Kapitel 13 - Die grausamen Fragen des Entführers

Das Erste, was ich wahrnahm, war der feuchte Waldboden unter mir, das Zweite war der brennende Schmerz in meinen Handgelenken. Ich öffnete meine Augen zum frühen Morgenlicht, das durch die Bäume filterte. Mein Mund war geknebelt, gefüllt mit rauem Stoff, der nach Erde und Blut schmeckte. Panik durchflutete mich, als ich gegen die engen Fesseln ankämpfte.

Lykos saß ein paar Meter entfernt und beobachtete mich mit diesen seltsamen, leuchtenden Augen. Seine massive Gestalt wirkte im Morgenlicht noch unwirklicher.

Ich machte gedämpfte Geräusche gegen den Knebel und hoffte, mein Gefühl des Verrats zu vermitteln. Ich hatte gedacht, er wäre mein Freund, mein Beschützer. Jetzt war ich sein Gefangener.

Der riesige Wolf neigte seinen Kopf, als ob er zu verstehen versuchte. Er stieß ein leises Winseln aus, das fast entschuldigend klang. Fast.

Ich wand mich heftiger gegen meine Fesseln, das Seil schnitt tiefer in meine bereits wunden Handgelenke. Der Schmerz schoss meine Arme hinauf und trieb mir Tränen in die Augen.

Lykos stand auf und tappte näher. Ich erstarrte, mein Herz hämmerte gegen meine Rippen. Würde er mir jetzt wehtun? Mich töten?

Stattdessen stupste er meine Schulter mit seiner Schnauze an, überraschend sanft für eine so massive Kreatur. Seine Augen enthielten etwas wie Bedauern.

Zu wenig, zu spät.

Ich wandte mich ab und weigerte mich, von dem Biest getröstet zu werden, das mich verraten hatte. Er trat zurück, die Ohren flach an seinen Kopf gedrückt. Er sah... verletzt aus? Die Idee war so absurd, dass ich gelacht hätte, wäre da nicht der Knebel gewesen.

Irgendwo in der Nähe knackte ein Zweig. Lykos' Kopf schnellte in Richtung des Geräusches, sein ganzer Körper spannte sich an. Er positionierte sich zwischen mir und der nahenden Bedrohung, sein Nackenfell sträubte sich.

Schwere Schritte knirschten durch das Unterholz. Lykos knurrte, tief und warnend, aber in seiner Haltung lag etwas Unterwürfiges, das mich verwirrte.

Der Mann von gestern Nacht tauchte zwischen den Bäumen auf. Der tätowierte Fremde, der mich gejagt hatte. Der mich vor lauter Angst hatte ohnmächtig werden lassen.

Im Tageslicht war er noch einschüchternder. Groß und kräftig gebaut, mit diesen seltsamen schwarzen Tätowierungen, die seinen Hals hinaufkrochen und unter seinem Hemdkragen verschwanden. Seine stürmisch grauen Augen fixierten mich, kalt und abschätzend.

"Runter," befahl er Lykos.

Zu meinem Schock senkte sich der massive Wolf zu Boden, den Kopf gesenkt. Was zum Teufel? Dieser Mann konnte das Biest kontrollieren?

Der Fremde näherte sich mir mit zielstrebigen Schritten. Ich wand mich rückwärts, verzweifelt bemüht, Abstand zwischen uns zu bringen. Mein Rücken stieß gegen einen Baumstamm. Gefangen.

Er hockte sich vor mich, nahe genug, dass ich seine Körperwärme spüren konnte. Seine Hand schoss vor, packte mein Kinn mit schmerzender Kraft. Ich wimmerte hinter dem Knebel.

"Also," sagte er, seine Stimme tief und gefährlich. "Wer bist du für das Blue Mountain Pack?"

Mein Herz stolperte. Woher wusste er von meinem früheren Rudel?

Sein Griff verstärkte sich schmerzhaft. "Antworte mir."

Ich machte hektische Geräusche gegen den Knebel und versuchte zu vermitteln, dass ich nicht sprechen konnte. Mit einem ungeduldigen Knurren riss er den Stoff aus meinem Mund.

Ich keuchte, schnappte nach Luft. Meine Zunge fühlte sich geschwollen an, mein Hals rau.

"N-niemand," krächzte ich. "Ich bin niemand für sie."

Seine Augen verengten sich. "Lüg mich nicht an." Seine Hand wanderte von meinem Kinn zu meinem Hals, nicht zudrückend, aber als klare Drohung dort ruhend. "Ich kann das Rudel an dir riechen."

"Ich bin weggelaufen," flüsterte ich. "Ich bin entkommen."

"Entkommen?" Ein grausames Lächeln umspielte seine Lippen. "Menschen entkommen Wolfsrudeln nicht, es sei denn, die Wölfe lassen sie gehen." Sein Daumen strich über meine Halsschlagader und ließ mich erschaudern. "Oder sie sind tot."

