Kapitel 6 Sie, Die Nie Dazugehörte

Wie angewiesen zog Addison etwas Schönes an, ein Kleid, das sie aufbewahrt hatte, in der Hoffnung auf den Tag, an dem sie es vor Zion tragen könnte, bei einem ruhigen gemeinsamen Abendessen.

Sie hatte nie gedacht, dass dieser Tag so bald kommen würde. Nachdem sie sich gewaschen und angezogen hatte, trug sie leichtes Make-up auf, um die Erschöpfung in ihrem Gesicht zu verbergen.

Sobald sie aus ihrem Zimmer trat, spürte sie sofort, dass etwas nicht stimmte.

Das gesamte Rudelhaus trug eine feierliche Atmosphäre, still, fast unheimlich still.

Als sie den Flur zum Speisesaal entlangging, überkam sie ein wachsendes Gefühl des Unbehagens. Ihre Handflächen verkrampften sich, verrieten ihre Nervosität. Vor den hohen Türen stehend, holte sie tief Luft und versuchte, ihr rasendes Herz zu beruhigen.

Als sie die Tür öffnete, wurde sie nicht mit dem romantischen feinen Essen empfangen, das sie sich vorgestellt hatte. Stattdessen nahmen ihre Augen, als sie vortrat, ein Meer von Menschen in Schwarz wahr. Im Zentrum von allem saß Claire in einem weißen Kleid und tupfte sich behutsam mit einem Taschentuch die Augen.

In dem Moment, als Addison eintrat, drehte sich jeder Kopf zu ihr. Eine fassungslose Stille erfüllte den Raum, während alle mit weit aufgerissenen Augen sie schockiert und ungläubig anstarrten.

Addison begriff die Situation erst vollständig, als ihr Herz heftig in ihrer Brust pochte. Ihr Atem stockte, und ihre Wimpern flatterten, als sie Zions Blick begegnete, der am Kopfende des Tisches saß, sein Gesichtsausdruck dunkel vor Wut.

Die Atmosphäre im Raum war schwer vor Trauer, düster und ernst, und einige weinten sogar. Es war klar, dass sie der gefallenen Krieger gedachten und jene ehrten, die im Krieg umgekommen waren.

Es mochte längst überfällig gewesen sein, aber dies war die einzige Zeit, in der ihr Alpha anwesend war, und der Krieg war endlich vorbei, was ihnen die Chance gab, um ihre Verluste zu trauern.

Viele würden nie nach Hause zurückkehren, und es gab keine Körper zu begraben, nur die brutale Erinnerung an Krieger, die von den Vampiren wie Stoffpuppen zerrissen wurden.

Im Mittelpunkt von allem leitete Alpha Zion die Zeremonie und spendete den trauernden Familien Trost. Als seine Luna hätte Addison an seiner Seite stehen, ihre Rolle erfüllen und Unterstützung bieten sollen.

Aber stattdessen war es Claire, die neben ihm stand und die Pflicht übernahm, die rechtmäßig Addison gehörte.

Um die Sache noch schlimmer zu machen, war Addison nicht nur von ihren Verantwortlichkeiten abwesend, sondern sie trug ein auffallendes rotes Kleid, einen unangemessenen Kontrast zur Trauer um sie herum.

Anstatt Trost zu spenden, schien sie gekommen zu sein, um zu feiern, was nicht ganz falsch war. Ihr Gesichtsausdruck verstärkte nur das Gewicht von Zions brennendem Blick.

Solche Respektlosigkeit machte Zion so wütend, dass er sofort bedrohlich knurrte, als er von seinem Platz aufstand. "Was glaubst du, was du da tust?" fragte er, während er einen Schritt auf Addison zuging.

Bevor er einen weiteren Schritt näher kommen konnte, klammerte sich Claire an Zions Arm, ihre Stimme zitterte vor Kummer, durchsetzt mit leisen Schluchzern, als ob sie mit allen anderen trauern würde. Der Kontrast zwischen den beiden Frauen hätte nicht deutlicher sein können; eine in Trauer gehüllt und Trost spendend wie eine wahre Luna, während die andere zu spät kam, gekleidet in Gewänder, die in einer Trauerhalle keinen Platz hatten.

