Kapitel 1 - Schicksalsverrat

Ich wachte mit einem Ruck auf, kalte Luft biss in meine ungeschützte Haut.

Bäume. Dunkelheit. Waldboden unter mir.

Mein Herz hämmerte gegen meine Rippen, während ich hektisch um mich blickte. Wie bin ich hierher gekommen? Ich trug nur ein dünnes Nachthemd, meine Füße waren nackt und froren auf der feuchten Erde.

Das Letzte, woran ich mich erinnerte, war, dass ich in meinem Bett im Rudelhaus eingeschlafen war. Jetzt befand ich mich irgendwie mitten im Blauer-Berg-Wald in tiefster Nacht.

In der Paarungsjagdnacht.

Terror schnürte mir die Kehle zu. Von allen Nächten, in denen ich mich allein in diesen Wäldern befinden könnte, war dies die schlimmstmögliche. Heute Nacht liefen ungepaarte Wölfe wild umher, ihre Urinstinkte entfesselt, während sie nach potenziellen Gefährten suchten.

Menschen wie ich sollten diesem Ritual nicht einmal nahe kommen.

Ein entferntes Heulen durchschnitt die Stille, gefolgt von einem weiteren. Sie kamen näher.

Ich rappelte mich auf und ignorierte die Kiefernnadeln, die sich in meine Fußsohlen bohrten. Denk nach, Hazel. Ich musste den Weg zurück zum Rudelhaus finden, bevor mich irgendwelche Wölfe entdeckten.

Ein weiterer Chor von Geheul, jetzt näher. Mein Atem kam in kurzen Stößen, als ich zu rennen begann, Zweige peitschten mir ins Gesicht und gegen die Arme. Der Mond spendete gerade genug Licht, um nicht gegen Bäume zu prallen, aber nicht genug, um klar zu sehen, wohin ich ging.

Mein Fuß verfing sich in einer freiliegenden Wurzel, und ich stürzte hart. Schmerz schoss von meinem Knöchel hoch, als ich versuchte aufzustehen. Großartig. Verstaucht oder schlimmer.

Nun humpelnd drängte ich vorwärts, jeder Schritt sandte Schmerzwellen durch mein Bein. Tränen verschleierten meine Sicht, sowohl vor Schmerz als auch vor aufsteigender Panik.

"Hazel?"

Ich wirbelte herum und fand Liam wenige Meter entfernt stehen, vollständig bekleidet. Erleichterung durchströmte mich. Jules' bester Freund. Sicherheit.

"Liam! Gott sei Dank. Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin, aber ich brauche Hilfe—"

Sein sonst freundliches Gesicht verzog sich zu etwas, das ich noch nie gesehen hatte—Verachtung.

"Was zum Teufel machst du hier draußen?" knurrte er und hielt Abstand. "Bist du wahnsinnig? Oder einfach nur dumm?"

Ich zuckte vor seinem Ton zurück. "Ich—ich bin hier aufgewacht. Ich weiß nicht wie—"

"Natürlich nicht," höhnte er. "Du bist zufällig genau in dem Gebiet aufgewacht, in dem Julian heute Nacht unterwegs war."

Bevor ich antworten konnte, erregte eine Bewegung in den Bäumen meine Aufmerksamkeit. Julian trat aus der Dunkelheit hervor, mit nacktem Oberkörper, nur in Shorts gekleidet. Mein Herz machte einen Sprung bei seinem Anblick—mein Freund, meine Sicherheit, mein Ein und Alles.

Aber er war nicht allein.

Eine Frau folgte ihm, unmenschlich schön mit goldenen Haaren, die ihren Rücken hinabfielen. Sie trug Julians Jacke, die ihre zierliche Gestalt verschluckte. Sein Arm lag besitzergreifend um ihre Schultern.

Die Welt kippte zur Seite.

"Jules?" Meine Stimme klang erbärmlich klein.

Julians Augen weiteten sich, als er mich sah, dann verengten sie sich zu etwas Kaltem und Unbekanntem. Die Frau neben ihm lehnte sich näher in seine Umarmung, ihr perfektes Gesicht neugierig.

"Wer ist das?" fragte sie, ihre Stimme musikalisch und selbstbewusst.

Julians Kiefer spannte sich an. "Niemand Wichtiges."

Die Worte trafen wie ein physischer Schlag. Sechs Jahre zusammen, und plötzlich war ich "niemand Wichtiges"?

