Lauf

Herbsts Magen knurrte wie eine wilde Bestie und zog sich zusammen. Drei Tage ohne Nahrung. Drei Nächte zitternd in der Höhlung eines verrottenden Baumes.

"Scheiß drauf!"

Da sah sie es. Ein kleines, raues Lagerfeuer zwischen zwei umgestürzten Baumstämmen. Vier Einzelgänger... dürr, vernarbt, gemein aussehende Mistkerle... hockten darum herum.

Sie zögerte nicht. Der Hunger hatte die Angst schon vor langer Zeit aus ihr herausgefressen. Wie ein Schatten schlich sie durch das Unterholz, den Bauch flach am Boden, die Hände schnell. Sie schnappte sich das Brot...

Sie kauerte im Unterholz und beobachtete das Lager der Einzelgänger vor ihr... drei von ihnen brieten einen Hasen über dem Feuer

Ihre Taschen lagen unbeaufsichtigt. "Idioten!"

Sie stürzte vor.

Ein weiterer gestohlener Laib Brot, ein Stück Käse... dann ein 'Knacken' unter ihrem Fuß. Ein zerbrochener Zweig.

"Hey! Diebische Schlampe!" knurrte einer der Einzelgänger und wirbelte von der anderen Seite herum.

"DU KLEINES MISTSTÜCK... SIE HAT UNSER ESSEN GENOMMEN!"

"VERDAMMT, SCHNAPPT SIE EUCH!"

Herbst wartete nicht. Sie rannte los.

"Fangt sie!"

Der Wald verschwamm, als sie sprintete, ihre Füße knallten gegen Wurzeln und Steine. Hinter ihr Knurren, Flüche, das Donnern der Verfolgung. Die Jagd explodierte hinter ihr wie ein Rudel wilder Hunde auf Crack. Zweige schlugen ihr ins Gesicht. Dornen zerrissen ihre Beine.

Sie hielt nicht an. Schaute nicht zurück. Mit einem Herz, das wie eine Kriegstrommel schlug, und einem Atem, der in ihrer Kehle brannte, rannte sie wie die Hölle.

"Du bist tot, Schlampe!" schrie einer von ihnen.

Sie waren schnell. Einer packte fast ihren Mantel. Sie riss sich los, verlor einen Ärmel und rannte weiter. Ihre nackten Arme schmerzten, ihre Beine schrien, aber ihre Instinkte schrien lauter... rennen oder sterben.

"Verdammte Gosse!"

Ein Messer pfiff an ihrem Ohr vorbei und bohrte sich in einen Baum. Sie wich nach links aus, ihr Herz hämmerte.

"Schneller. Schneller."

Aber die Einzelgänger holten auf.

Die Bäume wurden weniger. Der Boden fiel ab. Sie rutschte zum Stehen, ihre Stiefel kratzten über den Kies. Die Klippe ragte vor ihr auf... zerklüftete Felsen und ein Abgrund, der aussah, als würde er die Hölle küssen.

Als Herbst am Rand der Klippe zum Stehen kam, fielen Kieselsteine nach unten in die Leere. Der Fluss tobte unter ihr, schwarz und hungrig.

"Dieser Fluss!"

Hinter ihr kamen die Schritte näher. Flüche flogen. Einer warf ein weiteres Messer. Es sauste diesmal an ihrer Wange vorbei.

Ihr Atem stockte. Das war's.

Sie konnte ihren eigenen Herzschlag spüren. Erinnerungen krallten sich in ihr... Lylas Lachen, das kippende Boot, das Wasser, das sie ganz verschlang.

"Nirgendwo zum Weglaufen, Diebin."

Sie drehte sich um. Die Einzelgänger kamen aus den Bäumen, grinsend, mit blitzenden Messern.

"Hättest einfach still verhungern sollen," spuckte einer aus.

Herbsts Brust brannte.

"Scheiß auf sie."

Sie blickte zurück auf den Fluss. Dasselbe Wasser, das Lyla, ihre kleine Schwester... ihre Baby-Schwester... vor zehn Jahren mitgenommen hatte...

"Vielleicht nimmt es mich auch."

"Komm friedlich, dann machen wir es schnell," höhnte der Anführer der Einzelgänger.

Herbst fletschte die Zähne. "Friss Scheiße."

Und sie sprang.

Kalt. Dunkel.

Das Wasser verschlang sie, zog sie hinab wie gierige Hände.

"Lyla..."

Rückblenden explodierten hinter ihren Augenlidern... Lylas Kichern.