Der Unterschied war offensichtlich, und es dauerte nicht lange, bis die Rudelmitglieder ihre Verachtung auf Addison richteten. Für sie war sie zum perfekten Ziel geworden, um ihren Schmerz, ihre Unzufriedenheit und ihren Zorn zu schultern.

Gemurmel verbreitete sich durch die Halle, wurde lauter, als die Verachtung für Addison unmöglich zu ignorieren war. Niemand versuchte mehr, seine Verachtung zu verbergen, und äußerte offen Kritik, als stünde sie nicht direkt dort. Ihre offene Respektlosigkeit war erstickend.

Bevor Zion sie überhaupt befragen konnte, sprach Claire, ihre Stimme sanft, aber durchsetzt mit sorgfältig abgemessenem Kummer. "Zion, sei nicht zu hart zu ihr", sagte sie und warf Addison einen flüchtigen, mitleidigen Blick zu.

"Ich bin sicher, sie wollte die Toten nicht respektlos behandeln... Vielleicht ist es meine Schuld. Vielleicht hat meine Anwesenheit sie bedroht gefühlt, und sie hat heute gewählt, um ihre Dominanz über dich zu behaupten - um jeden an ihre Souveränität zu erinnern. D-Du solltest sie stattdessen trösten."

"Immerhin ist sie deine Luna, und ich - ich..." Claire ließ ihre Stimme verstummen und beendete ihren Satz nie. Sie musste es nicht. Die unausgesprochenen Worte hingen in der Luft und erlaubten jedem, die Lücken mit eigenen Annahmen zu füllen. Spekulationen verbreiteten sich wie ein Lauffeuer durch die Halle.

Was Claire wirklich wollte, war, dass alle glaubten, dass Addison als Zions derzeitige Gefährtin den Luna-Titel behielt, zumindest vorerst.

Und deswegen hatte Claire keine andere Wahl, als beiseite zu treten, unfähig, Addisons Position herauszufordern oder ihre Meinungen vorerst zu äußern. Aber genau das wollte sie, dass sie dachten.

Indem sie dies tat, entfachte sie subtil Ressentiments gegen Addison und drängte die Rudelmitglieder dazu, sie zu vergleichen.

Sie musste keinen Finger rühren, denn sobald ihr Zorn schwärte, würden sie diejenigen sein, die Zion drängten, Addison beiseite zu werfen.

Schließlich war Addisons Rolle immer nur eine Formalität gewesen, eine Zweckehe. Sie war schwach.

Jetzt, da Zion zurückgekehrt war, war ihre Nützlichkeit erschöpft. Das Rudel und sein Territorium würden natürlich wieder unter Zions Befehl fallen, und Addison ist nichts weiter als eine Galionsfigur, und sie hätte keinen Platz mehr an seiner Seite.

Dann, mit zitterndem Atem, senkte Claire ihren Blick und flüsterte: "Zion, I-Ich werde einfach gehen..." Ihre Stimme brach, und ein einzelnes Schluchzen entwich ihren Lippen, was sie noch zerbrechlicher und untröstlicher erscheinen ließ.

Addison hatte nicht einmal den Mund geöffnet, bevor die Stimmung im Raum sich vollständig gegen sie wandte. Claire hatte, wieder einmal, alle gegen sie aufgebracht, ohne eine einzige direkte Anschuldigung zu äußern.

Die Rudelmitglieder, bereits emotional roh vor Kummer, klammerten sich an ihre eigenen Schlussfolgerungen. Als sie Claire sahen, die süße und selbstlose Claire, zu Tränen reduziert und murmelnd über das Gehen, wandelte sich ihr Mitgefühl in Wut.

Blicke bohrten sich von allen Richtungen in Addison. Für sie war sie nicht mehr ihre rechtmäßige Luna. Sie war die Bösewichtin, die versuchte, die Frau zu vertreiben, die sie bereits zu schätzen gelernt hatten.

"Addison, wenn du ein Problem hast, stell dich mir direkt. Warum gehst du gegen eine schwangere Frau vor? Bist du wirklich so niederträchtig, dass du so tief sinkst, um die Schwachen anzugreifen?" höhnte Zion, seine Stimme durchsetzt mit kalter Wut.

Sein Kiefer spannte sich an, als er sie anstarrte, sein Ekel offensichtlich. Er hatte Addison nie gemocht, aber nach diesem Spektakel war jede verbleibende Toleranz, die er für sie hatte, vollständig erodiert.

