Die Ankündigung des Majors löste einen Sturm komplexer Emotionen in Leo aus.
Er wollte Felix nicht töten – nicht nach allem, was sie in den letzten Stunden gemeinsam durchgestanden hatten. Aber die Regeln der zweiten Runde waren brutal klar: Von jedem Paar konnte nur einer weiterkommen, während der andere sterben musste.
Es gab keinen Raum für Kompromisse, keine Möglichkeit für Gnade.
Als Leo in der makellosen, von Glaswänden umgebenen Einfriedung stand, seine Hand den Dolch an seiner Seite umklammernd, verstärkten die Echos der Gewalt um ihn herum nur sein Unbehagen.
Viele der anderen Paare hatten bereits ohne zu zögern mit dem Kampf begonnen.
Die Geräusche von aufeinanderprallenden Metall, gequälten Schreien und wildem Rufen hallten durch den sterilen Raum, eine grimmige Erinnerung an das, was von ihm erwartet wurde.
Aber Leo bewegte sich nicht.
Etwas an dem Gedanken, Felix anzugreifen, fühlte sich für ihn zutiefst falsch an.
Obwohl er Felix nicht lange kannte und ihn nicht unbedingt als Freund bezeichnen würde, war Felix nicht sein Feind. Er war ein Mann, der in chaotischen Zeiten an seiner Seite gestanden hatte, und ihn zu töten fühlte sich wie Verrat an.
„Wir müssen das nicht tun, weißt du", sagte Felix plötzlich, seine Stimme zitterte, während er zur gegenüberliegenden Wand der Einfriedung zurückwich. Seine Augen huschten nervös umher, kehrten aber immer wieder zu Leo zurück.
„Wir können einfach... warten. Die Zeit ablaufen lassen. Wir werden beide disqualifiziert, aber wenigstens leben wir noch. Klingt das nicht besser, als uns gegenseitig umzubringen?"
Leo antwortete nicht. Er senkte seinen Blick auf den Dolch in seiner Hand, dessen Klinge unter dem künstlichen Licht glänzte. Sein Gesichtsausdruck war leer, seine Gedanken wirbelten durcheinander.
Die Regeln der Akademie waren absolut, aber Felix' Vorschlag brachte eine unwillkommene Frage in den Vordergrund von Leos Gedanken.
‚Würden sie uns wirklich gehen lassen, wenn wir nicht kämpfen? Oder würden sie uns beide einfach töten?'
Der Gedanke nagte an ihm, grub sich mit jeder verstreichenden Sekunde tiefer ein. Er konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass die Rücksichtslosigkeit der Akademie weit über das hinausging, was sie bereits erlebt hatten. Und dass sie leicht ihr Wort brechen und sie beide töten könnten, anstatt sie gehen zu lassen.
Aber noch beunruhigender als das war eine andere, viel persönlichere Frage.
‚Wenn ich nicht kämpfe... wenn ich nicht gewinne... werde ich jemals meine Erinnerungen zurückbekommen?'
Der Brief, den er vor all dem erhalten hatte, war eindeutig gewesen: Sein einziger Weg, seine Vergangenheit zurückzugewinnen, lag innerhalb der Akademie. Wegzugehen würde bedeuten, die einzige Chance aufzugeben, die er hatte, um herauszufinden, wer er wirklich war.
Das Gewicht dieser Erkenntnis lastete wie eine physische Kraft auf ihm, und sein Griff um den Dolch verstärkte sich noch mehr.
Widersprüchliche Emotionen kämpften in ihm – Zweifel, Schuld, Angst, und sein leerer Gesichtsausdruck wurde noch benommener.
Als er jedoch in einem tiefen Pool der Unentschlossenheit versank, flüsterte eine kalte, urtümliche Stimme in den Tiefen seines Bewusstseins.
Töte.
Es war kein Vorschlag. Es war nicht einmal ein Drang. Es war eine Wahrheit, roh und unbestreitbar.
Um zu überleben, um voranzukommen, müsste er töten.
Der Timer an der Wand tickte stetig abwärts, jede verstreichende Sekunde fühlte sich wie ein Countdown zum Unvermeidlichen an.
Felix, der durch Leos Schweigen immer verzweifelter wurde, machte einen zaghaften Schritt nach vorne, seine Hände erhoben, als wolle er ihn beschwichtigen.
„Sag doch was, verdammt! Du machst mir Angst!" platzte es aus Felix heraus, seine Stimme brach unter dem Gewicht seiner Panik, als Leo endlich seinen Blick hob, um ihn anzusehen.
„In zwanzig Sekunden werde ich dich angreifen, Felix." sagte Leo mit kalter, emotionsloser Stimme. Sein Tonfall klang ruhig und gleichmäßig.
Felix' Mund öffnete sich vor Schock, aber Leo fuhr ohne Pause fort.
„Ich will nicht unbedingt, dass du stirbst. Aber ich werde mich nicht zurückhalten, also schlage ich vor, du versuchst auch dein Bestes, mich zu töten."
Die Worte trafen wie ein Hammerschlag. Sie waren frei von Bosheit, aber das machte sie nur noch härter. Felix taumelte zurück, sein Atem ging unregelmäßig.
„Was?" krächzte er, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Du kannst nicht... Du weißt, dass ich ohne meinen Alkohol nicht kämpfen kann, Mann! Das ist kein fairer Kampf! Bitte, tu das nicht!"
Felix' Stimme wurde lauter, panischer, als Tränen über sein Gesicht zu strömen begannen. „Ich tue alles, Leo! Alles! Töte mich nur nicht!"
Aber Leos Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Seine Entschlossenheit war unerschütterlich, seine Aufmerksamkeit woanders. Er passte seinen Griff um den Dolch an und veränderte leicht seine Haltung, während sein Körper sich anspannte.
Felix' Stimme brach, die rohe Verzweiflung in seinen Worten ergoss sich wie ein brechender Damm. „Wir haben zusammen überlebt, Mann! Wir waren ein Team! Wie kannst du das einfach wegwerfen?!"
Leo antwortete nicht. Er zuckte nicht zusammen. Sein Verstand war von der einen, unbestreitbaren Wahrheit eingenommen: Dies war der einzige Weg nach vorn.
„Die Zeit ist um", sagte er leise, seine Stimme schnitt durch Felix' Schluchzen wie eine Klinge.
Und dann bewegte er sich.
Leo stürzte nach vorne, sein Dolch direkt auf Felix' Brust gerichtet.
Felix schrie, seine Augen weit aufgerissen vor Entsetzen, als er versuchte, sich zu verteidigen. Seine Arme ruderten nutzlos, die Tränen in seinen Augen verschwommen seine Sicht und seine Bewegungen waren unbeholfen, unkoordiniert.
Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke – Leos kalt und unnachgiebig, Felix' voller Panik und Verrat.
Und in diesem Augenblick zerbrach das zerbrechliche Band, das sie als Partner geteilt hatten, vollständig.
Als Felix jetzt in Leos Augen blickte, sah er nicht mehr den freundlichen Teamkollegen, der ihn aus einer Menge rücksichtsloser Attentäter ausgewählt hatte, sondern einen Mörder, der fest entschlossen war, sein Leben zu beenden.
*Stich*
*Schnitt*
Der Kampf war vorbei, bevor er überhaupt begann, als Leo ihm die Kehle durchschnitt und sein Herz auf die schmerzloseste Weise, die er kannte, durchbohrte.
„Vergib mir dafür... großer Kerl, ich wünschte nicht, dass es so endet–" sagte Leo, und das waren die letzten Worte, die Felix hörte, bevor seine Augen für immer dunkel wurden.