Kapitel 8: Ein Vorgeschmack auf die Hölle

Lily lag eng zusammengerollt auf dem Boden. Ihr Atem ging langsam und gleichmäßig, ihr Gesicht war entspannt im Schlaf. Friedlich. Zu friedlich.

Es irritierte ihn. Sie hatte kein Recht, so zu schlafen. Nicht hier. Nicht nach allem, was ihre Familie getan hatte.

Er wollte diesen Frieden stören. Sie aus dieser zerbrechlichen Stille reißen. Sie sollte Angst haben, angespannt sein, die Tür beobachten, als würde sie auf den nächsten Schlag warten. Stattdessen schlief sie, als hätte sie nicht einen Sorge auf der Welt.

Zayns Blick wanderte zu dem Wasserkrug auf dem nahegelegenen Tisch.

Er könnte es über sie schütten. Eiskalt. Sie hochschrecken lassen und sie daran erinnern, wo sie war und wer sie war.

Dass sie nicht sicher war. Dass sie keine Ruhe verdiente.

Er trat vor und griff nach dem Henkel des Kruges.

Dann—

Ein Klopfen hallte durch die Stille.

Zayn erstarrte, seine Hand in der Luft schwebend. Seine Augen schnellten zur Tür, ein Knurren bildete sich in seiner Kehle.

Schon wieder?

"Was?" knurrte er.

Die Stimme eines Wächters drang durch die Tür. "Alpha, wir haben eine Situation im Kerker."

Zayn schloss kurz die Augen. Seine Geduld hing bereits an einem seidenen Faden.

Er öffnete die Tür ruckartig und starrte den Wächter an. "Was für eine Situation?"

Der Wächter stand stramm, den Blick geradeaus gerichtet. "Es ist Beta Ezra, Alpha. Er ist dabei, den Gefangenen zu töten. Wir haben alles versucht! Aber er..."

Zayn musste nicht fragen, wer der Gefangene war. Es gab nur einen nervtötenden Gefangenen. Xavier Brightpaw. Er warf Lily keinen zweiten Blick zu, bevor er den Raum verließ.

Der Geruch von Blut traf Zayn, sobald er den Kerker betrat. Er war scharf, metallisch und durchdrungen von Wut.

Seine Stiefel hallten den Steinkorridor entlang, während die Geräusche von Schreien und Knurren lauter wurden. Mit jedem Schritt wurde der Druck in seiner Brust stärker. Er war nicht wirklich wütend auf Ezra, sondern darüber, dass Xavier Brightpaw noch immer atmete. Dass er nach allem, was er genommen hatte, nach jedem Leben, das er ruiniert hatte, immer noch Wege fand, das Messer tiefer zu drehen.

Zayn bog um die Ecke und blieb stehen. Chaos.

Ezra wurde von zwei Kriegern zurückgehalten, sein Gesicht vor Wut verzerrt, seine goldenen Augen leuchtend hell. Seine Krallen waren ausgefahren, Blut tropfte von seinen Knöcheln. Er hatte sich kaum unter Kontrolle.

Und dort, an die Wand gekettet, verwundet, aber grinsend, war Xavier.

"Lasst mich los!" knurrte Ezra und zerrte an den Kriegern. "Ich reiße ihm die verdammte Kehle raus!"

"Genug!" schnappte Zayn.

Seine Stimme durchschnitt den Lärm wie eine Klinge.

Ezra erstarrte. Die Wachen ließen ihn los und traten beiseite, als Zayn nach vorne trat, seine Präsenz befehlend. Zayn beeilte sich nicht. Er ging langsam, jeden Schritt bedacht, die Augen auf den grinsenden Mann in Ketten fixiert.

"Was ist passiert?" fragte er, obwohl er seine Vermutungen hatte.

Ezras Stimme war angespannt. "Er hat Irene erwähnt." Zayns Gesicht blieb unbewegt, aber seine Augen verdunkelten sich.

Xavier lachte, Blut färbte seine Zähne. "Oh? Habe ich etwas Falsches gesagt?" Er spuckte zur Seite und grinste breiter. "Ihr seid wirklich berechenbar, Zayn. Immer so empfindlich, wenn ihr Name fällt."

Zayn blieb still. "Sie hat gebettelt, nicht wahr?" fuhr Xavier fort und lehnte sich in seinen Ketten nach vorne.

"Ich habe die Geschichten gehört. Geschrien, bis ihre Kehle blutete. Konntest du sie jemals begraben? Oder hat mein Vater die Hunde das beenden lassen, was er begonnen hatte?"

Ezra stürzte erneut vor, knurrend wie ein entfesselter Wolf, aber Zayn hob eine Hand.

"Lass ihn reden," sagte er kalt. Ezra knurrte, trat aber zurück, seine Fäuste zitterten an seinen Seiten.

"Du hoffst, dass ich dich töte," sagte Zayn, die Augen immer noch auf Xavier gerichtet.