Terror kroch mein Rückgrat hinauf. "Bitte," flehte ich. "Ich weiß nicht, wer du bist oder was du willst, aber ich sage die Wahrheit."

Seine Nasenflügel blähten sich, als er sich näher lehnte und tief an meinem Hals einatmete. Sein Ausdruck verdüsterte sich.

"Du stinkst nach männlichem Wolf," knurrte er, seine Finger gruben sich in meine Haut. "Blue Mountain Pack. Stark. Alpha-Abstammung." Seine Augen blitzten vor Wut. "Bist du mit einem von ihnen verbunden?"

"Nein!" rief ich, entsetzt über den Vorschlag.

"Warum trägst du dann seinen Geruch so gründlich? Warum ist er in deine Haut eingebettet?" Er sah angewidert aus, als wäre ich etwas Schmutziges.

Tränen stiegen in meine Augen. "Ich war jahrelang bei ihm, aber wir waren nicht verbunden. Er fand seine wahre Gefährtin während der Jagd und—" Meine Stimme brach.

"Und was?" forderte er.

"Und er warf mich weg," beendete ich, das Eingeständnis schmeckte bitter auf meiner Zunge.

Der Fremde schnaubte verächtlich. "Also bist du die menschliche Hure des Rudels, ja? Weitergereicht, bis jemand Besseres kommt?"

Weißglühende Wut durchströmte mich und überwältigte vorübergehend meine Angst. "Ich bin keine Hure!"

Seine Hand bewegte sich blitzschnell, packte eine Handvoll meiner Haare und riss meinen Kopf zurück. Schmerz explodierte über meine Kopfhaut.

"Achte auf deinen Ton," warnte er, sein Gesicht nur Zentimeter von meinem entfernt. "Du bist nicht in der Position, die Stimme gegen mich zu erheben."

Ich schluckte schwer und versuchte nicht zu zeigen, wie sehr er mir wehtat. "Ich wurde im Rudel aufgezogen, seit ich zwölf war. Ich war die Tochter des Alphas, bis..."

"Bis was?"

"Bis ich es nicht mehr war."

Er musterte mich mit diesen kalten grauen Augen, suchte nach Lügen. "Du erwartest, dass ich glaube, der Alpha hat dich als seine Tochter behalten? Einen Menschen?"

Frische Tränen stachen in meinen Augen. "Es ist die Wahrheit."

Er ließ mein Haar mit einem abweisenden Stoß los. "Alpha Maxen beherbergt einen Menschen. Interessant." Er stand auf, ragte über mir auf. "Das erklärt einiges."

Mein Blut gefror. "Du kennst Alpha Maxen?"

Ein gefährliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Ich weiß von ihm. Und er weiß sicherlich von mir."

Mir gefiel das raubtierhafte Glitzern in seinen Augen nicht. "Wer bist du?"

"Jemand, den du weit mehr fürchten solltest, als du es bereits tust."

Lykos gab ein leises Geräusch von sich, das die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich zog. Sie schienen stumm zu kommunizieren, die Ohren des Wolfes zuckten, der Kiefer des Mannes spannte sich an.

"Nein," sagte er schließlich laut. "Sie bleibt gefesselt."

Der Wolf schnaubte, offensichtlich anderer Meinung.

"Es ist mir egal, ob sie sich unwohl fühlt," schnappte der Mann. "Sie ist fluchtgefährdet."

Sie sprachen über mich, als wäre ich gar nicht da. Als wäre ich ein Objekt, über das man diskutieren konnte, anstatt eine Person.

"Bitte," versuchte ich es erneut, diesmal sanfter. "Ich weiß nicht, was du von mir willst, aber ich kann dir alles sagen, was du über das Rudel wissen musst. Nur... bitte bring mich nicht dorthin zurück."

Die Verzweiflung in meiner Stimme schien sein Interesse zu wecken. Er wandte sich wieder mir zu, die Augen verengt.

"Warum hast du solche Angst zurückzukehren?" fragte er. "Was haben sie dir angetan?"

Ich schaute weg, unfähig, seinem Blick zu begegnen. Die Erinnerungen waren zu roh, zu demütigend.

Seine Hand schoss wieder vor und zwang mich, ihn anzusehen. "Antworte mir."

"Sie haben mich zum Omega gemacht," flüsterte ich, die Worte kaum hörbar. "Nachdem Julian seine Gefährtin gefunden hatte, verstieß Alpha Maxen mich. Sagte, ich wäre nicht wirklich seine Tochter. Dass meine Mutter ihn getäuscht hätte."

Etwas flackerte in seinen Augen. Erkennen? Interesse?

"Deine Mutter," wiederholte er langsam. "Wie war ihr Name?"

"Eleanor. Eleanor Croft."

Sein Ausdruck veränderte sich subtil. Die Muskeln in seinem Kiefer arbeiteten, als würde er mit den Zähnen knirschen.

"Und du bist Hazel Croft," stellte er fest, anstatt zu fragen.

Frische Angst blühte in meiner Brust auf. "Woher kennst du meinen Namen?"