Die beiden in einem kleinen Holzboot, geschnitzt von den Händen ihres Vaters.

Die Sonne auf dem Wasser.

Dann die Welle.

Riesig.

Brüllend.

"Herbst!" Lylas Stimme. Das Boot schaukelte, Lylas Quietschen, als sie über Bord fiel

Dann Stille.

Nur Herbst schaffte es ans Ufer.

Nur Herbst stellte sich der Wut ihres Vaters.

"Warum ist sie gestorben und nicht du?"

Das Gesicht ihres Vaters, verzerrt vor Kummer... und Hass.

Das Flüstern des Rudels... Das Exil... Die Jahre des Laufens, Hungerns, Überlebens.

Ihre Lungen brannten.

"Vielleicht ist es das." dachte Herbst.

Sie hörte auf zu kämpfen.

Sie ließ die Dunkelheit kommen. Vielleicht war sie es leid zu rennen, zu überleben wie ein Streuner mit Todeswunsch.

Ihre Augen schlossen sich, warteten auf Frieden... und dann...

Etwas packte ihren Arm... hart.

"Hab sie!" bellte eine raue Stimme.

Noch ein Ruck. Ihr Körper wurde nach oben gerissen, der Fluss spuckte sie aus wie eine schlechte Mahlzeit.

Sie keuchte, würgte an Luft, als sie wie ein verdammter Fisch ans Ufer gezogen wurde.

Sie krachte auf das schlammige Ufer, hustend, keuchend, mit sich drehendem Blick. Netze verhedderten sich in ihren Gliedmaßen. Sie trat, kämpfte, fluchte...

"Was zum Teufel... lasst mich los!"

Stimmen. Hart. Höhnisch.

"Das kann doch nicht wahr sein," knurrte eine tiefe Stimme.

"Haben sie wie eine verdammte Forelle gefangen." sagte ein anderer.

"Sie ist es. Hat letzten Monat vom Rand gestohlen. Nahm Stiefel und zwei Kaninchen. Dann verletzte sie einen unserer Patrouillen, als sie versuchten, sie zu jagen?..."

"Na, na," sagte eine tiefe Stimme gedehnt. "Schau mal, was für Müll der Fluss heutzutage ausspuckt."

Herbst blinzelte das Wasser aus ihren Augen.

Schwarze Uniformen. Bluthund-Insignien.

"Scheiße!"

Der Anführer, ein zerlumpter Delta oder Omega, Herbst konnte den Rang nicht richtig erkennen... grinste und packte das Fischernetz, in dem sie gefangen war. "Erinnerst du dich an uns, Diebin?"

Ihr Magen sank.

Sie war verzweifelt gewesen. Sie hatte nur eine Jacke und zwei Brote genommen.

"Du bist verhaftet," sagte er und zog das Netz fester. "Und glaub mir... Alpha wird sich freuen, dich wiederzusehen."

Alpha? Wiedersehen?

Ihr Alpha war für seine Brutalität bekannt. Es gab eine sehr geringe Chance auf ihre Flucht, wenn er selbst bei der vorherigen Verfolgung hinter ihr her war. Wo genau hatten sie sich also vorher getroffen? Es war ihr egal. Sie fragte nicht.

"Dann hättet ihr vielleicht Mittagessen einpacken sollen," schnappte sie und versuchte, wegzurollen. Ein Stiefel knallte auf ihre Schulter und drückte sie nieder.

"Du kommst mit uns. Alpha will dich sehen."

"Oh, toll," keuchte sie und grinste trotz der Schmerzen. "Sag ihm, er kann mich am Arsch lecken."

Das gefiel ihnen nicht. Raue Hände packten sie, zogen sie auf die Füße, immer noch im Netz verheddert. Einer schlug ihr zur Sicherheit in den Magen.

Sie stöhnte, aber schrie nicht. Schreien war für die Schwachen.

Als sie sie vorwärts stießen, nass und mit blauen Flecken, murmelte einer von ihnen: "Mal sehen, ob der Alpha sie besteigen oder häuten will."

Sie warf ihm einen Blick zu, Blut tropfte von ihrer Lippe. "Er kann es versuchen. Ich bin nicht wie die Schlampen in eurem Rudel. Ich beiße. Ich werde seinen Poppey abkauen!"

Ein weiterer harter Tritt in ihren Magen, gefolgt von einigen mehr.

Sie spuckte etwas Flusswasser aus. "Fahr zur Hölle."

Die Krieger lachten. "Nein, Liebling. Du zuerst."

Und dann... Dunkelheit.