Kapitel 9: Der Weg durch Blut und Schweiß

Das Morgenlicht fiel in matten Strahlen über das abgenutzte Trainingsgelände. Eine karge Fläche aus festgestampfter Erde, umgeben von spärlichem Gras und ein paar ausgebleichten Holzpfählen. Am Rande standen einfache Holzbänke und ein überdachter Waffenständer, leer bis auf einige stumpfe Übungsschwerter. Der Tau glänzte noch auf den Blättern der wenigen Sträucher, während ein milder Wind durch das Tal strich. Der Himmel war blassblau, mit einzelnen Wolken, die langsam vorüberzogen.

Rosemary stand inmitten des Platzes. Ihre Hände umklammerten das Holzschwert fest, obwohl die Finger schon wund und mit kleinen Rissen übersät waren. Ihre Kleidung klebte an ihrem Körper – Schweiß hatte den Stoff durchtränkt, obwohl der Tag kaum begonnen hatte. Ihre Bewegungen waren langsam, aber zielgerichtet.

„Zwei... drei... vier...“, zählte sie flüsternd, während sie den Arm hob und das Schwert mit einem geraden Schwung nach unten führte.

Ein gutes Dutzend Mal wiederholte sie den Ablauf, bevor sie eine Pause einlegen musste. Ihre Schultern zuckten leicht, jedes Gelenk fühlte sich an, als sei es aus Stein gemeißelt. Iblis saß unweit auf einem umgestürzten Baumstamm, die Arme locker über die Knie gelegt. Sein Blick war aufmerksam, aber nicht streng.

„Dein Griff ist noch immer zu fest. Lockerheit bringt Geschwindigkeit. Geschwindigkeit bringt Kraft. Kraft ist nur das Resultat der richtigen Technik.“

Sie nickte, ohne sich umzudrehen. Die Luft war still, nur unterbrochen von dem gleichmäßigen Rhythmus der fallenden Holzschläge. Seit sie zusammengebrochen war, ließ Iblis sie kein einziges Mal wieder das Schwert führen – bis heute. Zwei Wochen lang hatte sie nichts anderes getan, als zu dehnen, sich zu strecken, zu halten. Stundenlang. Nur sie und ihr eigener Körper.

„Jeden Muskel dehnen, jedes Gelenk fühlen“, hatte er gesagt. „Du brauchst Kontrolle, bevor du Kraft bekommst.“

Die folgenden Wochen waren dann reines Krafttraining gewesen. Keine Gewichte. Keine Hilfen. Nur sie, die Schwerkraft und die Härte des Bodens. Kniebeugen, Liegestütze, Standübungen, Halteübungen. Unzählige Male war sie zusammengebrochen. Manchmal schrie sie. Manchmal schwieg sie einfach. Doch sie gab nie auf.

Und heute durfte sie zum ersten Mal wieder das Holzschwert halten. Iblis trat langsam zu ihr.

„Zeig mir den Schwung.“

Sie stellte sich auf, hob die Arme, holte aus – und ließ die Klinge durch die Luft schneiden.

„Besser“, sagte er. „Noch einmal.“

Sie wiederholte es.

„Noch einmal.“

Wieder. Und wieder. Und wieder.

Die Sonne stieg höher. Stunden vergingen. Als ihr Schwertarm zitterte und sie kaum noch stehen konnte, fragte sie plötzlich, halb keuchend, halb spöttisch:

„Du beobachtest mich jeden Tag... aber du trägst gar keine Waffe. Kannst du überhaupt Schwertkampf?“

Iblis lachte leise. Dann sagte er:

„Wenn ich nur einen Strohhalm zur Verfügung habe, kann ich ihn so schwingen, dass er sogar einen Felsen glatt zerschneidet.“

Sie starrte ihn ungläubig an – dann lächelte sie schwach. „Dann hoffe ich, ich bin kein Felsen.“

„Noch nicht“, erwiderte er. „Aber vielleicht wirst du einer – einer, den niemand mehr spalten kann.“

Später, als sie sich erschöpft ins Gras sinken ließ, begann Iblis zu erklären.

„Mana ist nicht einfach nur Energie. Es ist Erinnerung. Ein zweites Gehirn, das speichert, was du immer wieder tust – solange du es wirklich erlebst. Nicht blindes Wiederholen. Bewusste Wiederholung.“

Er nahm ihr das Holzschwert ab und demonstrierte die gleiche Bewegung, die sie gerade tausende Male geübt hatte. Doch bei ihm sah sie anders aus. Flüssiger. Präziser. Leise schnitt das Holz durch die Luft.

„Dein Mana beobachtet dich. Es speichert jeden dieser Schwünge. Wenn du es oft genug tust, wird es ein Teil deiner Muskeln. Ein Teil deines Wesens.“

„Deswegen mach ich das jeden Tag tausende Male?“

„Ja. Am Anfang brauchst du dafür einen ganzen Tag. Später nur noch Stunden. Und irgendwann brauchst du nur noch Minuten.“

„Und wie merke ich, dass mein Mana es gespeichert hat?“

„Wenn du nicht mehr denkst – sondern tust.“

Sie sah ihn an. Ihre Lippen zitterten leicht, aber sie sagte nichts mehr.

Die Zeit verging. Drei Wochen. Vier Wochen. Sechs Wochen. Jeden Tag zehn- bis zwanzigtausend Schwünge. Manchmal mit Schwert. Manchmal mit bloßen Händen. Manchmal nur in Gedanken. Ihre Haltung wurde stabil. Ihre Bewegungen gleichmäßig. Sie begann, sich selbst zu spüren. Nicht nur ihren Körper – auch ihre Richtung.

Am Ende des zweiten Monats führte sie zehntausend Schwünge in fünf Minuten durch – mit perfekter Form. Nicht weil sie es wollte, sondern weil sie es konnte. Weil es in ihr war.

Iblis saß neben ihr, als sie sich wieder im Gras niederließ. Ihre Finger waren eingerissen, ihre Handflächen blutig, aber sie hielt das Holzschwert wie ein verlängerter Arm.

„Was kommt jetzt?“, fragte sie leise.

Er drehte den Kopf zu ihr. Sein Blick war scharf, aber ruhig.

„Jetzt reißen wir dich in Stücke und bauen dich neu zusammen.“