Er ignorierte meine Frage, seine Gedanken offensichtlich woanders. Nach einem langen Moment konzentrierte er sich wieder auf mich, sein Blick kälter als zuvor.

"Erzähl mir alles über Alpha Maxens Rudel," forderte er. "Zahlen. Stärken. Schwächen."

Ich schüttelte den Kopf, verwirrt. "Warum? Was hast du vor?"

"Das geht dich nichts an." Seine Stimme war scharf wie eine Klinge. "Beantworte meine Fragen."

"Ich kann sie nicht so verraten," sagte ich, während eine Stimme in meinem Kopf schrie, dass ich ihnen nichts schuldig war. "Sie haben mich aufgezogen."

"Bevor sie dich weggeworfen haben," erinnerte er mich grausam. "Bevor sie dich zum Omega machten und misshandelten."

Meine Unterlippe zitterte. "Woher wusstest du, dass sie mich misshandelt haben?"

"Die Blutergüsse erzählen ihre eigene Geschichte." Seine Finger strichen über eine besonders dunkle Stelle an meinem Arm und ließen mich zusammenzucken. "Diese stammen nicht von deiner Zeit im Wald."

Ich schaute weg, beschämt. "Es spielt keine Rolle."

"Es spielt für jemanden eine Rolle." Sein Ton enthielt eine seltsame Note, die ich nicht identifizieren konnte. "Jetzt sag mir, was ich wissen will."

"Ich kann nicht." Trotz allem, was sie getan hatten, konnte ich mich nicht dazu bringen, das gesamte Rudel zu gefährden. Es gab dort Unschuldige. Kinder.

Die Geduld des Mannes schwand sichtlich. "Du glaubst, deine Loyalität schützt sie? Dass dein Schweigen irgendetwas bedeutet?" Er lachte, ein kaltes, freudloses Geräusch. "Ich brauche dich nicht, um mir zu sagen, was ich bereits weiß."

Verwirrung furchte meine Stirn. "Warum dann fragen?"

"Um zu sehen, ob du lügen würdest." Er richtete sich auf und blickte mit Verachtung auf mich herab. "Um zu bestätigen, welche Art Mensch du wirklich bist."

Seine Ablehnung stach mehr, als sie sollte. Ich bedeutete diesem Mann nichts. Warum sollte es mich kümmern, was er von mir dachte?

"Was passiert jetzt?" fragte ich und hasste, wie klein meine Stimme klang.

Seine Lippen krümmten sich zu einem grausamen Lächeln. "Jetzt? Ich gehe direkt zur Quelle."

Mein Blut wurde zu Eis. "Was bedeutet das?"

"Es bedeutet, dass ich keine Zeit mehr mit dir verschwende." Er wandte sich an Lykos. "Bewache sie. Ich komme zurück."

Mein Herz hämmerte gegen meine Rippen. "Warte! Wohin gehst du?"

Er blickte zu mir zurück, sein Ausdruck völlig frei von Mitgefühl. "Um deinem ehemaligen Rudel einen Besuch abzustatten, natürlich."

Panik explodierte in meiner Brust. "Nein! Bitte!"

"Bettelst du jetzt? Wie erbärmlich." Er höhnte. "Was kümmert es dich, was mit ihnen geschieht? Sie haben dich verlassen."

"Dort sind unschuldige Menschen," flehte ich und zerrte an meinen Fesseln. "Kinder, die nichts mit dem zu tun hatten, was mir passiert ist."

"Kollateralschäden," sagte er kalt.

"Bitte," bettelte ich, Verzweiflung ließ meine Stimme brechen. "Tu das nicht. Was auch immer du willst, ich werde dir helfen. Verletze nur nicht die Unschuldigen."

Er hielt inne und musterte mich mit diesen unlesbaren grauen Augen. "Dein Mitgefühl ist an ihnen verschwendet."

"Es geht nicht um sie," beharrte ich. "Es geht darum, wer ich bin. Ich kann ihr Blut nicht an meinen Händen haben."

Etwas huschte über sein Gesicht – Überraschung vielleicht, oder Neugier. Es verschwand so schnell, wie es erschienen war.

"Deine Hände sind gefesselt," erinnerte er mich grausam. "Du hast kein Mitspracherecht bei dem, was als Nächstes geschieht."

Er wandte sich ab und ignorierte meine weiteren Bitten. Meine Worte wurden zunehmend hektischer, als er wegging und zwischen den Bäumen verschwand. Lykos blieb zurück und beobachtete mich mit diesen unheimlichen, leuchtenden Augen.

Ich sackte gegen den Baum, mein Hals rau vom Schreien. Tränen strömten über mein Gesicht, als Hilflosigkeit mich überwältigte.

Meine zwei größten Ängste waren nun auf Kollisionskurs – dieser gefährliche, unbekannte Mann und das Rudel, vor dem ich geflohen war – mit mir machtlos in der Mitte gefangen, erneut gefesselt und geknebelt, meine verzweifelten Warnungen verstummt gegen den Stoff in meinem Mund.