In seinem Geist knurrte Shura, sein Wolf, protestierend. Das Biest kratzte an Zions mentalen Barrieren, kämpfte um Dominanz, seine Wut spiegelte seine eigene wider. Der innere Kampf machte Zion noch reizbarer, seine Geduld hing an einem seidenen Faden.

"Ich... Ich wusste nicht..." Addison konnte nur schwach flüstern, ihre Stimme trug kaum über die erstickende Spannung im Raum. Sie blickte umher und fühlte das Gewicht der Feindseligkeit des Rudels, das wie nie zuvor auf ihr lastete.

In den drei Jahren, in denen sie sie geführt hatte, hatten sie sie nie wirklich als ihre Luna respektiert, aber zumindest hatten sie aus Pflichtgefühl ihre Befehle befolgt.

Ihre Verachtung war immer präsent, aber still gewesen, verharrend, aber nie war sie so offen feindselig gewesen. Nie hatte es sich angefühlt, als stünde sie allein, umgeben von Wölfen, die ihre Fänge bleckten.

Ihre Brust verengte sich, als die Erkenntnis sie traf. Vielleicht war es Gamma Levi gewesen, der sie die ganze Zeit abgeschirmt hatte, ihre Verachtung in Schach hielt. Aber jetzt... wo war er? Sie suchte den Raum ab, aber er war nirgends zu finden. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie war isoliert. Verletzlich.

Und die Rudelmitglieder, einst nur distanziert, rückten nun näher, ihre Blicke scharf, ihr Gemurmel wurde lauter. Es war, als wollten sie sie in ihrer Verachtung ertränken, sie mit ihrer schieren Anzahl ersticken.

Zum ersten Mal fühlte sich Addison wie ihre Beute.

Addison stand ihren Boden, aber tief im Inneren schrie jede Faser ihres Wesens, sie solle rennen, dem erstickenden Gewicht ihrer Verachtung entkommen.

Aber mehr als alles andere war es der Blick in Zions Augen, der am tiefsten schnitt. Kalt. Abweisend. Als wäre sie nichts. Die sengende Intensität seiner Verachtung fühlte sich an wie ein heißes Messer, das durch ihre Haut schnitt, direkt zu ihrem Herzen.

Sie hatte diesem Rudel alles gegeben. Geopfert. Geführt. Gekämpft. Und doch hatten sie sie nie wirklich akzeptiert. Erst jetzt, inmitten ihrer Feindseligkeit stehend, verstand sie vollständig, dass sie hier nie dazugehört hatte.

Für sie war sie eine Außenseiterin. Eine Eindringling, die kein Recht hatte, neben ihrem Alpha zu stehen.

Eine schwere Müdigkeit legte sich über sie. Sie war müde, müde vom endlosen Versuchen, vom Rückwärtsbiegen, nur um einen Platz unter ihnen zu verdienen.

Müde, immer diejenige zu sein, die verstand, immer ertrug. Aber wer würde je versuchen, sie zu verstehen? Wer würde an ihrer Seite stehen?

Sie war müde vom Hoffen, müde vom Träumen, nur um zuzusehen, wie diese Träume zerbrachen, wieder und wieder, direkt vor ihr.

Sie war erschöpft, körperlich, geistig und emotional. Das Gewicht von allem drückte auf sie, erstickend und unerbittlich. Sie fühlte, als kämpfte sie einen Kampf ganz allein.

Wenn Zion und die Krieger, die in den Krieg gezogen waren, glaubten, sie seien die einzigen, die am meisten geopfert und Härten ertragen hatten, um den Sieg zu sichern, dann lagen sie falsch.

Addison hatte ihre eigenen Schlachten geschlagen, still, ungesehen, aber nicht weniger zermürbend. Sie hatte die Last getragen, das Rudel über Wasser zu halten, ihr Überleben zu sichern, während sie Zion auch aus der Ferne unterstützte.

Sie hatte unermüdlich gearbeitet, um Vorräte zu sichern, um sicherzustellen, dass er sich um nichts anderes als den Krieg selbst sorgen musste. Und doch, hier stehend, umgeben von Hohn und Groll, war es, als hätte nichts davon je eine Bedeutung gehabt.