"Jules," flüsterte ich erneut, Tränen flossen jetzt frei. "Was passiert hier?"

Die Augen der Frau leuchteten vor Verständnis. Ein Grinsen spielte um ihre Lippen, als sie ihre Hand zu Julians Brust ausstreckte und sie in einer bewusst intimen Geste über sein Herz legte.

"Ich bin Selena Vance," verkündete sie, Triumph färbte ihre Stimme. "Julians Schicksalsgefährtin."

Der Boden schien unter meinen Füßen wegzubrechen. Schicksalsgefährtin. Die magische, mystische Bindung, nach der Werwölfe ihr ganzes Leben lang suchten. Die Bindung, die einmal gefunden, alle anderen Verbindungen überlagerte.

Die Bindung, die sechs Jahre Liebe in einem Augenblick bedeutungslos machte.

"Das ist nicht... wir waren..." Ich konnte keine zusammenhängenden Gedanken bilden.

Julians Hand klammerte sich um meinen Oberarm, seine Finger gruben sich schmerzhaft in mein Fleisch, als er mich mehrere Meter von den anderen wegzog.

"Was zum Teufel machst du hier draußen, Hazel?" zischte er, seine vertrauten braunen Augen jetzt verdunkelt vor Wut. "Bist du mir gefolgt? Spionierst du mir nach?"

"Nein! Ich bin hier aufgewacht, ich schwöre! Jules, du tust mir weh—"

"Hör auf, mich so zu nennen!" Sein Griff verstärkte sich noch mehr.

"Julian, bitte." Tränen strömten über mein Gesicht. "Ich verstehe nicht, was hier passiert."

"Was passiert, ist, dass ich heute Nacht meine Schicksalsgefährtin gefunden habe," knurrte er. "Und du blamierst dich."

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. "Aber was ist mit uns? Sechs Jahre, Julian. Sechs Jahre."

Etwas brach in seinem Ausdruck. Seine Hand schoss zu meinem Hals, seine Finger schlossen sich mit erschreckender Kraft darum.

"Es gibt kein 'uns' mehr," knurrte er, sein Gesicht nur Zentimeter von meinem entfernt. "Das hätte es nie geben sollen. Du warst nur... bequem. Ein Platzhalter."

Schwarze Flecken tanzten am Rand meines Sichtfelds, als sein Griff sich verstärkte. Das war nicht Julian—mein süßer, beschützender Jules, der mich durch Albträume gehalten und mir die Ewigkeit versprochen hatte. Das war ein Fremder mit seinem Gesicht.

Genauso plötzlich, wie er mich gepackt hatte, ließ er mich los. Ich brach auf die Knie zusammen, hustend und nach Luft schnappend.

Julian trat zurück und blickte für einen kurzen Moment entsetzt auf seine Hände, bevor sein Ausdruck wieder verhärtete.

"Wir sind fertig, Hazel. Ich habe jetzt meine wahre Gefährtin. Was auch immer wir hatten... es ist vorbei."

Ich sah durch tränenverschleierte Augen zu ihm auf. "Das kannst du nicht ernst meinen."

"Doch." Seine Stimme war flach, emotionslos. "Geh zurück zum Rudelhaus. Erzähl meinem Vater, was passiert ist, wenn du willst, aber es wird nichts ändern." Er blickte zurück zu der wartenden Selena. "Ich gehöre jetzt zu ihr."

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich weg. Wenige Schritte später verzerrte sich sein Körper, Knochen knackten, als er sich in seine prächtige Wolfsgestalt verwandelte. Er sah nicht einmal zurück, als er zu seiner wartenden Gefährtin trottete.

Ich blieb auf dem Waldboden knien, zitternd in meinem dünnen Nachthemd, mit pochendem Knöchel, blauem Hals und einem in tausend Stücke zerschmetterten Herzen.

Das Geräusch von Schritten verriet mir, dass Liam sich genähert hatte. Ich schaute auf in der Hoffnung auf ein wenig Trost von dem besten Freund meines Freundes—Ex-Freundes.

Stattdessen blickte er mit kalten Augen auf mich herab. "Du hättest wissen müssen, dass er niemals einen Menschen einer Schicksalsgefährtin vorziehen würde," sagte er mit flacher Stimme. "Du hast nie hierher gehört, Hazel."

Dann drehte auch er sich um und ging weg, ließ mich völlig allein im gefährlichen, mondbeleuchteten Wald zurück.