"Ich zähle darauf," spuckte Xavier. "Zumindest würde das diesen Zirkus beenden. Glaubst du, mich in Ketten zu halten und deinen Beta auf mich zu hetzen wie einen tollwütigen Köter, wird mich brechen? Du verschwendest deine Zeit."

Zayn trat noch näher. "Nein," sagte er leise. "Das tust du."

Bevor Xavier antworten konnte, wandte sich Zayn zu den Wachen an der Tür. "Bringt sie her."

Die Luft im Raum veränderte sich. Xavier runzelte die Stirn. "Was meinst du—"

Schritte hallten. Zwei Krieger erschienen und schleppten eine dünne Frau zwischen sich. Ihre Handgelenke waren mit Silber gefesselt, ihre Haut blass, mit Blut verschmiert. Sie stolperte, als sie sie nach vorne zogen und zu Boden warfen.

Sie stöhnte schwach und hob den Kopf.

Xaviers gesamter Gesichtsausdruck veränderte sich. Sein überhebliches Grinsen verschwand. "...Lia?" flüsterte er.

Die Frau blinzelte zu ihm hoch durch geschwollene Augen, und selbst durch die Blutergüsse hindurch war Erkennen zwischen ihnen zu sehen.

Seine Schicksalsgefährtin.

Zayn beobachtete ihn genau. "Du erkennst sie."

Xavier funkelte ihn an. "Lass sie gehen."

Zayn neigte den Kopf. "Warum? Sie ist nicht markiert. Du hast sie nie beansprucht. Ist es nicht das, was du und dein Vater gerne taten? Die Schwachen unmarkiert, ungeschützt, gebrochen zurücklassen?"

Xavier trat so weit vor, wie seine Ketten es erlaubten. "Sie ist unschuldig."

"So war auch Irene," sagte Zayn, seine Stimme kalt und gleichmäßig.

"Lass sie gehen," wiederholte er mit tiefer Stimme.

Zayn neigte den Kopf. "Warum? Du hast meine auch nicht gehen lassen."

"Sie ist kein Teil davon," sagte Xavier, jetzt lauter. "Sie hat nichts getan."

Zayns Stimme wurde härter. "Irene auch nicht."

Er hob seine Hand. Der Wächter holte die Peitsche hervor.

Xavier schrie auf und stürzte in seinen Ketten nach vorne. "Nein!"

Der erste Peitschenhieb hallte durch die Steinkammer.

Die Frau schrie. Xavier heulte vor Schmerz. Ein weiterer Schlag. Sie brach auf die Knie zusammen.

Der Schmerz traf ihn wie ein Sturm. Zayn konnte spüren, wie die Verbindung zwischen ihnen sich anspannte. Ihr Band war noch aktiv. Jeden Schlag, den sie erhielt, fühlte er. Es machte jeden Hieb unerträglich.

"Hör auf!" schrie Xavier. "Bitte!"

Zayn trat näher. "Du hast kein Recht zu betteln."

Er nickte noch einmal. Der nächste Schlag spaltete die Haut. Das Mädchen schrie erneut.

Dann Stille. Ein Messer blitzte auf. Bevor Xavier es überhaupt verarbeiten konnte, sank die Klinge in ihre Brust.

Sie sackte leblos zusammen. Das Band zerriss.

Xavier schrie. Ein tiefer, kehliger Laut, der den Raum erschütterte.

Zayn zuckte nicht zusammen. "Schmerz," sagte er schlicht. "Die Art, von der man sich nicht erholt."

Xaviers Körper hing schlaff in den Ketten, sein Gesicht vor Schmerz und Trauer verzerrt.

Zayn drehte sich um und winkte den Wachen erneut. Sie brachten drei Holzkisten herein. Sie stellten sie ab und öffneten sie nacheinander.

Darin befanden sich die abgetrennten Köpfe von Xaviers letzten verbliebenen Verbündeten. Die einzigen Wölfe, die noch an ihn glaubten und für seine Sache gekämpft hatten. Ihre leblosen Augen starrten zu ihm hoch.

"Sie starben schreiend," sagte Zayn. "Genau wie sie."

Zayn musste ihre Namen nicht nennen. Xavier wusste es bereits. Seine Augen huschten entsetzt von einem zum anderen. Seine Brust hob und senkte sich schnell. Galle stieg in seine Kehle.

"Du bist ein Monster," flüsterte er.

Zayn trat wieder näher, seine Stimme leise und tödlich. "Du hast noch nicht einmal die Hälfte davon gesehen."

Xavier schüttelte den Kopf. "Töte mich einfach..."

Zayn starrte ihm in die Augen. "Nein."

Er beugte sich näher, sein Atem kalt auf Xaviers Haut.

"Du wolltest den Tod," sagte Zayn, seine Stimme wie Eis. "Aber Tod ist Gnade. Und Gnade ist etwas, das du von mir nie bekommen wirst."