Unerwartete Wendung

Leos Wagnis, auf der Terrasse zu bleiben, zahlte sich aus.

In der letzten halben Stunde des Tests wagte niemand, einen Fuß auf die Terrasse zu setzen, was Leo und Felix einen freien Weg zur Qualifikation verschaffte.

Ob es an Angst, Erschöpfung oder einfach an der Tatsache lag, dass die meisten verbliebenen Teilnehmer zu sehr mit ihren eigenen Kämpfen beschäftigt waren, die Terrasse blieb ungestört.

125 Paare verbleibend.

Sobald die Zahl auf dem Zähler 125 erreichte, ertönte ein lautes Horn über das Gefängnisgelände und markierte das Ende des brutalen Qualifikationstests.

Leos Herz setzte beim Klang des Horns einen Schlag aus, das plötzliche laute Geräusch erschreckte ihn.

Doch als der erste Schock verflogen war, durchströmte ihn schnell Erleichterung, eine schwere Last hob sich von seiner Brust.

Er hatte es geschafft. Er hatte überlebt.

'Ich habe tatsächlich überlebt', dachte er, während die Erkenntnis wie ein lindernder Balsam über ihn kam.

Aber als die Erleichterung der Reflexion wich, tauchte ein anderer Gedanke auf, die Frage nach dem 'Was nun?'

Leos Blick fiel auf den Zähler, der an seiner Taille befestigt war, dessen rote Ziffern nun bei 125 eingefroren waren. Die Zahl bedeutete seinen Erfolg, seinen Fortschritt. Aber darüber hinaus bot sie keine Antworten.

'Bekomme ich endlich die Antworten, nach denen ich gesucht habe? Über diesen Ort? Über mich selbst?' fragte er sich, aber bevor er tiefer in das Thema eintauchen konnte, wurden seine Gedanken von einem aufgeregten Schrei unterbrochen.

"Wir haben es geschafft! Wir haben es tatsächlich geschafft, Leo!" rief Felix, seine Stimme voller ungehemmter Freude.

Bevor Leo reagieren konnte, stürmte Felix auf ihn zu, die Arme für eine überschwängliche Umarmung ausgestreckt.

"Nein, nein! Wir sind noch nicht in der Umarmungsphase–" lehnte Leo ab und versuchte zu verhindern, dass Felix ihn umarmte, aber der Dicke schien unbeeindruckt.

Er stürmte weiter auf Leo zu, trotz Leos Protest, nur damit der Teleportationskristall im letzten Moment aufflammte und beide in einem Augenblick von der Gefängnisterrasse teleportierte.

*********

Als das Leuchten des Teleportationskristalls nachließ, fand sich Leo in einem seltsamen, sterilen Raum wieder, mit Felix einige Meter neben ihm.

Die Verwirrung, die durch die plötzliche Teleportation entstand, schien ihn davon abgehalten zu haben, seinen Umarmungsplan zu verfolgen, da er die Arme verschränkte und die neue Umgebung, in der er sich befand, vorsichtig studierte.

Der neue Raum war riesig, ein weites Meer aus weißen Fliesen, jede mit einem einzelnen schwarzen Kreis in der Mitte markiert.

Als Felix den Raum absuchte, zählte er insgesamt 125 Fliesen, jede beherbergte ein Paar Teilnehmer, die alle genauso verwirrt über die plötzliche Teleportation zu sein schienen wie er.

"Was zum Teufel ist das für ein Ort?" murmelte Felix, während er sich die Schläfen rieb.

"Warum stehen alle einfach... herum? Was geht hier vor?"

Leo antwortete nicht sofort, sein Fokus war auf ihre Umgebung gerichtet.

Der Raum war beunruhigend leer – keine sichtbaren Ausgänge, keine offensichtlichen Hinweise darauf, was kommen würde. Nur die krasse Weiße und das bedrückende Gewicht der Ungewissheit.

"Leo?" drängte Felix, seine Stimme diesmal lauter, mit einem Hauch von Sorge.

