhalten, den Vorsitz zu übernehmen.

Die Ironie war ihr nicht entgangen. Sie selbst hatte dies in Gang gesetzt. Sie hatte alles vorbereitet, die notwendigen Vorkehrungen getroffen, sogar die Vorstandsmitglieder überzeugt, Spencers Ernennung zu unterstützen. Und jetzt versuchte sie, es rückgängig zu machen.

Das Problem war, dass der Vorstand gleichmäßig geteilt war. Einige glaubten, dass es keinen Grund für Veränderungen gab, dass die Dinge unter ihrer Führung reibungslos liefen. Andere hingegen hatten sie nie wirklich als Leiterin des Unternehmens akzeptiert. Sie warteten einfach – harrten aus – bis sie endlich zurücktreten und alles an Spencer übergeben würde.

Wenn sie jetzt gegen ihn stimmen würde, wäre das Ergebnis unentschieden. Und Spencer würde es wissen. Er würde erkennen, dass sie diejenige war, die sich im letzten Moment gegen ihn gewandt hatte.

Melanie atmete leise aus und senkte den Blick auf ihre Finger.

Es gab nur einen Mann, der das Gleichgewicht verschieben konnte.

Sie konnte seine Augen auf sich spüren, die sie mit einer Intensität beobachteten, die ihre Haut kribbeln ließ. Sie zögerte, bevor sie aufblickte, ihr Blick traf seinen für einen kurzen, elektrischen Moment, bevor sie schnell wegschaute.

Adam Collins.

Es gab etwas an der Art, wie er sie ansah, das sie immer unruhig machte, als könnte er direkt durch sie hindurchsehen, jede Schicht abziehen und Dinge freilegen, mit denen sie sich nicht auseinandersetzen wollte.

Unweigerlich trafen ihre Augen wieder auf seine.

Würde er sie unterstützen? Konnte sie auf ihn zählen?

Als ob er ihre unausgesprochene Frage spürte, hob Adam eine Augenbraue und dann die kleine Wasserflasche in seiner Hand. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, neigte er sie leicht in ihre Richtung, bevor er einen langsamen Schluck nahm.

Melanie schüttelte den Kopf über sich selbst. Sie war töricht. Adam Collins war kein Gedankenleser. Warum sollte ausgerechnet er erraten können, was sie wollte?

Ein plötzlicher Stoß gegen ihren Fuß ließ sie blinzeln.

Sie drehte sich um und fand Laela, die sie mit einem bedeutungsvollen Blick beobachtete. Es dauerte einen Moment, bis sie registrierte, was geschah, aber dann bemerkte sie die Stimmzettel, die herumgereicht wurden.

Es war Zeit, abzustimmen.

Die Stimmabgabe war eine Routineangelegenheit – einfach, fast mechanisch. Einundzwanzig Vorstandsmitglieder, jeder erhielt einen Zettel, mit der Aufgabe, ein einziges Wort zu schreiben: Ja oder Nein. Ein Wort, das über die Zukunft des Unternehmens entscheiden würde.

Melanie verstärkte ihren Griff um den Stift, ihr Puls trommelte in ihren Ohren. Sie musste sich auf das Unvermeidliche vorbereiten, ihr Herz gegen alles, was kommen würde, stählen. Es war ihr Fehler, und sie würde dafür bezahlen.

Aber dann – bevor die erste Stimme abgegeben werden konnte – klopfte Adam einmal auf den Tisch vor ihm. Nur einmal.

Doch der Klang hallte durch den Raum wie ein Befehl, scharf und bewusst. Gespräche verstummten mitten im Satz, Stifte erstarrten über dem Papier, und jeder Kopf drehte sich in seine Richtung. Eine seltsame, fast unnatürliche Stille legte sich über den Sitzungssaal, als ob die Luft selbst vor Erwartung dicker geworden wäre.

Melanie runzelte die Stirn, ihre Finger umklammerten den Stift in ihrer Hand etwas fester. Wieder einmal konnte sie nicht verstehen, warum die Präsenz dieses Mannes so befehlend war.

Adam Collins war ein Rätsel. Selbst jetzt hob er sich deutlich von der Masse perfekt geschneiderter Anzüge und polierter Erscheinungen ab, der Einzige in einer abgenutzten Lederjacke, die ihn eigentlich fehl am Platz hätte wirken lassen sollen. Stattdessen beherrschte er den Raum um sich herum, seine Präsenz größer als die jedes anderen im Raum.

Er war das schwarze Schaf der Familie Collins – der Mann, der von allem weggegangen war, lange bevor Melanie Spencer überhaupt kennengelernt hatte. Und doch, trotz seiner Abwesenheit über die Jahre, gab es etwas an ihm, das tief in der Geschichte des Unternehmens verwurzelt schien.

Sie hatte es in dem Moment gesehen, als er eintrat. Die Art, wie die älteren Vorstandsmitglieder reagiert hatten – Blitze der Erkennung, Überraschung, sogar ein Hauch von Unbehagen – sagte ihr, dass Adam Collins nicht nur ein bekannter Name war. Er war jemand, dessen Rückkehr sie nicht erwartet hatten.

Aber die aufschlussreichste Reaktion kam von Spencer.

Ihr Ehemann – Nein, korrigierte sie sich, er würde nicht mehr lange ihr Ehemann sein, wenn sie etwas dazu zu sagen hätte – war beim Anblick von Adam im Unternehmen erstarrt. Spencer war nicht erfreut gewesen, ihn zu sehen.

Dabei erinnerte sie sich, dass sie diese beiden auch zu Hause nicht beobachtet hatte, als Spencer zurückgekehrt war.

Aber eines war klar. So wie Adam wenig von Spencer zu halten schien, hatte auch Spencer keine Liebe für Adam übrig.

Hier ging etwas vor sich, und sie hatte keine Ahnung, was. Aber während sie dort saß, wurde ihr klar... sie wollte es nicht einmal wissen.

Und dann begann Adam zu sprechen: "Bevor wir hier sitzen und diese Abstimmung durchführen, habe ich eine einfache Frage zu stellen – Direktor Spencer Collins, was waren Ihre Leistungen und Beiträge zu diesem Unternehmen, die Sie qualifizieren, hier zu stehen und diese Position zu übernehmen?"