Die einst heilige Stadt Entlasia war gefallen.Dort, wo einst Gebete die Luft erfüllten, lag nun nur noch der Gestank von Blut und verbranntem Holz. Nichts war verschont geblieben. Die Dämonen, jene geisteskranken, wilden Kreaturen aus den dunkelsten Winkeln der Welt, hatten ihre Spuren hinterlassen – tiefer als jeder Schatten. Die prachtvollen Gebäude der Kirche, die goldenen Felder, selbst Kinder und Tiere – alles niedergemetzelt. Eine Woche hatte gereicht, um aus einem Ort des Friedens eine Wunde in der Welt zu reißen.
Zwischen den Trümmern bewegte sich eine einsame Gestalt – lautlos, wie ein Schatten zwischen den Toten. Ihre Bewegungen waren nicht menschlich. Mit Leichtigkeit sprang sie von Trümmer zu Trümmer, als wäre die Schwerkraft nur ein Gerücht. Schließlich blieb sie vor einer Säule stehen – oder besser gesagt: dem, was einst das Herz der Kirche war.
Die Kirche verehrte jenen, den man nur spöttisch den „Gott der Sterne“ nannte. Doch die Wahrheit war älter. Er war der Gott der Gleichheit – Schöpfer von Demis, Zeit und Tod. Und dennoch hatte ihn niemand verteidigt.
Die Gestalt kniete nieder.Etwas… war dort.Eine Präsenz – schwach wie das letzte Glühen einer sterbenden Glut. Sie zögerte kurz, dann hob sie mit Leichtigkeit die gigantische, fast 40 Meter hohe Säule an – als wäre sie nicht mehr als ein Steinchen.
Darunter lag ein kleines Mädchen.Rote Haare, die sich in den Staub mischten. In ihren Armen ein Schwert, größer als sie selbst – fein geschmiedet, verziert, offensichtlich das Werk eines Meisterzwergs. Doch was die Gestalt wirklich erstarren ließ, war ihr Zustand: kein einziger Kratzer, kein Blut, kein gebrochener Knochen. Nicht einmal ihre Haare waren zerzaust.
Ein Sonnenstrahl brach durch das zerstörte Mauerwerk und traf ihr Gesicht.Langsam öffneten sich ihre Augen.Aschengrau.
Ein seltenes Zeichen. Eine Augenfarbe, die nichts über ihr Talent sagte – doch alles über ihre Seele. Aschengrau bedeutete: eine zerbrochene Psyche, ein Körper, der überlebt, obwohl der Geist längst aufgegeben hat. Leere. Kein Wille zu leben – und doch atmete sie. Noch.
Die Gestalt grinste.Nicht aus Freude. Es war etwas Tieferes. Wie ein Tier, das in der Dunkelheit etwas gefunden hat, das seinen Hunger stillen könnte.Ein Puzzlestück.Noch vier fehlten.
Das Mädchen blinzelte benommen. Ihre Gedanken waren schwer wie Blei, und doch formte sich einer klar in ihrem Inneren:
„Dieses Gesicht… es ist nicht schön. Aber auch nicht hässlich. Es sieht aus, als… als wäre es traurig. Und trocken. Was fehlt ihm…?“
Doch bevor sie die Antwort finden konnte, fielen ihre Lider wieder zu. Ohnmacht.
Er hob sie hoch – so, wie es eine Braut getragen werden würde. Ihre Knie auf seinem rechten Arm, ihr Rücken auf dem linken.Er sprach kein Wort.Nur seine Schritte hallten leise zwischen den Totenmauern.
Später.
Der Mond war längst aufgestiegen. Der Himmel war schwarz, als hätte die Welt beschlossen, keine Farbe mehr zuzulassen.
Sie schlief noch immer. Zwei Stunden. Drei. Kein Lebenszeichen außer dem regelmäßigen Atem.Die Gestalt – der Mann – rührte sich nicht. Er saß da. Stumm. Regungslos. Schlaf war ihm fremd, denn Müdigkeit war ihm fremd. Immer schon.
Als der Morgen kam, die Sonne zaghaft über die Ruinen kletterte und erste Vögel zu singen begannen, öffnete sie endlich die Augen.Sie starrte ihn an. Wieder war es dieser Gedanke:
„Dieses Gesicht… so leer, so vergessen. Was fehlt ihm…?“
„Du hast deine Heimat verloren,“ sprach er ruhig.„Deine Familie. Den Reichtum deiner Eltern. Nur dieses Schwert ist dir geblieben.“
Sie antwortete ohne Zögern, ihre Stimme brüchig, aber klar:„Ich habe meine Familie nicht geliebt. Meine Heimat war mir gleichgültig. Der Reichtum bedeutete nichts.“
Er nickte nur leicht. Dann stellte er drei Fragen – direkt, ohne Umwege:„Wie heißt du, Menschlein?“„Willst du das Schwert behalten – oder soll ich es wegwerfen?“„Und… wirst du mit mir reisen?“
Es dauerte einen Moment. Ihr Blick wurde leer, als ob ihr Gehirn überfordert wäre – zu viele Worte, zu viele Impulse. Er wiederholte sanft:
„Wie heißt du?“
„…Rosemary.“
„Willst du das Schwert behalten?“
Ihre Stimme zitterte, doch sie klang entschlossener:„J-ja.“
Ein Nicken. Fast stolz. Dann kam die wichtigste Frage:„Willst du mit mir auf eine Reise gehen, die dein Leben kosten könnte – aber dich diese Welt sehen lässt? Oder willst du irgendwo in Sicherheit leben? Ich kann dir den Umgang mit dem Schwert beibringen.“
Sie zögerte.Blickte auf ihn. Kein Schwert. Keine Waffe.Wie konnte jemand sie lehren, der selbst nichts trug?
Und doch… irgendetwas an ihm fühlte sich an wie eine Klinge.Scharf. Schwer. Und alt.
Nach einer langen Pause antwortete sie schließlich:„Nur wenn du mich beschützt. Mit deinem Leben.“
Sein Blick wurde nicht weicher. Kein Zucken. Nur ein leises, sachliches „Ja.“Als hätte er es sowieso vorgehabt.
Für einen Moment war es still. Dann erhob er sich.Seine Silhouette streckte sich gegen das Licht – breite Schultern, ein unklarer Umriss. Die Sonne blendete Rosemary, machte sein Gesicht wieder undeutlich.Ein seltsames Gefühl überkam sie.
„Etwas fehlt… etwas, das Gott bei seiner Erschaffung vergessen hat.“
Er begann, das Lager zu zerstören. Keine Spuren. Die Dämonen waren nicht weit.
Sie beobachtete ihn.Dann stellte sie schließlich die Frage, die in ihr brannte:„Wer bist du überhaupt?“
Er erstarrte.Bewegte sich nicht.
Dann, mit einer Stimme, die wie Nebel klang:„Ich habe keinen Namen. Aber die Welt nennt mich Iblis.Iblis – derjenige, vor dem selbst der Sensenmann flieht.“