"Was sollen wir jetzt tun?" fragte er erneut, aber bevor Leo antworten konnte, hallte ein scharfes Klicken von oben, gefolgt von einem mechanischen Zischen.

Leo riss den Kopf nach oben, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie transparente Glasscheiben von der Decke herabsanken.

Der Klang war unheimlich – ein tiefes, rhythmisches Dumpf-Dumpf-Dumpf, als jede Scheibe mit präziser, beunruhigender Effizienz an ihren Platz glitt.

Klick.

Klonk.

Die Glasplatten rasteten im Boden ein und bildeten perfekt versiegelte Würfel um jedes Paar, die sie voneinander isolierten.

Die schwachen Vibrationen des sich setzenden Glases durchliefen den Boden und jagten Leo einen Schauer über den Rücken.

"Was zum—?!" schrie Felix, seine Hände drückten gegen die Glaswand, die sie nun umschloss. Er klopfte nervös dagegen, seine Stimme stieg in Panik. "Leo! Was ist das?! Warum sind wir in einer verdammten Box?!"

Leo blieb still, sein Kiefer spannte sich an, während er das Raster aus Glaszellen um sie herum beobachtete. Die schwachen Spiegelungen der verwirrten Gesichter der anderen Teilnehmer spiegelten ihr eigenes Unbehagen wider.

Bzzzz~~

In diesem Moment durchschnitt ein plötzlicher Ausbruch von Statik die Spannung, gefolgt von einer Stimme, die aus versteckten Lautsprechern dröhnte.

"Herzlichen Glückwunsch an alle Teilnehmer, die es so weit geschafft haben," verkündete der tiefe, autoritäre Ton und brachte den Raum zum Schweigen.

Die Stimme war unverkennbar, es war Major Silver Paige.

"Die erste Stufe wurde entwickelt, um zu beurteilen, wie ihr als Team funktioniert. Ob ihr ein schwaches Ziel schützen oder mit einem starken Verbündeten zusammenarbeiten konntet. Aber Teamarbeit wird euch nur so weit bringen."

Die Worte des Majors trugen ein frostiges Gewicht, sein Ton war sowohl gemessen als auch gnadenlos.

"Die zweite Stufe wird bestimmen, ob ihr das Zeug habt, ein Attentäter zu werden."

Leos Magen verkrampfte sich, als die Worte in der Luft hingen, ein Gefühl der Angst überkam ihn. Er hatte gedacht, dass der Eingangstest bereits vorbei war, aber anscheinend war dem nicht so.

"Die Akademie nimmt jedes Kalenderjahr nur 125 Personen auf," fuhr der Major fort. "Und wir werden diese Tradition jetzt nicht brechen."

"Von den 125 Paaren, die vor mir stehen, wird nur ein Kandidat aus jedem Paar zur Einschreibung zugelassen. Die anderen 125 müssen ihr Leben verlieren."

Ein kollektives Keuchen ging durch den Raum, gedämpft durch die Glaswände, während Felix von der Scheibe zurücktaumelte, sein Gesicht bleich wie ein Laken.

"Das kann nicht passieren," murmelte Felix, seine Stimme brach. "Sie meinen das nicht ernst, oder?"

Leo sagte nichts, seine Aufmerksamkeit war auf die Stimme des Majors gerichtet, die fortfuhr.

"Dies ist ein Kampf auf Leben und Tod," erklärte der Major, sein Ton kalt und unnachgiebig.

"Ihr habt 25 Minuten....."

"Wenn ihr nicht gewinnt, werden beide Kandidaten eines Paares disqualifiziert."

"Gewinnt, und ihr werdet die Chance verdienen, einer der besten Attentäter des Universums zu werden."

Statik knisterte erneut, als die Stimme des Majors verschwand und nur die bedrückende Stille des Raumes zurückließ.

Felix wandte sich an Leo, seine Hände zitterten. "Leo... was sollen wir tun?!" fragte er, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

Aber Leo antwortete nicht. Sein scharfer Blick blieb auf den Dolch in seiner Hand gerichtet, sein Verstand raste bereits durch die grimmige Realität, der sie gegenüberstanden.